AW: Digitale Adipositas
Hallo Timirjasevez.
Ich vermute auch hier den Schereneffekt.
Die tendenziell Intelligenten werden sich via Internet Zugang zu vielen unterschiedlichen Berichterstattungen verschaffen können und tun dies wohl schon.
Nie war es so leicht, so schnell an so viele und mitunter differenzierte Informationen zu kommen.
Andererseits, war vermutlich nie so viel Müll, Propaganda, Desinformation unterwegs.
Aber gezielte Desinformation scheint nicht das Kernproblem zu sein, sondern, dass Nachrichten überhaupt nicht mehr konsumiert werden, oder deutlich boulevardesken Charakter bekommen.
In die Richtung gehen ja auch die öffentlich-rechtlichen Infotainment Sendungen wie Hart aber fair.
Ob’s nun nur die jungen Leute heute (die bekanntlich immer schon alles falsch gemacht haben) trifft, das mag ein Stück Selbstsuggestion sein: „Wir, wissen wenigstens noch, was die Hauptstadt von Rom ist und haben noch gelernt, wie man sich benimmt.“ Nur mit der eigenen Medienkompetenz ist es dann manchmal nicht so weit her.
Andererseits, die Kids wachsen ja tatsächlich rein in diese Struktur. Was bieten Lego und Blockflöte, was mit den modernen Medien konkurrieren könnte? Da ist halt schnell alles verfügbar, was die Triebseele fasziniert, das gab es vor Jahrzehnten schlicht nicht.
Wie apokalyptisch man das nun sehen muss, weiß ich nicht, aber die Gefahren einer kollektiven psychischen Regression mitsamt ihrer gesellschaftlichen Folgeerscheinungen sehe ich als durchaus real an, ich halte die digitale Adipositas da eher für Brandbeschleuniger, als für Verursacher, aber Brandbeschleuniger sind ja nicht ohne.
Was nun Qualitätsmedien sind, da bin ich zunehmend ambivalent und flüchte mich in ein: Es wird sich wohl nach den jeweils eigenen Vorurteilen richten.
Es fehlt nicht an Medienkompetenz (eine zweckdienliche Worterfindung der
Medienmacher), sondern an Lebenskompetenz. Niemals gab es derart viele psychisch kranke Kinder, Jugendliche, Erwachsene wie heute. Aggression in den Schulen, Jugendkriminalität, Komasaufen, Fettsucht schon bei Kleinkindern: all das hat Ursachen. Ihr Hinweis auf eine Apokalypse ist nicht weit hergeholt. Unser Enkelkind hat Gottseidank die Chance, bis in die mittlere Grundschulphase etwa ohne Fernsehen, ohne Computer aufzuwachsen. Wir sehen die Unterschiede zu den Kindergarten-Kolleginnen und Kollegen. Konzentrationsfähigkeit, innere Ruhe beim Spielen, bei der Beschäftigung mit anderen, soziale Anpassungsfähigkeit ohne übermäßige Aggressivität, eher ausgleichend bei Streit der anderen - sehen wir bei unserem Enkel als Bsonderheit an. Er kann problemlos bei anderen Leuten übernachten, kann sich mit knapp 6 Jahren hervorragend artikulieren und hat den kindlichen Charme der vielen schon lange abhanden gekommen ist.
Dabei ist er nicht ausßergewöhnlich begabt, sondern nur seelisch und körperlich gesund. Er betreibt Leichtathletik im Rahmen seiner Altersgruppe, geht zum Musikunterricht und lernt ansatzweise Englisch. Das alles geht locker, ohne großen Streß, ohne Versagensängste, ohne immer gewinnen zu müssen. All diese Eigenschaften fanden wir in unserer Jugend normal, bzws. wir erlebten sie als normal. Im Vergleich zu all den ADS,- ADHS,- Kindern und den umherwuselnden Chaoten die alles haben wollen, aber nichts richtig benutzen, die nur kreischen und aggressiv um sich tretend jede Geburtstagsfeier zu einem Happening der besondern Art gestalten - ist dieser Junge - bei all seinen auch vorhandenen Macken - eine reine Freude.
Wir haben vor mehr als 15 Jahren den Fernseher endgültig abgeschafft, nachdem wir ihn ohnehin meist im Schrank aufbewahrt - ihn aber zu Olympiaden und Fußball-WMs herausgeholt hatten. Seitdem gehen wir selten später als 22 Uhr ins Bett, schlafen hervorragend und sind tagsüber munter und einsatzfreudig trotz nahendem Rentenalter. Wir nehmen keine Bilder von Krieg, Gewalt, erstunkene und erlogene Nachrichten mit ins Bett. Wir lachen nicht über peinlichste Blödheiten der humorlosen Komikoid-Produzenten. Kein Horrorfilm nagt an unserem Seelenkostüm. Wenn wir Lust auf einen schönen Film haben, besorgen wir eine DVD für den Video-Beamer.Und zwar einen, den wir uns selber - ganz bewußt - ausgesucht haben. Das ist dann wie Kino - ohne Werbung und anschließende talk-show der Vielredner-Mafia und diese unsäglichen Nachrichten mit der möglichst genauen Zahl der Tsunami-Toten in XY.
Die pädagogisch hochgezogenen Augenbrauen unserer Freunde und Nachbarn: es gebe doch sooo viele wertvolle und wichtige und tolle Sendungen ,,, und : man würde doch garkeine Informationen über die wichtigsten Dinge bekommen...lassen wir bei einem guten Glas Wein, beim Schachspiel, beim Domino-Spiel mit der Familie - unwirksam verpuffen.
Perivisor