... Ja, ich gebe es zu, dass er auch bei uns auf der Strecke blieb, wie bei Millionen andern Paaren auch. Wer im Dauerstress lebt, denkt nicht daran, sondern erlebt ihn oft nur als Triebentledigungspflicht, der irgendwie nachgekommen werden muss, meist von der männlichen Seite. Wenn es problemlos beiden in den Terminkalender passt, ist das ein Glücksfall. Wenn sie dann auch noch beide in Stimmung dazu sind, sogar ein Hauptgewinn.
Was ich so von jungen Ehepaaren höre, deckt sich mit meiner eigenen Geschichte. Ein früherer Chef meiner Frau pflegte zu sagen, die Ehe sei die teuerste Art, umsonst zu vögeln. Das war natürlich zynisch und ist im Zeitalter der Doppeltverdiener obsolet. Auch mein früherer Chef gab in jungen Jahren zu, dass nichts mehr liefe, was mich sehr verwunderte - bis es mir auch so erging. Nur zugeben tut das fast niemand. Aber so sieht es aus. Viele Singles beneiden Eheleute, weil sie meinen, wir hätten alle regelmäßig Sex. Wenn die wüssten, wie es tatsächlich meist aussieht! Sie sind in dieser Sache wenigstens frei und können, wenn sie wollen.
Ich kann natürlich nicht für Leute sprechen, die stressfrei leben, also nicht arbeiten müssen, denn sie kommen in meinem Umfeld nicht vor. Bei uns springt alles im Dreieck, ich selbst bin zwar verrentet, komme aber ohne Antidepressiva nicht mehr aus - was mich auch sexuell mutet. Aber was solls. Lieber keine Lust, aber auch keine Weltuntergangsstimmung. Außerdem hat sie ja auch keine Lust. Vielleicht kommt ja noch eine Renaissance, wenn sie endlich zur Ruhe gekommen ist? So, jetzt muss ich aber losfahren, weil sie sonst wohl nicht heimkommen kann. Lokführerstreik. Für morgen hat sie bereits Urlaub eingereicht. Auch wegen der GDL.