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Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

Thorsten

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26. März 2007
Beiträge
1.114
Neulich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gab es eine wiederholt ausgestrahlte halbstündige Sendung über Clara Zetkin, Sozialdemokratin der ersten Stunde. Dort wurde unter anderem von ihrer Freundschaft mit Rosa Luxemburg berichtet; was mir besonders auffiel: Luxemburg habe ein Grundvertrauen in die "Arbeiterklasse" gehabt, daß diese insbesondere auf dem Wege der Streikorganisation lernen würde, politisch für sich selbst zu stehen - Forderungen zu stellen und zu verhandeln - während Zetkin, damals noch Sozialdemokratin, der Auffassung war, daß der Staat sich so verhalten müsse, daß jedem Gleiches zukommt; - und der Staat vor allem dafür sorgen müsse, daß allen das sozialdemokratisch definerte Gute auch geschieht. Strenggenommen ist damit strikte staatliche (= politische) Güterkontrolle gemeint - und die Gleichsetzung der Gewalt von Politik und Staat. Politische Selbstorganisation im Luxemburgischen Sinne hätte in diesem Konzept wenig Platz. Kein Wunder, die Freundinnen haben sich ja vehement gestritten.

Fatalerweise hat Zetkin als Alterspräsidentin des Reichstags ausgerechnet Hermann Göring als Amtsnachfolger benennen müssen - aber man kann den Nazis kaum vorrechnen, daß sie das Plansoll an Gleichheitsverteilung der Wirtschaftsgüter im Zetkinschen Sinne nicht erreicht hätten.

Für diesen bösen Witz entschuldige ich mich sogleich.

Gegenwärtig jedoch scheint die Geschichte Rosa Luxemburg und ihrer Hoffnung recht zu geben: die weitere Schärfung des politischen Bewußtseins der "Massen" geschah, nach dem Bruch von 1945, wenigstens in der alten BRD vor allem durch das - wie immer lizensierte - Streikrecht; der Kampf geht, auch den Gewerkschaften sei nochmal Dank, zwar nicht mehr darum, ob Arbeiter und Arbeitnehmer überhaupt Rechte haben, sondern um 10 Minuten Arbeit mehr oder 10 Cent pro Stunde weniger --- aber das "politische Bewußtsein", welches Rosa Luxemburg sich von jedem wünschte, der seine Arbeitskraft zu Markte trägt, dürfte bundesrepublikanisches Allgemeingut geworden sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
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AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

...an den Weg zum politischen Bewusstsein über die gewerkschaftliche Interessenvertretung hat, um einmal einen anderen Namen ins Spiel zu bringen, auch Simone Weil, zeitweise geglaubt - und wurde sehr desillusioniert...

Ich denke, die Arbeitswelt hat sich so grundlegend verändert, dass dies unmöglich geworden ist (wenn es denn je möglich war). Von einem "politischen Bewusstsein" der Arbeiterschaft kann m.E. in Deutschland keine Rede sein. Im Gegenteil...
 
AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

Man muß den Damen Zetkin und Luxemburg aber doch zugestehen, daß sie bereits dreißig, nein, vierzig Jahre vor dem Auftreten von Simone Weil für die Freiheit (und allgemeine Bildung!) der Industrialisierungsverlierer mitgekämpft und gearbeitet haben.

Und man muß dem heutigen Deutschland (vielleicht auch dem heutigen Europa, soweit es sozialdemokratischen Modellen folgt) auch zugestehen, daß seit 1945 in der BRD eher der Luxemburgschen Idee des eigenverantwortlichen gesellschaftlichen Kampfes gefolgt wurde - beileibe nicht nur von der Linken -, während in der DDR zunächst eher die Autoritätshörigkeit der Clara Zetkin zum allgemein korrekten Verstand ernannt wurde.

Nicht?

Gruß Thorsten
 
AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

...hmmm - ich glaube nicht, dass irgendjemand allen Ernstes bei seinen politischen Überlegungen nach 1945 Rosa Luxemburg oder gar Klara Zetkin zum Vorbild genommen hat...
 
AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

Oktoberwind schrieb:
...hmmm - ich glaube nicht, dass irgendjemand allen Ernstes bei seinen politischen Überlegungen nach 1945 Rosa Luxemburg oder gar Klara Zetkin zum Vorbild genommen hat...

Sagen wir, die jungsozialistische Linke beruft sich eher auf Luxemburg denn auf Zetlin, sagen wir vielleicht auch, daß sowohl Zetkin wie Luxemburg dem gegenwärtigen bundesdeutschen Rechtsstaat eher skeptisch begegenet wären.
 
AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

oktoberwind schrieb:
...mag sein - aber was bringt das, praktisch?

Praktisch bringt das z.b. gegenwärtig Fragen wie die, weswegen Politikerinnen wie Sarah Wagenknecht, Norbert Blüm oder Jürgen Rüttgers Zustimmung in der Bevölkerung erhalten - alle drei doch waschechte Linke, nicht? - und wo die Unterschiede liegen. Und was daraus folgt.

:clown3:

Konkrete Revolutionsanweisungen erst nach fortgesetztem Gespräch.
 
AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

Wer von den genannten "revolutionär", "reformerisch" oder nur "reaktionär" ist, lasse ich mal offen.
Die schöne Marx-These, Revolutionen seien die Lokomotiven der gesellschaftlichen Entwicklung hat offenkundig nur gestimmt für Gesellschaftsformen, die rückständig waren und etwas nachzuholen hatten. Ich denke, in komplexen Gesellschaften wie den heute existierenden sind Revolutionen unmöglich.
 
AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

...hmmm - ich glaube nicht, dass irgendjemand allen Ernstes bei seinen politischen Überlegungen nach 1945 Rosa Luxemburg oder gar Klara Zetkin zum Vorbild genommen hat...
An Rosa Luxemburg's Denken gefällt mir, dass sie sich auch mit der Freiheit beschäftigt hat:

"Freiheit ist immer Freiheit der anders Denkenden, sich zu äußern".

Meiner Meinung nach ein gutes Argument gegen den Manchester-Liberalismus; ich nenne diese Extremform des Liberalismus auch gerne "Radikal-Liberalismus".

Liebe Grüße

Zeili
 
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AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg

Dieser Satz wird seit Jahrzehnten beharrlich falsch zitiert und mindestens ebenso falsch verstanden (nämlich meist so, wie es dem Zitierenden in den eigenen Kram passt).

1. Der Satz steht in keinem Text der Rosa Luxemburg.
2. In der Schrift "Zur russischen Revolution" - R.L. Gesammelte Werke, Band 4, S. 359 - findet sich folgende Fußnote (die aus einer ursprünglichen Randbemerkung gemacht wurde): "Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn 'Freiheit' zum Privilegium wird."
3. R.L. diskutiert hier eine interne Differenz innerhalb der revolutionären Bewegungen; ihr lag es fern, etwa an Freiheit für wirklich "Andersdenkende" zu denken.
 
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