In diesen Tagen läuft der religiöse Gefühlsmotor in der islamischen, insbesondere arabischen Welt heiß. Natürlich wird nun auch wieder bei ‚uns‘, in der europäischen Welt über die Notwendigkeit diskutiert, die religiösen Gefühle zu schützen. Das beunruhigt mich. Denn jetzt gibt es auch wieder Meldungen aus Rußland: nach Pussy Riot will man dort einen neuen Strafstandbestand zum Schutz religiöser Gefühle einführen.
Ich muß gestehen, daß ich gar nicht weiß, was ein religiöses Gefühl überhaupt ist. Ich habe dafür einfach kein Sensorium. Wenn ich meinen eigenen Gefühlshaushalt durchforste, finde ich dort alles mögliche vor, Schönes und weniger Schönes, sogar Häßliches, aber nirgendwo ein Gefühl, von dem ich mit Überzeugung sagen könnte: das ist jetzt aber ein spezifisch religiöses Gefühl.
Natürlich würde ich gerne für mich besonders wichtigen Gefühlen, die mein Leben lebenswert machen, die Aura des Religiösen verleihen, um sie so ein bißchen aufzuwerten und ihnen gewissermaßen etwas Göttliches zu verleihen. Das würde mir schon gefallen, weil es auch meine eigene Person aufwerten würde: Seht her, Gott hat mich erleuchtet!
Aber wenn ich ehrlich bin, handelt es sich einfach nur um Gefühle, und zwar um meine, – hoffe ich zumindestens. Und solche Gefühle, zumindestens die, die mir wichtig sind, halte ich durchaus für schützenswert. Auch wenn sie möglicherweise, bei Licht betrachtet, nicht viel von sich her machen, lege ich doch Wert darauf, daß man die Finger davon läßt und daß man sie respektiert. Wenn dann doch mal jemand übergriffig wird, muß ich das eben aushalten oder – wenn es ein gewisses Maß überschreitet – den Schutz des Gesetzes in Anspruch nehmen.
Aber diese Leute mit ihren religiösen Gefühlen – Orthodoxe, Evangelikale, katholische oder islamische Fundamentalisten – sind damit nicht zufrieden, mit anderen Leuten und ihren nicht so religiösen Gefühlen auf eine Stufe gestellt zu werden. Sie wollen unbedingt ein Privileg: daß ihre Gefühle besonders schützenswert sind. – Dazu kann ich nur sagen: Liebe religiöse Mitbürger, ich habe nichts dagegen, Euch mit Euren religiösen Gefühlen zu schützen und zu respektieren. Aber bitte nicht, weil Eure Gefühle religiös sind! Ich habe einfach den Verdacht, daß es keine religiösen Gefühle gibt. Ich habe den Eindruck, Ihr wollt einfach nur wichtig genommen werden. Letztlich ist es reiner Narzißmus: ich bin wichtig, weil ich an einen Gott glaube, der mich persönlich und meine religiösen Gefühle erschaffen hat.
Es reicht Euch einfach nicht, einfach nur Mensch zu sein. Ihr müßt unbedingt Gläubige sein. Es reicht Euch aber auch nicht, einfach nur Gläubige zu sein. Ihr wollt als Gläubige auch noch privilegiert sein! Warum? – Wegen Eurer religiösen Gefühle.
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Euch Respekt erweise: nicht weil ihr religiös seid, sondern Menschen mit Gefühlen.
Apropos grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit: letztlich handelt es sich dabei um die Freiheit, sein Leben zu führen, wie man es für richtig hält, ohne dabei die Freiheit anderer zu gefährden. Mehr läßt sich im Sinne der Freiheit aller einfach nicht daraus machen. Sorry ...