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Dichtende Denker

FirstDay

Member
Registriert
16. November 2007
Beiträge
913
Wer Gedichte zu verschiedensten Themen mag, ist hier richtig.
Und wenn sich daraus Fortsetzungen und Übergänge zu den Autoren ergeben, dann umso besser.

Den Anfang macht "Dichterfürst" Johann Wolfgang von Goethe:




LESEBUCH

Wunderlichstes Buch der Bücher
Ist das Buch der Liebe;
Aufmerksam hab ichs gelesen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung.

Wiedersehn! ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers,
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß.
O Nisami!-doch am Ende
Hast den rechten Weg gefunden;
Unauflösliches, wer löst es?
Liebende sich wiederfindend.

Johann Wolfgang von Goethe

-------------------​


Gesang der Geister
über den Wassern

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

Aus: GOETHES GEDICHTE
IN ZEITLICHER FOLGE
INSEL VERLAG​
 
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AW: Dichtende Denker

Nähe des Geliebten

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.

Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
O, wärst du da!


(Johann Wolfgang von Goethe)



Selige Sehnsucht
Sag es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet:
Das Lebendge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt.

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und Werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
J.W. Goethe
 
AW: Dichtende Denker

Wer Gedichte zu verschiedensten Themen mag, ist hier richtig.
Und wenn sich daraus Fortsetzungen und Übergänge zu den Autoren ergeben, dann umso besser.

Den Anfang macht "Dichterfürst" Johann Wolfgang von Goethe:




LESEBUCH

Wunderlichstes Buch der Bücher
Ist das Buch der Liebe;
Aufmerksam hab ichs gelesen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung.

Wiedersehn! ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers,
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß.
O Nisami!-doch am Ende
Hast den rechten Weg gefunden;
Unauflösliches, wer löst es?
Liebende sich wiederfindend.

Johann Wolfgang von Goethe

-------------------​


Gesang der Geister
über den Wassern

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

Aus: GOETHES GEDICHTE
IN ZEITLICHER FOLGE
INSEL VERLAG​

Der Mensch ist eine :blume2: (= Sonne) - nur nicht so hell....:lachen:
:ironie: soll ich zu NOVALIS ergänzen...
moebius
 
AW: Dichtende Denker

Der schöne Geist und der Schöngeist

Nur das Leichtere trägt auf leichten Schultern der Schöngeist,
Aber der schöne Geist trägt das Gewichtige leicht.

Friedrich von Schiller​
 
AW: Dichtende Denker

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.


Rainer Maria Rilke​




mein absoluter dichter-favorit!

danke, FirstDay, für diesen schönen neuen thread!
 
AW: Dichtende Denker

"Die Natur hat kein Geheimnis, was sie nicht irgendwo dem aufmerksamen Beobachter nackt vor die Augen stellt."
Johann Wolfgang von GOETHE
:blume2:
 
AW: Dichtende Denker

Hallo kathi,

auch ich verehre Meister Rilke.

ERINNERUNG

Und du wartest, erwartest das Eine,
das dein Leben unendlich vermehrt;
das Mächtige, Ungemeine,
das Erwachen der Steine,
Tiefen, dir zugekehrt.

Es dämmern im Bücherständer
die Bände in Gold und Braun;
und du denkst an durchfahrene Länder,
an Bilder, an die Gewänder
wiederverlorener Fraun.

Und da weißt du auf einmal: das war es.
Du erhebst dich, und vor dir steht
eines vergangenen Jahres
Angst und Gestalt und Gebet.

Rainer Maria Rilke

 
AW: Dichtende Denker

Heute Abend um 22.15 ist Vollmond im Zeichen Schütze, und es kommt zu einer totalen Mondfinsternis.

In den Horoskopen begabter Dichter standen der Mond (Gefühl, Phantasie) und Merkur (Denken, Sprache) stets in markanten Positionen.

Bei Rainer Maria Rilke (4. Dezember 1875) stand der Mond im kreativen, originellen Wassermannzeichen, im schöpferischen 5. Haus.
Merkur und Jupiter standen im 3. Haus des Schreibens und der Kommunikation, im tiefsinnigen Zeichen des Skorpions.

Dem Wasserzeichen Krebs ist der Mond astrologisch zugeordnet.
Bei Hermann Hesse (2. Juli 1877) standen Mond und Saturn im 3. Haus, im Zeichen der feinfühlenden Fische.
Merkur im Zeichen der sprachgewandten Zwillinge im 7. Haus der Beziehungen.

Zum Thema "Mond" dichtete Hermann Hesse:

ERWACHEN IN DER NACHT

Mond vom Fenster weckte mich,
Schlafbeschwerte Augen ringen,
In der Blässe feierlich
Ahn ich neue Träume schwingen.

Da und dort ein Hell und Weiß,
Hinter allem blaue Schwärzen,
Glasig spiegelndes Gegleiß,
Teufelsschwanz und fromme Kerzen.

Aus dem Hell und Dunkel baut
Traumgeist schweigende Paläste,
Block und Beil, bekränzte Braut,
Tänzerinnen, Räusche, Feste.

Und die Seele reißt entzückt
An den morschen Wirklichkeiten,
Um hinüber neu beglückt
In ihr eignes Reich zu gleiten.

Aus: Hermann Hesse - Die Gedichte
Erster Band - Suhrkamp Taschenbuch 381





CHINESISCH
(1937)

Mondlicht aus opalener Wolkenlücke
Zählt die spitzen Bambusschatten peinlich,
Malt der hohen Katzenbuckelbrücke
Spiegelbild aufs Wasser rund und reinlich.

Bilder sind es, die wir zärtlich lieben,
Auf der Welt und Nacht lichtlosem Grunde
Zaubrisch schwimmend, zaubrisch hingeschrieben,
Ausgelöscht schon von der nächsten Stunde.

Unterm Maulbeerbaum der trunkene Dichter,
Der den Pinsel wie den Becher meistert,
Schreibt der Mondnacht, die ihn hold begeistert,
Wehende Schatten auf und sanfte Lichter.

Seine raschen Pinselzüge schreiben
Mond und Wolken hin und all die Dinge,
Die dem Trunkenen vorübertreiben,
Daß er sie, die flüchtigen, besinge,
Daß er sie, die Zärtliche, erlebe,
Daß er ihnen Geist und Dauer gebe.

Und sie werden unvergänglich bleiben.

(Georg Reinhart gewidmet)

Aus: Hermann Hesse - Die Gedichte
Zweiter Band - Suhrkamp Taschenbuch 381
 
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AW: Dichtende Denker

GARTENHAUS AM UNTERN PARK

Übermütig siehts nicht aus,
Hohes Dach und niedres Haus;
Allen, die daselbst verkehrt,
Ward ein guter Mut beschert.
Schlanker Bäume grüner Flor,
Selbstgepflanzter, wuchs empor;
Geistig ging zugleich alldort
Schaffen, Hegen, Wachsen fort.

Johann Wolfgang von Goethe



 
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