Original geschrieben von Robin
Zum anderen Punkt. Der radikale Konstruktivismus war nur ein Anfang. Der "operative Konstruktivismus" (die Systemtheorie) bezweifelt nicht, dass alle Dinge auch "für sich" existieren. Alles andere wäre Mumpitz. Aber man kann die Welt nur anhand seiner Beobachtungen und Wahrnehmungen beschreiben. Man ist Beobachter von Beobachtern. Und aus dieser Wechselwirkung von Selbstbeobachtung (Selbstreferenz) und dem Beobachten anderer (Fremdrefernz) versucht man ein Modell der Welt zu konstruieren, das man dann möglichst generalisiert beschreibt, um auch andere daran teilhaben zu lassen.
Dennoch bleibt bei dieser (eigentlich soziologischen Weltsicht) nicht aus, das Dinge ungewohnt beschrieben werden und Vergleiche gezogen werden, die recht unüblich sind.
(...)
P.S. ich werde bestimmt icht immer alles in ein System einordnen...aber ich bin einfach gespannt, ob sich Leute finden, die sich für diese hochmoderne Weltsicht interessieren - oft scheint alles philosophieren spätestens bei Nietzsche oder Sartre aufgehört zu haben.
Schöne Grüße und schönen Advent
Jenseits von Gott und Nietzsche
Es ist schön, etwas von dieser „hochmodernen“ Philosophie Luhmanns zu lesen, der Habermas in seiner wahrscheinlich nicht gerade so „modernen“ Philosophie Verwandtschaft zur Subjektphilosophie nachgewiesen hat. Es ist leider so, dass ich mit Herrn Habermas nicht immer einer Meinung bin, aber in diesem Punkt leuchtet seine Argumentation durchaus ein.
Das schönste an Luhmanns Philosophie ist natürlich der „blinde Fleck“, der auf Heinz von Foersters Formulierung des „blind spot“ zurückzuführen ist. Dieses Prinzip besagt eigentlich nicht viel mehr, als dass eine Beobachtung, die sich an irgendeiner Unterscheidung orientiert – und alle Beobachtungen tun dies (sie orientieren sich sozusagen an den „Codes der Funktionssysteme“) – und konstruktivistisch anhand der Ableitung aus dieser Unterscheidung weiterfährt zu beobachten, an die getroffene Entscheidung nicht wieder mit derselben Unterscheidung herangehen kann (Beispiel mit dem binären Code wahr/unwahr: Wenn eine Beobachtung sich an dieser Unterscheidung orientiert, ist sie selbst nicht in der Lage zu beobachten, ob die Entscheidung für eine der Oppositionen oder auch für ein Sich-Entgegensetzen gegen diese Opposition als ein Ganzes, wiederum wahr oder unwahr ist). Um also konstruktivistisch beobachten zu können, schliesst man immer schon etwas aus: den blinden Fleck der eigenen Beobachtung. Das heisst also, man konstatiert etwas, indem man einen Schnitt macht, einen Moment isoliert und eine Seite einer binären Opposition für eine weiterführende Beobachtung präferiert und stark macht. Auch Luhmann ist kein Beobachter seiner eigenen Beobachtungen – wir haben es also mit einem Paradox zu tun und mit einem Kniff, dieses mittels eines laschen Verweises auf den „blinden Fleck“ weg zu konstruieren, sprich: eigentlich auszublenden. Das bedauernswerte Axiom, von dem hier gesagten her weiterzuführen, mündet in der Formulierung eines Satzes, den wir alle kennen. Man darf ihn getrost den „Satz vom Grund“ nennen oder aber auch den „Satz vom Widerspruch“ (beispielsweise). Ich zitiere mit grossem Vergnügen abermals Nietzsche: „Wenn nach Aristoteles der Satz vom Widerspruch der gewisseste aller Grundsätze ist, wenn er der letzte und unterste ist, auf den alle Beweisführungen zurückgehn, wenn in ihm das Princip aller anderen Axiome liegt: um so strenger sollte man erwägen, was er im Grunde schon an Behauptungen voraussetzt.“
Was mich mindestens ebenso sehr interessiert wie die paradoxe Dekonstruktion des „Satzes vom Widerspruch“ ist das Erbe der Subjektphilosophie, das auf der Systemtheorie lastet. Denn die Gewissheit, dieser Grundsatz, mit dem Beobachten trotz des festgestellten „blinden Flecks“, der konsequenterweise nicht feststellbar ist und von Luhmann ex negativo formuliert werden muss, weiterzufahren, ist als Analogie zum ‚Ich’ als einem ‚ich denke’ zu betrachten. ‚Ich denke’ heisst, dass das ‚ich’, dass dieses ‚ich denke’ ausspricht, den Widerspruch vermeiden möchte. Denn mit der Aussprache ‚cogito’ – ‚sum’ wird immer bereits das ausgesprochen, das im ‚suiectum’ liegt, nämlich das ‚ego’. Und gegen dieses ‚ego’ kann das Prädikat, d.h. das, was im Prädikat gesetzt und gesprochen ist, nicht sprechen.
Ich habe hier den Imperativ der Logik nachgezeichnet, der Imperativ der Logik als Imperativ. Und um mit Nietzsche zu sprechen wäre die Logik nach dem Satz „vom Widerspruch“: „(…)ein Imperativ, nicht zur Erkenntnis des Wahren, sondern zur Setzung und Zurechtmachung einer Welt, die uns wahr heissen soll.“
Ob dann noch Dinge „für sich“ stehen sollen, ob es da mit Gewissheit einen wohl „an sich seienden“ Beobachtenden gibt, das sind Fragen, die sich wohl nur mit einem Beharren, einem setzenden und gewaltsamen Beharren auf dem sich selbst den Boden entziehenden „Satz vom Widerspruch“ beantworten lassen. Wenn also ein Subjekt gesetzt wird, ein Beobachtendes, dann ist eine Selbstbeobachtung nur mittels Unterscheidung und schliesslich Isolierung eines Anderen möglich, das in seiner Andersheit niemals erfasst (und belassen) werden kann (Luhmann glaubte selbst zu wissen, dass die „Umwelt“ eines „Systems“ offen sei). Dies führte konsequenterweise wiederum zur Errichtung einer unvollständigen, da über das Andere bedingte, Identität des Beobachtenden und einer Unterminierung des Beobachtungspunktes. Das „Modell der Welt“, das aus der seltsamen „Wechselwirkung“ zwischen diesen unmöglichen Positionen entstehen soll, wäre also anhand der Logik der eigenen Theorie paradoxer „Mumpitz“. Denn wer beobachtet, wenn es den Beobachtenden und das Beobachtete „an und für sich“ so leichtfertig nicht geben kann? Für mich konstruiert sich Luhmann, ein wenig unehrlich zwar, in den von ihm selbst über eine gewisse Zuschüttung geschaffenen Abgrund und versucht dies auf schlaue und Art und Weise zu kaschieren.
Alles, was ich sagen möchte: Einen Fritz Nietzsche wischt man nicht so leicht vom Tisch.
Wir sind – eine sehr tollkühne These – längst nicht jenseits von Nietzsche angelangt und den Tod des absoluten Subjekts, den Tod Gottes, den haben wir gleichsam längst nicht so gut verdaut, wie es den Anschein gemeinhin machen könnte.
Zur Liebe zu den Sachen fällt mir ein: Liebt man denn jemals anderes, als eine Sache? Mir wurde längst nicht überzeugend dargestellt, dass man an einer Person nicht schon immer nur die Person als Sache liebt, die Person als Bündel von Eigenschaften, die wir der Person zugeschrieben haben müssen, um mit ihr in Korrespondenz getreten zu sein. Liebt man die Person um ihrer selbst willen, auch wenn sie ihr ‚Selbst’ just im Moment verlieren musste, als sie als Person von einem Anderen erkannt wurde?
Liebt man also ein Moment dieses Etwas (dieser Sache), dieses Beziehungsstiftenden, das zur Identität der Beziehung und überhaupt zur Identität der einen Person (unter der Prämisse der Auseinandersetzung mit einer anderen Person) führt oder liebt man denn wirklich die andere Person? Das zweite würde voraussetzen, dass diese liebende Person, dieses Liebende, bereits zur Liebe (sich in einer Identität mit sich selbst befindend, einem absoluten Bei-Sich-Sein) fähig war, bevor das Andere, bzw. die andere Person aufgetreten ist. Da aber wohl nur das allererste Wesen – wenn es denn ein Wesen war – das ‚ens increatum’ denkbar bei sich selbst war, kann es da eine Liebe zu Personen in aussergöttlichem Sinn geben? Wer anders kann in dieser Logik eine Person lieben ausser Gott? Diese Logik riecht mir – wie die Philosophie Luhmanns – verdächtig nach einer unehrlichen Kaschierung der eigenen theologischen bzw. subjektphilosophischen Wurzeln. Wie ich sagte: Das Jenseits von Gott und Nietzsche ist noch nicht erreicht. Auch nicht mit einer angeblich „hochmodernen Weltsicht“. Nietzsche, leider einer der schlimmsten Oberpriester, hat gelehrt (oder gepredigt), den anzüglichen Priestern nicht so leichtfertig und unbeschwert zu folgen. Hätte man doch auf Zarathustra gehört und ihn gelassen, als er gegen Ende des 2. Kapitels zu einem Heiligen sprach: „Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich euch nichts nehme!“
Ich gestehe: Ich halte ihn immer noch an seiner Ferse fest und klammere mich wie ein Schiffbrüchiger an diese sich in einem reissenden Strudel drehende Planke.