amoruritme
New Member
- Registriert
- 24. Juni 2007
- Beiträge
- 52
Nietzsche scheint mir der Inbegriff des Denkers schlechthin zu sein.
Das moderne abendländische Denken ist ein individualistisches: In diesem Sinn ist Nietzsche der Godfather der Moderne. Inzwischen leben wir in einer (Post)Moderne, die sich selber zu überholen versucht, sodass wir wieder in ein antirationales, esoteroid-ideologistisches Fahrwasser zu geraten drohen. Wie auf einem Jahrmarkt der Weltanschauungseitelkeiten werden vorgekaute wiederverwertete Dogmen als Wundermittel für und gegen alles verkauft, eine weltumspannende medicine-show-industrie (und ich meine nicht nur Hollywood) hat die Seelenverunsicherung der Massen als Macht- und Geldeinbringungsmöglichkeit entdeckt und die Werbekampagnen laufen höchsttourig: Kauf mich! rufen die einzelnen Götter und Gottesersetzer, ich bin schöner, grösser, grausamer, lustiger, jenseitiger, tiefgründiger, sinnlicher, emotionsvermittelnder als die andern. Auf allen Büchern der verschiedenen Sekten steht „Wahrheit!“ (Prawda russisch), oder zumindest steht die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit drinnen. Und wehe man bezweifelts: Dann wird man zum Ghiaur (arab. „Ungläubiger“ oder halt zum „Heiden“, was ja auch nichts anderes heisst und in den Ohren der Blindgläubigen Blankhassgefühle freisetzt. Und die Propheten des Zweifels, die Durcheinanderwerfer und Hinterfrager werden zu diabolischen Figuren (Teufel > diabolos: Durcheinanderwerfer, Verleumder: Sie verleumden die Inhalte der alles wissenden heiligen Schriften als vielleicht doch hinterfragenswert, das genügt: Wie in des Kaisers neue Kleider wird die staunende Unschuldsfrage zum grossen Skandal: Im Märchen gehts gut aus, und alle sehen ein, dass sie vorher dumm waren, weil sie sich selbst belogen haben, in der geschichtlichen Realität muss man durch geeignete Erziehungsmassnahmen das Menschenskind zum Verschweigen oder gar zum Verschwinden bringen).
Nietzsche schreibt im Zarathustra den schreienden Satz: Ich beschwöre euch, meine Freunde: Bleibt mir der Erde treu! – Das war der Höhepunkt des Beginns des Endes der kulturellen Umnachtung, und dieser Satz hat nichts an Brisanz verloren, sodass Nietzsche in der Rezeption der aktuellen akademischen Philosophie nach wie vor höchsten Stellenwert besitzt. Fast jeder scheint zumindest Essays, wenn nicht Bücher über Nietzsche geschrieben zu haben, fast überall taucht er – wenigstens zitatenmässig – auf und sogar seine sachlichen Extremfeinde – zB der momentan wohl einflussreichste Philosoph Richard Rorty – zollen ihm Respekt: Selbst Rorty meint, dass, wenn eine Kultur nicht mehr in der Lage wäre „tanzende Sterne zu gebären“ (Nietzsche ), sie es nicht wert wäre zu florieren. (Die reinen Adepten der Mittelmässigkeit und des Banal-Mediokren wie Jürgen Habermas nehme ich da aus; zwar schreiben bzw schimpfen sie auch über Nietzsche, aber das ähnelt dem Geseufze und Gejammer alter Jungfern über über die Frechheiten der Jungen, die noch Geistessex haben).
Nietzsche gilt als rechter Philosoph, und das nicht ganz zu Unrecht, wenn man unter „links“ ein dogmatisches, anti-individualistisches, gleichmacherisches, den Demokratismus vergöttlichendes, selbstunkritisch-besserwisserisches, amoralisch-nihilistisches und die Massen verherrlichendes ideologisches System versteht. Ich würde ihn eher als geistigen Anarchisten sehen, als einen, der sich unter keinen Umständen das Recht nehmen lässt, zu seinen eigenen Vermutungen und Vorübergangsurteilen zu gelangen. Man könnte zwischen „horizontalistischen“ und „vertikalistischen“ Denkmustern unterscheiden: Der Egalitarismus ist horizontal: Alle sind gleich, niemand steht irgendwie höher, Hitler und Mutter Teresa sind sehr ähnlich, wir sind alle nur Menschen, jeder bemüht sich, eigentlich sollte man niemanden be- oder gar verurteilen, und die Psychologie liefert uns viele Handhaben für das Nivellieren undNihilieren des Unterschiedlichen. Nietzsche ist Vertikalist du Elitist: Der Mensch ist ein besserer, der sich redlich bemüht, ein besserer Mensch zu werden („Mensch, werde wesentlich“ Werde, der du bist!“). Kants „guter Wille“ hätte bei den Horizontalisten keinen Sinn mehr, weil einer, der sich bemüht, über seinen Schatten zu springen und ein Rücksichtsvollerer oder gar Liebenderer zu werden, von vorneherein chancenlos wäre, denn man hätte ihm – gelänge es den Seelengleichmachern, es ihm glaubhaft einzureden - den Brennstoff geraubt: Selbst wenn du es schafftest, du wärst um nichts besser, vielleicht sogar hochmütiger als die, die sich in ihren autistischen Kokons zurückgezogen haben. Nietzsche wird nicht müde, für die Beibehaltung der Ethik zu schimpfen und jene zu verfluchen, die entweder die Moral als solche verteufeln oder – schlimmer noch – moralinsauer daherschwafeln, um dem Gegenteil, nämlich ihrer blanken Machtgier zu frönen. Er ist ein Desperado für die verloren zu gehen scheinende Sache der Redlichkeit (die er als letztübrigbleibende und also wichtigste Tugend des Philosophen bezeichnet).
Bei der Analyse theoretischer Modernismen fällt einem tatsächlich der hohe Grad inkonsistenter und kulturanbiederischer Schleimformulierungen auf, die offenbar damit zu tun haben, dass es inzwischen „gefährlich“ geworden ist, Klartext und Tacheles zu reden. Wer sich selbst nicht traut, freche Provokationen auszusprechen, zitiert Nietzsche, immerhin etwas. Die Philosophen sind aufgefordert, etwas mehr Mut zu zeigen und sich nicht prophylaktisch in den Elfenbeintürmen eines pseudoliberalen Selbstzweifels zu verstecken. Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken, im Hirn sozusagen, und es hilft nicht immer, einfach nurmehrnoch die Mundatmung zu bevorzugen. Nietzsche zeigte, dass der rechte (im Sinn von richtig?) Philosoph nicht einmal zwischen den Stühlen sitzt, er bewegt sich vielmehr und schleicht herum als der ewige Wanderer auf der Suche nach dem Neuen: Dauernd trifft er auf rabiate Hunde, die ihn verbellen, aber es gibt ja auch ein Angstbellen und längst lässt sich der redliche Denker nicht mehr so leicht ins Bockshorn jagen. Wenn er aber zwischen dem Stuhl des reaktionären Traditionalisten und dem des pseudoprogressiven Modernitätsfanatikers sässe, so würde der eine ihn als zu links bezeichnen, während der andere ihn als Ewiggestrigen am liebsten von der Bildfläche verschwinden liesse.
Wie aber kann man sich die ungebrochene Widerstandsfähigkeit Nietzschescher Gedanken, wie sie sich eben in dieser andauernden Rezeption ablesen lässt, erklären? Sollte es nur daran liegen, dass Nietzsche, wie auch von den schärfsten Literatur- und Stilkritikern eingestanden wird, der schönstmöglichen Sprache bedient?
Das moderne abendländische Denken ist ein individualistisches: In diesem Sinn ist Nietzsche der Godfather der Moderne. Inzwischen leben wir in einer (Post)Moderne, die sich selber zu überholen versucht, sodass wir wieder in ein antirationales, esoteroid-ideologistisches Fahrwasser zu geraten drohen. Wie auf einem Jahrmarkt der Weltanschauungseitelkeiten werden vorgekaute wiederverwertete Dogmen als Wundermittel für und gegen alles verkauft, eine weltumspannende medicine-show-industrie (und ich meine nicht nur Hollywood) hat die Seelenverunsicherung der Massen als Macht- und Geldeinbringungsmöglichkeit entdeckt und die Werbekampagnen laufen höchsttourig: Kauf mich! rufen die einzelnen Götter und Gottesersetzer, ich bin schöner, grösser, grausamer, lustiger, jenseitiger, tiefgründiger, sinnlicher, emotionsvermittelnder als die andern. Auf allen Büchern der verschiedenen Sekten steht „Wahrheit!“ (Prawda russisch), oder zumindest steht die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit drinnen. Und wehe man bezweifelts: Dann wird man zum Ghiaur (arab. „Ungläubiger“ oder halt zum „Heiden“, was ja auch nichts anderes heisst und in den Ohren der Blindgläubigen Blankhassgefühle freisetzt. Und die Propheten des Zweifels, die Durcheinanderwerfer und Hinterfrager werden zu diabolischen Figuren (Teufel > diabolos: Durcheinanderwerfer, Verleumder: Sie verleumden die Inhalte der alles wissenden heiligen Schriften als vielleicht doch hinterfragenswert, das genügt: Wie in des Kaisers neue Kleider wird die staunende Unschuldsfrage zum grossen Skandal: Im Märchen gehts gut aus, und alle sehen ein, dass sie vorher dumm waren, weil sie sich selbst belogen haben, in der geschichtlichen Realität muss man durch geeignete Erziehungsmassnahmen das Menschenskind zum Verschweigen oder gar zum Verschwinden bringen).
Nietzsche schreibt im Zarathustra den schreienden Satz: Ich beschwöre euch, meine Freunde: Bleibt mir der Erde treu! – Das war der Höhepunkt des Beginns des Endes der kulturellen Umnachtung, und dieser Satz hat nichts an Brisanz verloren, sodass Nietzsche in der Rezeption der aktuellen akademischen Philosophie nach wie vor höchsten Stellenwert besitzt. Fast jeder scheint zumindest Essays, wenn nicht Bücher über Nietzsche geschrieben zu haben, fast überall taucht er – wenigstens zitatenmässig – auf und sogar seine sachlichen Extremfeinde – zB der momentan wohl einflussreichste Philosoph Richard Rorty – zollen ihm Respekt: Selbst Rorty meint, dass, wenn eine Kultur nicht mehr in der Lage wäre „tanzende Sterne zu gebären“ (Nietzsche ), sie es nicht wert wäre zu florieren. (Die reinen Adepten der Mittelmässigkeit und des Banal-Mediokren wie Jürgen Habermas nehme ich da aus; zwar schreiben bzw schimpfen sie auch über Nietzsche, aber das ähnelt dem Geseufze und Gejammer alter Jungfern über über die Frechheiten der Jungen, die noch Geistessex haben).
Nietzsche gilt als rechter Philosoph, und das nicht ganz zu Unrecht, wenn man unter „links“ ein dogmatisches, anti-individualistisches, gleichmacherisches, den Demokratismus vergöttlichendes, selbstunkritisch-besserwisserisches, amoralisch-nihilistisches und die Massen verherrlichendes ideologisches System versteht. Ich würde ihn eher als geistigen Anarchisten sehen, als einen, der sich unter keinen Umständen das Recht nehmen lässt, zu seinen eigenen Vermutungen und Vorübergangsurteilen zu gelangen. Man könnte zwischen „horizontalistischen“ und „vertikalistischen“ Denkmustern unterscheiden: Der Egalitarismus ist horizontal: Alle sind gleich, niemand steht irgendwie höher, Hitler und Mutter Teresa sind sehr ähnlich, wir sind alle nur Menschen, jeder bemüht sich, eigentlich sollte man niemanden be- oder gar verurteilen, und die Psychologie liefert uns viele Handhaben für das Nivellieren undNihilieren des Unterschiedlichen. Nietzsche ist Vertikalist du Elitist: Der Mensch ist ein besserer, der sich redlich bemüht, ein besserer Mensch zu werden („Mensch, werde wesentlich“ Werde, der du bist!“). Kants „guter Wille“ hätte bei den Horizontalisten keinen Sinn mehr, weil einer, der sich bemüht, über seinen Schatten zu springen und ein Rücksichtsvollerer oder gar Liebenderer zu werden, von vorneherein chancenlos wäre, denn man hätte ihm – gelänge es den Seelengleichmachern, es ihm glaubhaft einzureden - den Brennstoff geraubt: Selbst wenn du es schafftest, du wärst um nichts besser, vielleicht sogar hochmütiger als die, die sich in ihren autistischen Kokons zurückgezogen haben. Nietzsche wird nicht müde, für die Beibehaltung der Ethik zu schimpfen und jene zu verfluchen, die entweder die Moral als solche verteufeln oder – schlimmer noch – moralinsauer daherschwafeln, um dem Gegenteil, nämlich ihrer blanken Machtgier zu frönen. Er ist ein Desperado für die verloren zu gehen scheinende Sache der Redlichkeit (die er als letztübrigbleibende und also wichtigste Tugend des Philosophen bezeichnet).
Bei der Analyse theoretischer Modernismen fällt einem tatsächlich der hohe Grad inkonsistenter und kulturanbiederischer Schleimformulierungen auf, die offenbar damit zu tun haben, dass es inzwischen „gefährlich“ geworden ist, Klartext und Tacheles zu reden. Wer sich selbst nicht traut, freche Provokationen auszusprechen, zitiert Nietzsche, immerhin etwas. Die Philosophen sind aufgefordert, etwas mehr Mut zu zeigen und sich nicht prophylaktisch in den Elfenbeintürmen eines pseudoliberalen Selbstzweifels zu verstecken. Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken, im Hirn sozusagen, und es hilft nicht immer, einfach nurmehrnoch die Mundatmung zu bevorzugen. Nietzsche zeigte, dass der rechte (im Sinn von richtig?) Philosoph nicht einmal zwischen den Stühlen sitzt, er bewegt sich vielmehr und schleicht herum als der ewige Wanderer auf der Suche nach dem Neuen: Dauernd trifft er auf rabiate Hunde, die ihn verbellen, aber es gibt ja auch ein Angstbellen und längst lässt sich der redliche Denker nicht mehr so leicht ins Bockshorn jagen. Wenn er aber zwischen dem Stuhl des reaktionären Traditionalisten und dem des pseudoprogressiven Modernitätsfanatikers sässe, so würde der eine ihn als zu links bezeichnen, während der andere ihn als Ewiggestrigen am liebsten von der Bildfläche verschwinden liesse.
Wie aber kann man sich die ungebrochene Widerstandsfähigkeit Nietzschescher Gedanken, wie sie sich eben in dieser andauernden Rezeption ablesen lässt, erklären? Sollte es nur daran liegen, dass Nietzsche, wie auch von den schärfsten Literatur- und Stilkritikern eingestanden wird, der schönstmöglichen Sprache bedient?