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Begegnungen

AW: Begegnungen

:zunge3:
DIE KUGELN VON SILS©


Im Laden in Soglio, im Bergell, da liegen zwei Silserkugeln. Es sind geheimnisvolle Gebilde, seltsam kosmisch, rundlich, haarig anzusehen, als wären sie das Gewölle riesiger Eulenvögel. Dunkelbraun gegerbt sind sie, von Sonne, Wind und Wasser. Es ist das Geschenk eines Freundes an meinen Laden, dessen Liebe zur Natur eine wirkliche Liebe zu allem ist.
Diese Kugeln faszinieren die vielen Besucher, die in den Laden kommen, und immer wieder schaffen sie einen Anlass zu Gesprächen auf vielen Ebenen. Da ist vor allem einmal die Neugier und Neugier ist immer eine gute Basis für Austauschmöglichkeiten und mitmenschliche Kontakte. Und da ist die Ebene der Naturwissenschaft, die Ebene der Ökologie und die des Wertes einer Sache im Allgemeinen und auch noch etwas tiefer. Da ist die Berührung mit der Philosophie, die mein liebstes ist.
Nun geht das übliche Rätselraten um die Silserkugel etwa so:

„Was ist das da?“ fragt neugierig der Besucher und ohne abzuwarten, mit dem gleichen Atem, kommt sofort schon die nächste Frage: „Was kann man damit machen?“ Und weiter geht’s. Ich habe gerade Luft geholt und will antworten und schon tönt’ s: „Wie viel kostet das Ding? Was ist es wert? Kann ich es kaufen?“
Der Durchschnittskunde nimmt sogleich die zarte Silserkugel in die Hände, dreht und wendet sie, um sinnlicher betrachten zu können. Die Nadeln rieseln zu Boden. Ich sehe es und gebe mir Mühe, mir meine Verlustängste nicht anmerken zu lassen. - Dann endlich geschieht die Befreiung, die Faszination beim Betrachter, ein spontaner Ausruf: „Wie kommt um Himmelswillen so etwas, und erst noch wie von selbst, zustande?“

Ich erkläre:

"Es ist Herbst geworden. Auf der Hochebene des Engadin mit seinen drei Seen, in denen sich die Berge widerspiegeln, da stehen dicht an dicht gedrängt die Lärchenbäume, strahlend und im hellgoldenen Kleid. Ein eisiger Wind weht und kündet vom kommenden Winter. Er greift und rüttelt an den Ästen. Er bläst stark hier in den Bergen und löst das lange, leichte, zarte Gold spielerisch vom Lärchenbaum. Schwer ist der Schnee, der nun bald fallen wird, und leer nur kann der Baum die Last des Winters tragen, und so macht das Tun des Windes Sinn. Die neue Tracht des Baumes lässt wenig später ihn weiss und aufrecht stehen und dies mit vielen seinesgleichen.

Wirbelnd und in grosser Zahl werden nun die Blätter-Nadeln vom Schmuck der Lärche zum Wasser hin getragen. Das Sagen hat Formlosigkeit. Chaos herrscht, vollkommen aufgelöst das goldene Gewand und hingegeben. Doch bald, da sammeln sie sich wieder, die einzelnen Blätter-Nadeln auf stets bewegtem Wasser, zum Strand des kleinen Sees.
Da nun der Wind, wie immer er auch bläst und treibt, einmal das Ufer, als die Grenze und Berührung, von flüssig, fest zu treffen weiss, und auch hinaus, darüber ungehindert weiter geht, bleibt alles in Bewegung, sind Widerstand und strudelndes Ereignis offenbar.
Drei Elemente sind es jetzt im Bunde: der Wind, das Wasser und die Lärchennadeln, wie zufällig, Jahr für Jahr das gleiche Spiel in endlos Wiederholung. Turbulente Strudel bilden Kerne verfilzter Blätter-Nadeln, rundgedreht. Zusammenklebend, kugelig, exakt und lustig klein sind junge Silserkugeln grad eben erst geboren. Wenn Elemente stärker sich bewegen, zermahlen sie die kleinen Silserkugeln im Zustand der Entstehung, und formen doch sie wieder neu mit jedem Wellenschlag.

Ganz selten nur, im Alter von so manchen Jahren, da wachsen sie zur Krönung dieses Spiels, ganz ohne jeden Zweck, zu strausseneier-grossen Gebilden, die hernach dann am Ufer schaukelnd auf den Finder warten.

Den Sturm und die Bewegtheit, die haben sie in sich geborgen, zur Form gemacht sind sie nun haltbar, von innen her nach aussen. Aus Gründen der bewahrenden Kräfte des Lärchenharzes, das jeder einzeln Nadel innewohnt, all dies hat Vater/Mutter-Baum, ihr, der Ganzen und doch scheinbar unbedeutend Blätternadel im Guten mitgegeben, um wieder und wieder sich zu finden, zu erhalten. Wie einst am Baum, doch nun getrennt von ihm, jetzt vielfach und ganz nah vereint, als eine neue Form."

Dann halte ich inne, mache ich eine kurze Atempause und schau ins erstaunte Gesicht meines Gegenübers. Wir verstehen uns in dieser Sprache, denn jeder hat es doch in seinem eignen Herzen.
Zum Ende dann, da fasse ich zusammen:

„Der Baum, die eine Form, verlor sich kurz, der Jahreszeit entsprechend, ins formlos, Chaos. Von dort, mit Hilfe nimmerruhend Elementen, die welche da getrieben, von der Sonne Macht, entstehen lässt, die neue Form.“

Das ist es, das Geheimnis vom Entstehen der "SILSERKUGELN"

Dieser Aufsatz ist gedacht um die Liebhaber neugierig zu machen um in dieser Bergwelt im herbstlichen Engadin diese Kugeln selbst zu suchen und zu finden...!

2001-09-02 Horst Gutekunst, Palazzo Max, 7610 Soglio
www.soglio.com


Horst Gutekunst heute im Forum, früher ohne Alphorn. Hab Ziegenkäse selbstgemacht, verkauft dann über den Ladentisch.
Ich war ein Aussteiger, jetzt bin ich wieder zurückgestiegen.
Zur Zeit mit dem Virtuellen sehr beschäftigt. :zunge3:
 
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