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Ein politisch bedenkliches Signal

Miriam

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26. Juni 2005
Beiträge
9.722
Zwar habe ich im Thread „Die Wurzeln und die Macht des Hasses“ schon darüber geschrieben, aber das Thema erscheint mir mit ihren eventuellen gefährlichen politischen Folgen so wichtig, dass ich es hier nochmals zur Diskussion stellen möchte.
Schon der missverstandene Vortrag des Papstes und die irrationale Hasswelle die dies ausgelöst hatte waren sehr bedenklich. Auch darüber habe ich im oben erwähnten Thread geschrieben. Doch nun wird in Deutschland, mir scheint es für das erste mal nach dem Krieg, etwas weiter gegangen: es wird zur Selbstzensur gegriffen.
Kurz nochmals die Fakten:

An der Deutschen Oper in Berlin wurde Mozarts Idomeneo abgesetzt. Der Grund: in einer Szene wird der abgeschlagene Kopf Mohammeds gezeigt – dazu muss ich aber gleich vermerken: in dieser Oper sterben sie ja alle, nicht nur Mohammed, sondern auch Poseidon, Jesus und Buddha – deren abgeschlagene Köpfe triumphierend von Idomeneo, König von Kreta, präsentiert werden.
Zwar findet sich diese Szene nicht in der Originalfassung Mozarts, aber seit 2003 in der Version des Regisseurs Hans Neuenfels.
Dabei möchte ich kurz erwähnen, dass ich die sehr gewagten Inszenierungen von Neuenfels im Allgemeinen nicht mag – doch sie sind immer auch Anlass für Auseinandersetzungen die inhaltlich interessant sind. Zum Teil lebt ja unsere Kultur aus diesen kontroversen Diskussionen - und auch dies trägt dazu bei, dass sie sich besser definieren kann.

Was ist eigentlich Neuenfels Grundgedanke in seiner Inszenierung des Idomeneo? Der Regiseur zeigt symbolisch, dass der Mensch sich gegen die Allmacht der Götter auflehnen kann und auch soll.
Idomeneo, der Kreterkönig, lehnt sich gegen den Befehl der Götter auf seinen Sohn Idamantes zu opfern - und dies betrifft in der Auslegung von Neuenfels nicht nur Poseidon, sondern auch die großen Glaubensrichtungen und auch die Religionskriege. Doch weil es dabei unter anderen auch um Mohammed geht, hat man an der Oper kalte Füße gekriegt und greift, sicherheitshalber zur Selbstzensur.
Es ist m.E. zum falschen Zeitpunkt das falsche Signal – noch dazu in unmittelbarer zeitlichen Nähe zur Eröffnung der Islamkonferenz. Diese hat sich auch gleich beeilt diese Selbstzensurmaßnahme zu begrüßen. Ausnahme die türkischen Vereinigungen, die diese Selbstzensur auch bedenklich finden.

Die Gründe für die Streichung der Oper sind offensichtlich und heißen: Mohammedkarikaturen, Reaktionen auf die (nach meiner Meinung gewollt missverstandenen) Papstrede aus der islamischen Welt - und damit nenne ich nur Ereignisse die in der letzten Zeit stattgefunden haben.
Wie ich schon zeigte im Thread über den Hass, gaben manche derer die sich empört artikulierten über den Papsvortrag zu, dass sie diesen Vortrag eigentlich nicht gehört haben und auch nicht kennen.

Und was findet im Augenblick hier statt? Man passt sich dem an, man hat die Lektion verstanden, bejaht damit eine Mentalität gegen die schon Voltaire im 18. Jahrhundert gekämpft hat. Wir kehren zurück ins Mittelalter, denn oft ist das Gedankengut des Islams so wie es von einigen nach außen getragen wird und eigentlich dadurch Grundsätzliches aus der Islamlehre selbst verfälscht, nur im Mittelalter noch zu finden.

Lange ist es her, dass die Aufklärung gegen diese rückständischen Gedanken gekämpft hat – und wir sind uns gar nicht bewusst was wir alles dieser Bewegung zu verdanken haben. Unsere ganze Gedankenfreiheit, besser gesagt die Freiheit sich zu äußern, basiert darauf.
Vielleicht wird es Zeit wieder mal die großen Denker der Aufklärung zu lesen um zu verstehen was nun auf dem Spiel steht.

Nochmals zurück zum Vorfall an der Berliner Oper: wenn man Gedankenfreiheit so schnell aufgibt, wenn man die kulturelle Selbstzensur einführt, muss man sich fragen was sich die Kultur hierzulande selber noch wert ist.

Grüße von Miriam
 
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Zwischenruf

In einem Interview mit der Intendantin der Deutschen Oper hörte ich,daß nicht Selbstzensur die Beweggründe zur Absetzung des Mozart-Werkes waren,sondern die Aussage zuständiger Behörden,sie könnten die Sicherheit der Theaterbesucher nicht mehr gewährleisten.Sie selbst hält an ihrem Beschluss fest,die Oper nicht mehr aufzuführen,weil sie schlichtweg die Verantwortung für die Unversehrtheit der Zuschauer trage und auch kein Politiker sie davon freisprechen könne...

Ich finde ihre Entscheidung mehr als nachvollziehbar.
 
AW: Ein politisch bedenkliches Signal

Ich finde auch, dass es feige ist, Idomeneo wegen ein paar überempfindlicher, sich künstlich aufregender Heuchler abzusetzen.

Zeili
 
AW:Zwischenruf zum Zwischenruf

Genau das ist ja so bedenklich, liebe Sibel. Denn die Sicherheitsbehörden sprechen eine Warnung aus ohne dass der Polizei eine konkrete Gefährdung bekannt sei.

Doch dein Hinweis ist sehr wichtig, es zeigt nämlich auf welcher Basis jetzt schon Warnungen ausgesprochen werden. Für mich ist das nochmals ein Zeichen dafür was Fanatismus oder von Hass getriebene Massen bewirken können.
Wir kriechen so zu sagen freiwillig schon ins Mauseloch - denn wir haben mitlerweile Angst vor der notwendigen Auseinandersetzung, die unsere kulturelle Freiheit verteidigen sollte bzw. weiterhin garantieren müsste.

Liebe Grüße

Miriam
 
Zwischenruf zum Zwischenruf des Zwischenrufes...

Das fand ich gerade:

Die Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms, verteidigte dagegen ihre Entscheidung. Sie habe für die Sicherheit des Publikums und ihrer Mitarbeiter auf der Bühne sorgen müssen und die Warnungen des Landeskriminalamtes vor möglichen Störungen und Risiken nicht ignorieren können.

Auf der anderen Seite stehe die Freiheit der Kunst, sagte Harms. Ihre Abwägung habe sie in einer sehr aufgeheizten Situation treffen müssen, die durch die Äußerungen von Papst Benedikt XVI. zum Islam entstanden sei. Sie sehe nach ihrer Entscheidung, die Oper abzusetzen, die Chance, jetzt einen dringend anstehenden Diskurs in der Verständigung zwischen Islam und Christentum zu führen.
aus "yahoo-Nachrichten"
 
AW: Ein politisch bedenkliches Signal

Zwischendurch noch bemerkt und da ich von der Aufklärung in meinem ersten Beitrag schrieb.
Eine der großen Errungenschaften die wir letztendlich dieser zu verdanken haben, ist die Säkularisierung. Wobei anzumerken wäre gleich am Anfang, dass diese in den islamischen Staaten nicht bekannt ist und nur von progressiven Intellektuellen angestrebt und immer wieder gefordert wird.
Im Verständnis der meisten islamischen Staaten obliegt eine Regierung einem Rechtsgelehrten dessen Macht nicht vom Volk ausgeht, sondern von Gott.

Was aber nun stattfindet anlässlich der Absetzung der Oper Idomeneo, ist ein Zugeständnis an das Diktat der Religion oder des Glaubens im Staat. Mit anderen Worten spielt man dabei die große Errungenschaft die die Säkularisierung ist, in den Hintergrund.

Es beweist mir aber noch eines: dass man den Inhalt von Idomeneo, ganz abgesehen von Neuenfels Inszenierung, nicht verstanden hat. Denn schon bei Mozart ist der Hinweis eindeutig: der menschenfeindlichen und grausamen Forderung der Götter den eigenen Sohn Idamantes zu opfern (da dieser der erste ist dem Idomeneo begegnet bei seiner Rückkehr aus dem Krieg), dieser Aufforderung beugt sich der Kreterkönig nicht.
Eben in unserer Zeit wäre eine Auseinandersetzung mit fundamentalistischen Gedanken nicht nur begrüßenswert, sondern dringend notwendig. Dies sollte nicht nur die Islamisten betreffen, sondern auch den Fundamentalismus von Dabbl Bush. Wir sollten nicht übersehen, dass auch in den USA die Tendenz besteht die Trennung von Glaube und Staat immer mehr verschwindet zu lassen – wenn z.B. in einigen der Bundesstaaten die Evolutionslehre gestrichen - und ersetzt wird mit den pseudowissenschaftlichen Theorien der Kreationisten oder der Vertretern des Intelligent Design.
Natürlich ist der Unterschied zwischen den USA und den islamischen Ländern groß, denn in den USA wird mit demokratischen Mitteln dagegen geschrieben und auch faktisch opponiert.

Was wäre festzuhalten? Ich glaube, dass man behaupten darf, dass in unserer westlichen Kultur sogar gläubige Menschen die Säkularisierung mit allen ihren Konsequenzen gut heißen. Beide Seiten haben gelernt mit Respekt und Toleranz sich zu begegnen, sowohl die Gläubigen als auch diejenigen die aus Überzeugung keiner Kirche angehören, ob sie nun Atheisten oder Agnostiker sind.
Auch in diesem Sinne empfinde ich die Geschehnisse an der Berliner Oper als einen Bruch mit dieser Tradition.

Liebe Grüße

Miriam
 
AW: Ein politisch bedenkliches Signal

Ich würde die Verantwortung für die der Besucher auch nicht übernehmen wollen. Sie hat eindeutig ihre Grenzen erkannt. Immerhin muss sie und niemand anderer sich in den Spiegel blicken können.
In Zeiten die so gespannt sind. Ist der Faktor Zeit ein Verbündeter.

Tausende Menschen sind aufgeputscht, haben ihre Angehörigen verloren oder sie sind für ihr ganzes Leben verletzt, oder körperlich behindert. Ihre Seelen sind verwundet und schreien nach….. Vergeltung? Rache? Recht ?Gerechtigkeit? Vielleicht auch nach Verstehen wollen

Der Faktor Zeit kann eine Entspannung bewirken, Es bedeutet nicht sich feige zurückziehen. Es bedeutet gekränkten, verletzten Seelen etwas sehr Kostbares zu geben.. ZEIT um sich zu erholen und zu orientieren.
Zeit ist besser als Hass schüren, Als Druck zu machen. Wir geben dadurch kein Recht auf . Es ist ein Waffenstillstand nur zwischen den Kulturen. ZEIT ZUM NACHDENKEN. Nur durch Nachdenken und Verstehen lernen können wir gewinnen.
 
AW: Ein politisch bedenkliches Signal

Miriam
Danke für die Recherche

in dieser Oper sterben sie ja alle, nicht nur Mohammed, sondern auch Poseidon, Jesus und Buddha – deren abgeschlagene Köpfe triumphierend von Idomeneo, König von Kreta, präsentiert werden.
Zwar findet sich diese Szene nicht in der Originalfassung Mozarts, aber seit 2003 in der Version des Regisseurs Hans Neuenfels.

wenn Mozart verantwortlich wäre,
dann hätte ich die die Muslimen gebeten,
die betreffenden Stellen umzudichten
(bei gleichbleibenden Noten)

da aber der abgeschlagene Kopf Mohammeds
nichts und überhauptnichts mit Mozart zu tun hat,
ist die Absetzung allein ein Problem von Hans Neuenfels
 
AW: Ein politisch bedenkliches Signal

zwei Fragen an Hans Neuenfels:


Mozart hatte eine Tragödie (mit happy end!) vor Augen

wikipedia
1. AKT
Am Meer tobt ein heftiger Sturm, der das Schiff von Idomeneo am Anlegen hindert. Um den Meeresgott Poseidon zu besänftigen, verspricht der König, ihm das erste Lebewesen zu opfern, das er am Strand trifft. Daraufhin begegnet Idomeneo am Strand seinem Sohn Idamante

3. AKT
Im Poseidontempel wird die Opferung vorbereitet: Idamante... soll von seinem eigenen Vater getötet werden. Im letzten Moment will sich Ilia vor die Klinge werfen, um das Leben des Geliebten zu retten. In diesem Augenblick ertönt die Stimme des Orakels, das verkündet, Poseidons Zorn werde besänftigt, wenn Idomeneo die Krone an Idamante abgibt und Ilia Königin wird.

1) was hat die Handlung mit Jesus, Mohammed oder Buddha zu tun?
wo (Textbeleg) verlangen Jesus, Mohammed oder Buddha,
daß Menschen geopfert werden müssten?
(das Christentum, der Islam, der Buddhismus sind doch keine archaischen Religionen;
nur im AT gibt es die Forderung nach der Tötung des erstgeborenen Sohnes

2) wieso wird Poseidon geköpft?
Poseidon wird doch bereits vom Orakel zurechtgewiesen
(die Liebe siegt: happy end)
 
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AW: Ein politisch bedenkliches Signal

Miriam
Danke für die Recherche



wenn Mozart verantwortlich wäre,
dann hätte ich die die Muslimen gebeten,
die betreffenden Stellen umzudichten
(bei gleichbleibenden Noten)

da aber der abgeschlagene Kopf Mohammeds
nichts und überhauptnichts mit Mozart zu tun hat,
ist die Absetzung allein ein Problem von Hans Neuenfels

Hallo scilla,

Leider erlauben sich die Regisseure bereits zu viel. Unter dem Mäntelchen der Modernisierung tummeln sich viele unnötige Nervenkitzel. So muss auch schon in jeder Oper mindestens ein Nackter auf die Bühne, was ich total überflüssig finde. Abgehauene Schädel von anerkannten Propheten wirken sich nicht nur auf die Moslems sondern auch auf die anderen im Glauben verhafteten Menschen sehr negativ und beleidigend aus.

Ist oft schon das gesprochene Wort provozierend, muss es dann auch noch bildlich dargestellt werden? Natürlich war es Absicht des Regisseurs, was sonst? Das Warum kann sich jeder denken.

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