Kindlers: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik
Philosophisches und kulturhistorisches Werk von Friedrich Nietzsche, entstanden 1869 bis 1871, erschienen 1872. Eine neue Ausgabe unter dem Titel Die Geburt der Tragödie oder Griechentum und Pessimismus, die den Versuch einer Selbstkritik als Vorrede enthält, erschien 1886.
Nietzsches Beschäftigung mit der griechischen Tragödie lässt sich bis in seine Schulzeit zurückverfolgen. In einer Arbeit aus dem Jahre 1864 über SOPHOKLES' Ödipus Rex preist er die “harmonische Vereinigung“ der verschiedenen Künste durch die Tragiker als eine Vorwegnahme der genialen Reformpläne und Thaten R. Wagners“. Nachdem Nietzsche im November 1868 R. WAGNER persönlich kennengelernt hatte, erwachte sein Interesse für das antike Drama erneut. Der im Januar 1870 gehaltene Vortrag Das griechische Musikdrama deutet die griechische Tragödie als ein „Gesamtkunstwerk“, das aus dm Zusammenspiel von Dichtung, Musik und Tanz besteht.Ursprünglich war die Tragödie „nichts als ein großer Chorgesang“; der „Chor von zu Sytyrn und Silenen verkleideten Männern“ erzählte Episoden der „Kampf und Leidgeschichte[...] des Dionysos“. In diesen „dionysischen Schwarmzügen“ waltet der „übermäßig hervorbrechende Frühlingstrieb“, die Menschen befinden sich in dem Zustande des 'Außer[-]sich[-]Seins'“. Nietzsche setzt dem in Natur und Volk verwurzelten griechischen Drama die Künstlichkeit der modernen Oper entgegen – mit dem Problem von Dekadenz und Tod der Tragödie befasst er sich jedoch erst in einem zweiten Vortrag Sokrates und die Tragödie, den er im Februar 1870 hielt. Verantwortlich für den Tod der Tragödie sind die sokratische „Missachtung des Instinkts“ und die von ihr abhängige „bewusste Ästhetik“ des EURIPIDES: Die Tragödie ist an einer „Superfötation des Logischen“ zugrunde gegangen. Eine entscheidende Wende in der Entwicklung von Nietzsches Auffassung der Tragödie zeigt sich in der Abhandlung Die dionysische Weltanschauung aus dem Sommer 1870. Nietzsche versucht hier zum ersten Mal, griechische Kunst mit Hilfe von Gedanken Schopenhauers zu verstehen, zum ersten Mal steht die Polarität von „apollinisch“ und „dionysisch“ im Mittelpunkt. Hiermit werden zwei Stilgegensätze“ und „Götterwelten“ benannt, die auf die physiologischen Zustände des „Traumes“ und des „Rausches“ zurückverweisen. Während Apollo der Gott des „schönen Scheins“ und der “maßvollen Begrenzung“ ist, kündigt Dionysos die Sprengung der Grenzen der Individualität an. [Man möchte die Zuordnung gerne teilweise austauschen...] Aus dem „Bruderbund“ von Apollo und Dionysius entsteht die griechische Tragödie als eine „Mittelwelt zwischen [apollinischer] Schönheit und [dionysischer] Wahrheit.
Das Gegensatzpaar “dionysisch“ und „apollinisch“ einerseits und die Kritik [am] Sokratismus andererseits sind die beiden Leitgedanken des Tragödienbuches, das Nietzsche nach weiteren Vorstufen und verworfenen Ansätzen im Januar 1872 veröffentlichte.“ (Auszug aus Kindlers Neues Literaturlexikon)