Ich habe nicht behauptet, dass politische Standpunkte unwichtig seien. Die Empfehlungen medizinischer Experten werden selbstverständlich von der Politik hinsichtlich gesellschaftlicher Folgen bewertet und entsprechend umgesetzt. Die Politiker wollen schließlich wiedergewählt werden. Mir sind jedenfalls keine Maßnahmen bisher aufgefallen, die mehr Opfer fordern als die Pandemie. Diese Behauptungen kommen immer wieder von welchen, die – mit welcher Absicht auch immer - die Gefährlichkeit des Virus zu relativieren versuchen.
Es läge mir fern, so etwas zu behaupten.
Tatsächlich muss ich allerdings immer an Empfehlungen denken, die ich - zum Vergleich, als eine Art Anschauungsbeispiel - hier einstelle:
Vor einigen Jahren las ich ein Sachbuch zum Thema HIV / AIDS, verfasst von dem ehemaligen Chef-Epidemiologen der WHO. Es handelte sich nicht um einen sog. "Leugner", allerdings legte er dar, eine AIDS-Epidemie, Pandemie könne - aus epidemiologischer Sicht - nur durch die Risikogruppen entstehen. Die Argumentation war sachlich, belegt und auch durchaus schlüssig. In Folge argumentierte er, die Anti-AIDS-Kampagnen diverser Regierungen mit ihrer Streuung auf breite Bevölkerungsschichten (= alle sexuell aktiven) sei daher unnötig gewesen. Besser wäre es gewesen, diese Etats nur für die Risikogruppen zu verwenden und die Maßnahmen zur AIDS-Bekämpfung auf diese zu beschränken.
Aus epidemiologischer Sicht mag er, was die Verbreitung dieser Krankheit betrifft, sogar Recht haben, das bezweifle ich nicht einmal. Dennoch bekam ich bei der Lektüre irgendwie einen schalen Geschmack im Mund. Ich fand, das war alles viel zu kurz gedacht.
Aus epidemiologischer Sicht mochte das Sinn ergeben - aber nicht aus gesellschaftlicher oder politischer. Hätte das nicht zu einer sozialen Ächtung, gar Dämonisierung gesellschaftlicher Gruppen geführt? Hätte es die Etats überhaupt gegeben, wenn es "nur" um die Risikogruppen geht? Wie ermittelt man diese Gruppen, wie isoliert man sie? Kann man überhaupt in einer Demokratie Maßnahmen ergreifen, zumal ggf. einschränkende, wenn sie nicht gleichermaßen "für alle" gelten?
Menschen sind und bleiben eben Menschen und sind keine sich exponentiell vermehrenden Bakterienkulturen.
Wenn die Zahlen noch dieselben sind, dann wird das ein Nachweis sein, dass die Maßnahmen wirken, denn man versucht ein exponentielles Wachstum der Infektionszahlen zu verhindern. Die Zahl der aktiven Fälle in Deutschland ist aktuell fast dreimal so hoch als beim Höchststand im Frühjahr, das bedeutet, dass die Zahl der Toten demnächst massiv steigen wird und das deutet sich bereits an.
Es wird sich auch nicht um eine Konstruktion handeln, wenn dann behauptet wird, dass die Zahlen ohne Maßnahmen noch höher gewesen wären, denn das hat sich bereits im Frühjahr erwiesen: Deutschland stand viel besser da, verglichen mit anderen europäischen Ländern. Der Grund war, dass die deutsche Politik vieles richtiggemacht hat und nicht weil die Deutschen genetisch besonders gut gegen das Virus gefeit seien.
Sicher richtig.
Warum wurden, insbesondere zu Anfang, bestimmte Länder besonders hart betroffen? Da sehe ich zum Einen diese weltweiten touristischen Magnete (Paris, Rom, Venedig, Florenz u.a.), die ja geradezu touristische Durchgangszentren waren. Da muss die ganze Welt einmal gewesen sein und so war es ja wohl auch (wie hart wurde eigentlich
Jerusalem getroffen?).
Und ich sehe auch den einen oder anderen kulturellen Unterschied. In Italien diese ganze Bussi-Bussi - Kultur, das grundsätzlich mehr öffentlich stattfindende Leben, die Dominanz von (Groß-)Familie und -festen. Und tatsächlich auch einen grundsätzlich üblichen, geringeren Körperabstand zwischen zwei Personen, selbst bei einander Unbekannten.