Ich saß am Tisch und redete freudestrahlend, soweit ich dafür Worte finden konnte, über meinen aufregenden Tag. Hab geschaukelt, Fußball gespielt, Blumen gepflückt und einen dicken Käfer beobachtet. Die Oma lächelte zurück und Opa machte mit einer Handpuppe Unsinn...das macht er öfter. Dann bestellte ich noch ein Fischstäbchen und noch eins, sie schmeckten prima, ich quitschte vor mich hin und noch etwas Kartoffel, doch dann merkte ich, die Fischstäbchen schmeckten besser als die Kartoffel und gab sie Mama zurück. Doch da merkte ich, dass sich die Augen meiner Mama verdunkelten, die Kinnpartie bekam einen eigenartigen Tonus und sie sagte zu mir in einer eigenartigen Betonung NEIN. Ich solle das aufessen, was ich bestellt hätte, bevor ich das nicht esse, gibt es keinen Nachtisch. Daraufhin sagte sie noch ein paar Mal nein und ein eigenartiges Funkeln war in ihren Augen.
Hui. Auf einmal merkte ich, nun kommen meine Eltern in die Trotzphase. Ab jetzt wollen sie scheinbar die Erfüllung meiner Bedürfnisse mit Bedingungen verknüpfen. Aha, dachte ich, wahrscheinlich sind sie in dieser Phase, wo sie auf ihre und andere Eltern hören, auf Ratgeber und Kinderärzte. Nagut, dacht ich mir, diese Phase wird vergehen, lass sie sich austoben, lass sie diese Grenzen setzen, sie hatten nie Macht in ihrem Leben, sie lebten selber nie ihr eigenes Leben...nun wollen sie eben Macht über mich. Nagut, dachte ich. Ich tu ihnen den Gefallen und mache manchmal das was sie sagen, manchmal schreie ich herum, mal mach ich eine tierische Szene an der Kasse, weil ich merkte, dass es meinen Eltern Vergnügen bereitet, sich mit mir zu messen und zu gewinnen, ich merkte, dass sie den Triumph genossen, stärker zu sein. Und es tat ihnen gut. Je öfter sie mich besiegten, desto öfter redeten sie von Fortschritten. Es tat ihnen gut. Da ich bemerkte, die Eltern brauchen das, weil sie sonst nicht das Gefühl haben, alles richtig zu machen...spielte ich mit. Irgendwann werden sie schon merken, dass sie mich dazu benutzen, ihre eigenen Interessen zu befriedigen. Irgendwann werden sie schon merken, dass ich vorsichtiger werde. Irgendwann, so dachte ich, hab ich ihre Phase überstanden und kann wieder normal leben, leben wie es doch jeder tut, so dachte ich, einfach das tun, was ich grad möchte, einfach am Tisch singen und aufstehn, sobald ich keinen Hunger mehr hab. Das essen, worauf ich Appetit habe.
Ich steckte Monate und Jahrelang zurück und begann an mir zu zweifeln, begann zu überlegen, was richtig ist, und was falsch und ließ sie ihre Spiele spielen, ihre Gewalt, die sie mit dem Wort Grenzsetzen und dem Wort Erziehung legalisierten, durchführen. Und ich dachte, irgendwann merken sies.
Aber ich täuschte mich, es blieb nicht bei einer Phase.
Heute esse ich immer meinen Teller auf, auch wenn ich keinen Hunger habe und nenne das Anstand. Beim Einkaufen und Kochen zweifle ich manchmal ob das richtig für mich ist, inzwischen habe ich einen Ernährungsberater. Ich esse manchmal nichts, obwohl ich Hunger habe und nenne das Diät. Manchmal esse ich zu viel du bin unzufrieden mit mir. Ich esse bei Freunden immer auf, auch wenn’s nicht schmeckt, um ihnen nicht weh zutun. Heute, bin ich erwachsen. Heute merke ich, die Zeit, in der ich wußte was mir gut tut...war nur eine Phase.
Liebe Grüße
Bernd