AW: Menschenrechte + entrechtete Menschen
"Theater der inszenierten Freiheit, 14.07.1789 - 14.07.2014
So richtig Demokratie ist immer noch nicht, obwohl schon vor 225
Jahren sehr weitsichtig formuliert wurde, dass eine freiheitlich
demokratische Grundordnung nur mit einer aufgeklärten Allgemeinheit
zu haben ist.
Dass, um mal beim Kantschen Zitat zu bleiben, den Wesen bewusst ist,
warum sie die Regeln des Staats befolgen. Sprich, ein minimales
politisches Bewusstsein, das kleine 1x1 der Staatstheorie ist
überhaupt die Bildungsgrundlage für die Konstruktion eines Staats mit
freien Bürgern (vgl. "Citoyen"). Der ja vor allem von Ideen lebt, die
Menschen teilen..
Die Aufklärung, der "Ausgang des Menschen aus seiner
selbstverschuldeten Unmündigkeit" oder anders gesagt "das weltweite
Ende der selbstgemachten Dummheit" war also zum Problem der
herrschenden Klasse geworden - schon lange wussten Machiavellisten
"dumm nickt gut"..
Dann kam Ende des 19. Jh. der Strom. Industrialisierung, Explosion
von Wissenschaft und (Nachrichten-..)Technik, das Overclocking des
Globus begann, weil es nun modern war, modern zu sein..
Mit dem Wunder der elektrischen Energie konnten Volksempfänger und
nachfolgende, mediale Matrix-Repeater gebaut werden. Die
Bewusstseinsindustrie entstand, konnte aber erst nach dem 2. WK mit
der Verbreitung des Fernsehens ihre Produktion und
Vertriebsstrukturen im globalen Maßstab ausbauen. Der Bedarf an
schlichten Welterklärungsmodellen war ja schon von Kirchenvätern über
Jahrhunderte mit unmenschlichsten Methoden geschaffen worden: Das
Erfinden neuer Götzen und Mythen, das immergleiche Prophezeien von
Heilsversprechen, die Hoheit zur Deutung der Welt, des vermeintlich
unverrückbar schlechten Menschen, der "Feinde" -
"Es ist so bequem, unmündig zu sein. [ .. ] Ich habe nicht nötig zu
denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche
Geschäft schon für mich übernehmen." (Kant, "Was ist Aufklärung?")
Eine mentale Version des in christlicher Tradition geprägten
Ablasshandels war etabliert: Das "verdriessliche Geschäft" des
Denkens übernahmen TV-Prediger, deren Kanzel nun praktischerweise in
jedem Wohnzimmer installiert war und die pausenlos höchstoffizielle
"Nachrichten" zum Nach-richten lieferten. Es war magisch - in
(massen-)bewegenden Bewegtbildern konnte das ganze Instrumentarium
der politischen Affektenlehre erst richtig erblühen. Die stets
mythisch-religiös verklärte Herrschaftsdoktrin konnte
empfangsbereiten Hörern und Hörigen rund um die Uhr elektronisch
eingehämmert werden. Das Fernsehen war modern und selbst Zeichen des
Fortschritts; in diesem weltbedeutenden, neuen Medium durften
selbstredend nur ausgesprochene Experten zu Wort kommen: Die moderne
Expertokratie war geboren, bei der bis heute leider nur Experten
beurteilen können, ob sie hinterfragt werden darf..
Der Wissenschutz versucht also seit Jahrhunderten, die Aufklärung zu
verhindern. Aus politischen und ökonomischen Interessen wird Wissen
zurückgehalten, verwaltet, kommerzialisiert - Regierungen arbeiten
systematisch gegen die Bevölkerung, weil ihre Macht auf dem
Nichtwissen der Mehrheit beruht. Bisher hat nicht zuletzt die Schule
dieser Gegenaufklärung gute Dienste geleistet; Bildung und
Intelligenz haben sich noch nicht so weit verbreitet, dass einer
Mehrheit überhaupt die geistigen Werkzeuge vermittelt wären, die
Systeme, in denen sie leben, zu hinterfragen - also grundsätzlich
mitsprachebefähigt und damit auch -berechtigt zu sein.
"Halt Du sie dumm, ich halt sie arm" war das Konzept, das den
Planeten unabhängig vom zeitgeistigen Etikett der jeweils aktuellen
Gesellschaftsform beherrschte. Doch wenn die Welt heute ein Problem
mit der Verbreitung von Information hat, hat sie in Wahrheit nur ein
Problem mit grenzenloser Dämlichkeit: Was ist die "Verbreitung von
Information"? Vielleicht, nach den eher bescheidenen Erkenntnissen
der modernen (..) Wissenschaft, das Leben selbst? Was geschieht bei
der Teilung einer Zelle? Wird da DNA-Information kopiert? Ohne DRM?
Was sind denn biochemische Botenstoffe, Schaltkreise von
Neurotransmittern anderes als organische Nachrichtensysteme?
Die Macht, die sich durch Gewalt und nicht Vernunft zu legitimieren
sucht, besitzt keine Autorität. Sie braucht nicht nur Fassaden von
Stärke, Größe und Dominanz, um ihr Wesen zu verschleiern, sondern
auch gut geölte Propagandamaschinen, die nur eine Botschaft
verbreiten sollen: Dass der Mensch unveränderlich böse sei. Max
Horkheimer schrieb sinngemäß "das Vorurteil des Hasses ist daher so
unverrückbar, weil es dem Einzelnen erlaubt, schlecht zu sein und
sich dabei für gut zu halten."
Nächstenliebe hat bisherige "Autoritäten" nicht an die Macht
gebracht, also darf man ihren, sicherlich auch biographisch
begründeten Botschaften der Angst, des Hasses und der Gewalt nicht
länger glauben schenken. Es ist "nur" der für sie einem Todesurteil
gleichkommende Machtverlust, die Projektion ihrer Existenzangst, die
die drohende Vernichtung Jahrhunderte alter Elfenbeintürme,
Wissensvorsprünge und Deutungshoheiten ganzer Medienimperien auslöst
und sie in die Alternativlos-Hysterie verfallen lässt.
So richtig Demokratie ist also immer noch nicht, aber die
Möglichkeiten zur Aufklärung sind heute ungleich größer. Sapere aude."
derJ