In dieser Woche gab es grosse Aufregung in den Medien wegen Anzeichen unkontrollierter Kernspaltung im Reaktor 2 von Fukushima.
Wer ein bisschen von Kernenergie versteht (aber ein bisschen mehr als die Journalisten der Tageszeitungen), der weiss, dass es in jedem abgeschalteten Reaktor noch Kernspaltungen gibt. Die Information, dass es Kernspaltungen im Reaktor 2 von Fukushima gab, hat also denselben Neuigkeitswert wie die Information, dass die Butter Fett enthält!
Zum Sachverhalt:
Schwere Atomkerne, vor allem Uran-238 und Plutonium-240 (ebenfalls Curium-242 und Curium-244), spalten sich auch selbsttätig, d.h. ohne Einwirkung von Neutronen. Diesen natürlichen Prozess nennt man spontane Spaltung. Bei jeder Kernspaltung, ob spontan oder durch Einwirkung von Neutronen induziert, entstehen zwei bis drei Neutronen und jeweils zwei Spaltprodukte. Unter diesen Spaltprodukten befinden sich speziell die beiden radioaktiven Isotope des Edelgases Xenon, Xe-133 und Xe-135, die mit Halbwertszeiten von 5.2 Tagen bzw. 9.2 Stunden zerfallen. Die Detektion dieser kurzlebigen Spaltprodukte ist tatsächlich ein Anzeichen dafür, dass Kernspaltungen stattfinden.
Die bei der Spontanspaltung von U-238, Pu-240 etc. frei werdenden Neutronen werden zum Teil auch von den Brennstoff-Isotopen U-235 und Pu-239 eingefangen und spalten diese (induzierte Spaltung), so dass eine gewisse Vervielfachung der Neutronen und Spaltungen stattfindet. In einem unterkritischen Reaktor reicht diese Vervielfachung aber nicht aus, um eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion in Gang zu setzen.
Dass TEPCO die o.g. Xe-Isotope jetzt in der Atmosphäre des Containments entdeckt hat, hängt damit zusammen, dass TEPCO erst am 28.10.2011 ein Gasanalyse-System für die Containment-Atmosphäre in Betrieb genommen hat. Die gemessene Aktivitätskonzentration der Isotope Xe-133 und Xe-135 ist ausserordentlich gering: 14 bzw. 12 Bq/m^3 ( d.h. 14 bzw. 12 Zerfälle pro Sekunde und pro Kubikmeter Containment-Luft).
Interpretation:
In der Tagespresse wird die Meldung von TEPCO so interpretiert, als ob eine neue Kernschmelze drohe. Dazu ist zu sagen, dass die Wärmeerzeugung im geschmolzenen und unterkritischen Reaktorkern nicht davon abhängt, ob die o.g. Spontanspaltungen und ihre Vervielfachung stattfinden. Die Wärmeerzeugung hängt hauptsächlich von der Nachzerfallswärme ab, d.h. davon, wie viel radioaktive Spaltprodukte beim Eintritt des Unfalls im Reaktorkern vorhanden waren und wie viel Zeit seither verstrichen ist (zeitlicher Verlauf der Nachzerfallswärme).
Seit einiger Zeit ist TEPCO in der Lage, die vom geschmolzenen Reaktorkern erzeugte Wärme im geschlossenen Kühlkreislauf abzuführen und Temperatur sowie Druck im Reaktor stabil zu halten.
Es ist unwahrscheinlich, dass in einem geschmolzenen Kern eines Leichtwasser-Reaktors eine kritische Konfiguration mit erheblicher Leistungserzeugung durch Kernspaltung entsteht.
Vorsichtshalber leitete TEPCO am Mittwoch (2.11.2011) Borsäure in den Reaktor, um zu gewährleisten, dass der geschmolzene Reaktorkern auf jeden Fall unterkritisch bleibt.
Fazit:
Der Nachweis von Xe-133 und Xe-135 zeigt, dass Kernspaltung stattgefunden hat bzw. noch stattfindet. Das bedeutet jedoch nicht, dass auch eine Kernschmelze eingesetzt hat.
TEPCO hat die Situation unter Kontrolle. Das wird auch von der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA bestätigt, welche die Situation insgesamt als stabil einschätzt.