G
grübelmonster
Guest
* mittendrin * 9
Zettelwirtschaft
Heute habe ich die Fenster geöffnet, und der Sturm kam herein, hielt sich ein wenig in Fensternähe an meinem Schreibtisch auf, von dem er dann einige meiner losen Blätter mit sich nahm. Da flogen nun meine ‚Selbsterkenntnisse’ durch die Zweige des dicken Nadelbaums, meine ‚Berichte vom ‚Nonsens-Berichterstatter’ hinter den Hunden her, die die Brücke zum Wald überquerten, und mein ‚Tagebuch einer Verstorbenen’ wiegte sich lustvoll auf den wind-erzeugten Wellen des kleinen Baches gegenüber. In den Spitzen der Bäume, die manchmal stadteinwärts zu wandern schienen, wenn mein Körper sich darauf verlegt hatte, mir durch Täuschungen Angst einzujagen, verfingen sich meine „Fragen zum Zeitgeschehen“ und meine Betrachtungen über mich und Friedrich den Zweiten, gefolgt von einem „Traumhaften Blatt“ und der schriftlichen Frage „Was ist ein Augenblick“.
So besetzten meine schriftlichen Gedanken nun also die Landschaft um das Haus herum. Der Sturm lachte sich eins und zog dann weiter. Eine neugierige Herbstsonne betrachtete dennoch das alles gelassen und schonte lieber ihre Kräfte. Und ein paar gierige Elstern waren schnell enttäuscht, daß die Blättchen mit meinen Aufzeichnungen nicht lohnten, sie zu klauen.
Hinter meinen nun wieder geschlossenen Fenstern ging es mir gut. Ich fand den Vorgang witzig. Niemand hatte je meine Texte lesen wollen. Nun aber war die Natur zu meiner Leserschaft geworden. Ich wühlte von zuunterst aus dem Schrank meinen Pelzmantel, den ich eigentlich nicht mehr hatte tragen wollen -, aber draußen war es kalt und meine eigenen Wärmespeicher gaben altersbedingt nicht mehr allzuviel her. Also entschuldigte ich mich in Gedanken bei den Tierchen, die für mein Wohlbehagen hatten ihr Leben lassen müssen -, und ging dann hinaus, um meinen Gedanken noch einmal nahe zu sein, ehe der nächste Regen sie vernichten würde.
Eines der Zettelchen hatte das Geäst einer alten Eiche verlassen und flog mir vor die Füße. Lies noch einmal, was du da von dir gegeben hast -, schien es mitzuteilen, und ich hob es auf, lehnte mich an den Lattenzaun, der das Vogelgehege umgab, und fing an zu lesen.
„Wer den Wind sehen möchte oder die Spinne aus dem Gesicht eines Verschrobenen entfernen -, wer Farben nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Gehirn genießen möchte -, wer um Verständnis ringt, ohne betteln zu wollen -, wer sich ummantelt mit dem Schein einer Gelassenheit, die er nicht hat -, wer sich zurückzieht in eine Einsamkeit, die für ihn keine ist -, wer sich schämt für seine Gefühle und sie dennoch nicht verleugnen möchte -, wer einen Weg wählt außerhalb des Gewöhnlichen und das Hohn-Gelächter anderer ignoriert ... ..., der braucht kein „Sesam-öffne-dich“. Der wird, wenn die Gedanken sich draußen verteilen, drinnen wieder neue bekommen. Wird seine Farben genießen, seltene Wörter entstehen lassen, bizarre Bilder entwerfen – und für seine Talente dankbar sein. Wieso sollte er sich zwingen lassen, den Normen anderer zu leben.“
Meinen letzten Satz fand ich ganz in Ordnung, soweit er mich betraf, ich wunderte mich nun aber sehr, daß der kleine Zettel die Ausmaße einer Papyrus-Rolle angenommen hatte: kein Ende in Sicht -, was mag da wohl noch alles aufgeschrieben sein. Ich kann mich selten an meine Texte erinnern und lese in ihnen nach längerer Zeit wie in einem Buch eines anderen Verfassers. So war das nun auch hier.
******************
Es wurde schon dunkel, als ich zu Ende gelesen hatte. Aus der Papierrolle war eine neue geworden, die dort begann, wo die andere beim Lesen aufgehört hatte. Ich wog sie in meiner Hand und befand sie für schwer- und schwer erfindlich so manchen Text - und schwer verständlich so manche Beschreibung. Im Vogelgehege war es still geworden. Meine Phantasie beruhigte mich mit den Bildern der Vögel, wie sie ihre Köpfe zum Schlafen ins Gefieder versteckt haben. Darin sind sie beneidenswert. Immer dann, wenn man es wünscht, keinen Kopf mehr haben für schmerzhafte Geräusche, grelle Farben und gallige Geschmacks-Sensationen. Keine Sinne mehr haben für ein unerträgliches Alltags-Mittendrin ..., bis ein neuer Morgen neue Hoffnung schöpfen läßt.
Dann trat ich den Heimweg an.
Zurück zu meiner „Blättchenwirtschaft“, meinem Reichtum an gesammelten Gefühlen, von denen ein übermütiger Wind einige hinweggefegt hatte, um sie der Welt mitzuteilen.
Zettelwirtschaft
Heute habe ich die Fenster geöffnet, und der Sturm kam herein, hielt sich ein wenig in Fensternähe an meinem Schreibtisch auf, von dem er dann einige meiner losen Blätter mit sich nahm. Da flogen nun meine ‚Selbsterkenntnisse’ durch die Zweige des dicken Nadelbaums, meine ‚Berichte vom ‚Nonsens-Berichterstatter’ hinter den Hunden her, die die Brücke zum Wald überquerten, und mein ‚Tagebuch einer Verstorbenen’ wiegte sich lustvoll auf den wind-erzeugten Wellen des kleinen Baches gegenüber. In den Spitzen der Bäume, die manchmal stadteinwärts zu wandern schienen, wenn mein Körper sich darauf verlegt hatte, mir durch Täuschungen Angst einzujagen, verfingen sich meine „Fragen zum Zeitgeschehen“ und meine Betrachtungen über mich und Friedrich den Zweiten, gefolgt von einem „Traumhaften Blatt“ und der schriftlichen Frage „Was ist ein Augenblick“.
So besetzten meine schriftlichen Gedanken nun also die Landschaft um das Haus herum. Der Sturm lachte sich eins und zog dann weiter. Eine neugierige Herbstsonne betrachtete dennoch das alles gelassen und schonte lieber ihre Kräfte. Und ein paar gierige Elstern waren schnell enttäuscht, daß die Blättchen mit meinen Aufzeichnungen nicht lohnten, sie zu klauen.
Hinter meinen nun wieder geschlossenen Fenstern ging es mir gut. Ich fand den Vorgang witzig. Niemand hatte je meine Texte lesen wollen. Nun aber war die Natur zu meiner Leserschaft geworden. Ich wühlte von zuunterst aus dem Schrank meinen Pelzmantel, den ich eigentlich nicht mehr hatte tragen wollen -, aber draußen war es kalt und meine eigenen Wärmespeicher gaben altersbedingt nicht mehr allzuviel her. Also entschuldigte ich mich in Gedanken bei den Tierchen, die für mein Wohlbehagen hatten ihr Leben lassen müssen -, und ging dann hinaus, um meinen Gedanken noch einmal nahe zu sein, ehe der nächste Regen sie vernichten würde.
Eines der Zettelchen hatte das Geäst einer alten Eiche verlassen und flog mir vor die Füße. Lies noch einmal, was du da von dir gegeben hast -, schien es mitzuteilen, und ich hob es auf, lehnte mich an den Lattenzaun, der das Vogelgehege umgab, und fing an zu lesen.
„Wer den Wind sehen möchte oder die Spinne aus dem Gesicht eines Verschrobenen entfernen -, wer Farben nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Gehirn genießen möchte -, wer um Verständnis ringt, ohne betteln zu wollen -, wer sich ummantelt mit dem Schein einer Gelassenheit, die er nicht hat -, wer sich zurückzieht in eine Einsamkeit, die für ihn keine ist -, wer sich schämt für seine Gefühle und sie dennoch nicht verleugnen möchte -, wer einen Weg wählt außerhalb des Gewöhnlichen und das Hohn-Gelächter anderer ignoriert ... ..., der braucht kein „Sesam-öffne-dich“. Der wird, wenn die Gedanken sich draußen verteilen, drinnen wieder neue bekommen. Wird seine Farben genießen, seltene Wörter entstehen lassen, bizarre Bilder entwerfen – und für seine Talente dankbar sein. Wieso sollte er sich zwingen lassen, den Normen anderer zu leben.“
Meinen letzten Satz fand ich ganz in Ordnung, soweit er mich betraf, ich wunderte mich nun aber sehr, daß der kleine Zettel die Ausmaße einer Papyrus-Rolle angenommen hatte: kein Ende in Sicht -, was mag da wohl noch alles aufgeschrieben sein. Ich kann mich selten an meine Texte erinnern und lese in ihnen nach längerer Zeit wie in einem Buch eines anderen Verfassers. So war das nun auch hier.
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Es wurde schon dunkel, als ich zu Ende gelesen hatte. Aus der Papierrolle war eine neue geworden, die dort begann, wo die andere beim Lesen aufgehört hatte. Ich wog sie in meiner Hand und befand sie für schwer- und schwer erfindlich so manchen Text - und schwer verständlich so manche Beschreibung. Im Vogelgehege war es still geworden. Meine Phantasie beruhigte mich mit den Bildern der Vögel, wie sie ihre Köpfe zum Schlafen ins Gefieder versteckt haben. Darin sind sie beneidenswert. Immer dann, wenn man es wünscht, keinen Kopf mehr haben für schmerzhafte Geräusche, grelle Farben und gallige Geschmacks-Sensationen. Keine Sinne mehr haben für ein unerträgliches Alltags-Mittendrin ..., bis ein neuer Morgen neue Hoffnung schöpfen läßt.
Dann trat ich den Heimweg an.
Zurück zu meiner „Blättchenwirtschaft“, meinem Reichtum an gesammelten Gefühlen, von denen ein übermütiger Wind einige hinweggefegt hatte, um sie der Welt mitzuteilen.