FirstDay
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...und hätte heute Geburtstag. Aus diesem Grund möchte ich Schönes aus seinen Werken zitieren.
Passend zum Turmfalken-Thema, aus meinem Lieblingsbuch "Aus Kinderzeiten", Gesammelte Erzählungen, Erster Band, 1900-1905, Suhrkamp-Taschenbuch 347:
Julikinder
Wir Kinder im Juli geboren
Lieben den Duft des weißen Jasmin,
Wir wandern an blühenden Gärten hin
Still und in schwere Träume verloren.
Unser Bruder ist der scharlachene Mohn,
Der brennt in flackernden roten Schauern
Im Ährenfeld und auf den heißen Mauern,
Dann treibt seine Blätter der Wind davon.
Wie eine Julinacht will unser Leben
Traumbeladen seinen Reigen vollenden,
Träumen und heißen Erntefesten ergeben,
Kränze von Ähren und rotem Mohn in den Händen.
(Ludwig Finckh gewidmet), Aus: "Die Gedichte" Erster Band, Suhrkamp-Taschenbuch 381
Kleiner Knabe
Hat man mich gestraft,
Halt ich meinen Mund,
Weine mich in Schlaf,
Wache auf gesund.
Hat man mich gestraft,
Heisst man mich den Kleinen,
Will ich nicht mehr weinen,
Lache mich in Schlaf.
Grosse Leute sterben,
Onkel, Grosspapa,
Aber ich, ich bleibe
Immer, immer da.
Aus: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", Lebensstufen. Hermann Hesse Lesebuch im Suhrkamp Verlag (Abbildung der Handschrift, mit Beibehaltung der Originalorthographie).
Grüße von FirstDay.
Passend zum Turmfalken-Thema, aus meinem Lieblingsbuch "Aus Kinderzeiten", Gesammelte Erzählungen, Erster Band, 1900-1905, Suhrkamp-Taschenbuch 347:
Es fiel mir der glänzende Herbsttag wieder ein, an dem des Dachbauers Turmfalk aus der Remise durchgegangen war. Der beschnittene Flügel war ihm nachgewachsen, das messingene Fußkettlein hatte er durchgerieben und den engen finsteren Schuppen verlassen. Jetzt saß er dem Haus gegenüber ruhig auf einem Apfelbaum, und wohl ein Dutzend Leute stand auf der Straße davor, schaute hinauf und redete und machte Vorschläge. Da war uns Buben sonderbar beklommen zumute, dem Brosi und mir, wie wir mit allen anderen Leuten dastanden und den Vogel anschauten, der still im Baume saß und scharf und kühn herabäugte.
"Der kommt nicht wieder", rief einer. Aber der Knecht Gottlob sagte: "Fliegen wann er noch könnt, dann wär er schon lang über Berg und Tal."
Der Falk probierte, ohne den Ast mit den Krallen loszulassen, mehrmals seine großen Flügel; wir waren schrecklich aufgeregt, und ich wußte selber nicht, was mich mehr freuen würde, wenn man ihn finge oder wenn er davonkäme.
Schließlich wurde vom Gottlob eine Leiter angelegt, der Dachtelbauer stieg selber hinauf und streckte die Hand nach dem Falken aus.
Da ließ der Vogel den Ast fahren und fing an, stark mit den Flügeln zu flattern.
Da schlug uns Knaben das Herz so laut, daß wir kaum atmen konnten; wir starrten bezaubert auf den schönen, flügelschlagenden Vogel, und dann kam der herrliche Augenblick, daß der Falke ein paar große Stöße tat, und wie er sah, daß er noch fliegen konnte, stieg er langsam und stolz in großen Kreisen höher und höher in die Luft, bis er so klein wie eine Feldlerche war und still im flimmernden Himmel verschwand. Wir aber, als die Leute schon lang verlaufen waren, standen noch immer da, hatten die Köpfe nach oben gestreckt und suchten den ganzen Himmel ab, und da tat der Brosi plötzlich einen hohen Freudensatz in die Luft und schrie dem Vogel nach: "Flieg du, flieg du, jetzt bist du wieder frei."
Julikinder
Wir Kinder im Juli geboren
Lieben den Duft des weißen Jasmin,
Wir wandern an blühenden Gärten hin
Still und in schwere Träume verloren.
Unser Bruder ist der scharlachene Mohn,
Der brennt in flackernden roten Schauern
Im Ährenfeld und auf den heißen Mauern,
Dann treibt seine Blätter der Wind davon.
Wie eine Julinacht will unser Leben
Traumbeladen seinen Reigen vollenden,
Träumen und heißen Erntefesten ergeben,
Kränze von Ähren und rotem Mohn in den Händen.
(Ludwig Finckh gewidmet), Aus: "Die Gedichte" Erster Band, Suhrkamp-Taschenbuch 381
Kleiner Knabe
Hat man mich gestraft,
Halt ich meinen Mund,
Weine mich in Schlaf,
Wache auf gesund.
Hat man mich gestraft,
Heisst man mich den Kleinen,
Will ich nicht mehr weinen,
Lache mich in Schlaf.
Grosse Leute sterben,
Onkel, Grosspapa,
Aber ich, ich bleibe
Immer, immer da.
Aus: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", Lebensstufen. Hermann Hesse Lesebuch im Suhrkamp Verlag (Abbildung der Handschrift, mit Beibehaltung der Originalorthographie).
So rauscht der Baum im Abend, wenn wir Angst vor unsern eigenen Kindergedanken haben. Bäume haben lange Gedanken, langatmige und ruhige, wie sie ein längeres Leben haben als wir. Sie sind weiser als wir, solange wir nicht auf sie hören. Aber wenn wir gelernt haben, die Bäume anzuhören, dann gewinnt gerade die Kürze und Schnelligkeit und Kinderhast unserer Gedanken eine Freudigkeit ohnegleichen.
Wer gelernt hat, Bäumen zuzuhören, begehrt nicht mehr, ein Baum zu sein.
Er begehrt nichts zu sein, als was er ist. Das ist Heimat. Das ist Glück.
Aus: "Hermann Hesse - Bäume", Betrachtungen und Gedichte, Insel Taschenbuch 455
Grüße von FirstDay.