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Missbrauch: Opfer auf Ewigkeit?

Ich kann mir keine unbewusste Scham vorstellen. Scham ist eine intensive, dominante Empfindung. Man kann Dinge verdrängen und deshalb zeitabhängig keine Scham empfinden, aber man kann kein Schamgefühl an sich verdrängen. Scham ist wie Angst, wenn man sie empfindet, weiß man es. Ich war mal latent homophob und erinnere mich noch an den Tag, als mir das bewusst wurde und ich aufhörte, es zu sein. Ich war ein Teenager, gegen Ende meiner Pubertät, und hatte eine Freundin aus der Nachbarschaft, die etwas jünger war als ich...

Zu diesem - völlig anderen - Thema kann ich nichts sagen. Der Thread hier ist 'Missbrauch: Opfer auf Ewigkeit?',
und das war definitiv kein Fall von (Kindes)Missbrauch. In Missbrauchsfällen ist das Machtgefälle umgekehrt und
sehr viel ausgeprägter - und wird oft genug vom Täter noch zusätzlich verstärkt, und dem Kind Schuld zugeschoben.
Das ist auf Achtung vor der Autorität Erwachsener gedrillt, oft nicht sicher in der Schuldfrage, fühlt sich beschmutzt
und schmutzig, und nicht selten verdrängt es das Erlebnis ins Unterbewusstsein. Dass das Schamgefühl allein dann
im Bewusstsein zurückbleibt, kann ich mir nicht vorstellen. Auf jeden Fall wird es kaum offen darüber reden wollen...
Hättest Du in der beschriebenen Situation die jüngere Freundin 'zur Schnecke gemacht', ihr Schuld zugeschoben,
dann wäre sie evtl. in einer ähnlichen (wenn auch viel harmloseren) Situation gewesen. Ob sie dann ganz locker mit
Fremden darüber geplaudert hätte :verwirrt1

 
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Zu diesem - völlig anderen - Thema kann ich nichts sagen. Der Thread hier ist 'Missbrauch: Opfer auf Ewigkeit?',
und das war definitiv kein Fall von (Kindes)Missbrauch. In Missbrauchsfällen ist das Machtgefälle umgekehrt und
sehr viel ausgeprägter - und wird oft genug vom Täter noch zusätzlich verstärkt, und dem Kind Schuld zugeschoben.
Das ist auf Achtung vor der Autorität Erwachsener gedrillt, oft nicht sicher in der Schuldfrage, fühlt sich beschmutzt
und schmutzig, und nicht selten verdrängt es das Erlebnis ins Unterbewusstsein. Dass das Schamgefühl allein dann
im Bewusstsein zurückbleibt, kann ich mir nicht vorstellen. Auf jeden Fall wird es kaum offen darüber reden wollen...
Hättest Du in der beschriebenen Situation die jüngere Freundin 'zur Schnecke gemacht', ihr Schuld zugeschoben,
dann wäre sie evtl. in einer ähnlichen (wenn auch viel harmloseren) Situation gewesen. Ob sie dann ganz locker mit Fremden darüber geplaudert hätte :verwirrt1

Es ging hier nicht ausschließlich um Kindesmissbrauch und eigentlich gar nicht um Missbrauchsfälle, die den Betroffenen nicht bewusst sind. Die Eingangsfragen waren ja:
In vielen Büchern, Schriftstücken unserer modernen Zeit wird über Missbrauch geschrieben. In den Werken, die ich in Händen hielt, wurde das Thema Missbrauch als negativer, ständig-begleitender Schmerz beschrieben. Ein Schmerz, der einen Tag für Tag weiterverfolgt. Jetzt frage ich mich: Kann man aus diesem Opfer-Verhalten bei Missbrauch überhaupt vollständig ausbrechen? Gibt es Werke, die den Missbrauch auch als Chance sehen um es in Zukunft selbst besser zu machen?

Auch die grundsätzliche Form von Missbrauch möchte ich in Frage stellen: Ist der erlebte Hass denn im Endeffekt nicht die Suche nach Liebe / Bestätigung / Anerkennung?

Mir ging es darum, etwas zur vermeintlich primären Frage, ob Scham als Redehemmer wirkt, zu äußern. Meiner Meinung nach tut sie das nicht, im Gegenteil. Aber warum sollte es für die anderen, nicht Betroffenen wichtig sein, sich genau darüber zu unterhalten? Die Betroffenen haben eher einen verstärkten Rededrang, gerade dann, wenn sie Scham empfinden, nur sind solche Themen eben für andere unangemessen, beängstigend, befremdlich und unangenehm. Glaubst Du, dass die stereotype Frau, die immer zufälligerweise an Männer gerät, von denen sie missbraucht wird, niemals jemandem etwas davon sagt und diese Täter nicht sogar schon vorher davon wussten?
Zu meiner damaligen Freundin: tatsächlich habe ich sie zur Schnecke gemacht und ihr Schuld gegeben. Daraufhin hat sie sich entschuldigt, nachdem ich es ausdrücklich forderte. Wir haben uns beide entschuldigt, weil ich ja auch das Gefühl hatte, zu heftig reagiert zu haben. Außerdem habe ich von ihr verlangt, dass sie nie darüber spricht. So loyal, wie sie zu mir war - da vermute ich, dass sie das auch nicht tut.

Scham ist eine Gefühlsreaktion auf eine Begebenheit. Wenn man von der ursächlichen Begebenheit nicht weiß, weil sie beispielsweise erfolgreich verdrängt wurde, kann man auch keine Scham deswegen empfinden, auch wenn man sie empfindet, sobald die Begebenheit erinnert wird. So, wie man kein Hitzegefühl empfinden kann ohne die sprichwörtliche Herdplatte. Wurde nicht auch an Hypnotisierten gezeigt, dass sie keine Emotionen auf physische Trigger (Nadelstiche) äußern, solange sie sie nicht bewusst wahrnehmen? Scham ist eine grundsätzlich bewusste Emotion. Wenn man sie nicht bewusst empfindet, empfindet man sie gar nicht. Es gibt keine latente Scham.
Die für Dich primäre Frage ist vielleicht eher, ob Scham zur Verdrängung führt. Das halte ich für möglich.
 
warum sollte es für die anderen, nicht Betroffenen wichtig sein, sich genau darüber zu unterhalten?
Es ist, denke ich, konstruktiv, wenn man zu einer betroffenen Person ausdrücklich sagt, dass man sich nicht dessen, was Einem angetan wurde, schämen muss, sondern dessen, was man jemandem antut. Da kann auch ein Einzelner ein richtiges Weltbild stabilisieren...
Das war ja der Anlass dafür, dass ich das Thema überhaupt angeschnitten hatte...

Die Betroffenen haben eher einen verstärkten Rededrang...
Meine Erfahrung ist genau die gegenteilige.
 
Meine Erfahrung ist genau die gegenteilige.

Das wundert mich. Oder vielleicht waren die Beobachtungen nicht so detailliert, wie meine. Wie ich schon erwähnte, halte ich es für möglich, dass Schamgefühle ein Grund für Verdrängungsabsichten und -versuche sein können. Man ist des Gefühls überdrüssig, weil man nicht konstruktiv damit umzugehen weiß, und versucht deshalb, die vermeintliche Ursache zu verdrängen. In dieser Verdrängungsphase vermeidet man es natürlich, darüber zu sprechen, auch mit Vertrauenspersonen, die Bescheid wissen. Aber vor dieser Phase, wenn die Scham noch da ist, reden Betroffene mehr als den Zuhörern i.d.R. lieb ist. Dann ist es die Aufgabe der Zuhörer, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen und darauf aufmerksam zu machen, bevor die Verdrängungsphase einsetzt. Denn Scham hat, wie Angst, einen Sinn und Zweck. Man sollte sie - in diesem Punkt möchte ich fluu widersprechen - nicht überwinden. Sie ist wie ein großes Schild im Kopf, das man einfach nur lesen sollte, und verweist meistens auf etwas anderes als man denkt.
 
In den Werken, die ich in Händen hielt, wurde das Thema Missbrauch als negativer, ständig-begleitender Schmerz beschrieben. Ein Schmerz, der einen Tag für Tag weiterverfolgt. Jetzt frage ich mich: Kann man aus diesem Opfer-Verhalten bei Missbrauch überhaupt vollständig ausbrechen? Gibt es Werke, die den Missbrauch auch als Chance sehen um es in Zukunft selbst besser zu machen?

Auch die grundsätzliche Form von Missbrauch möchte ich in Frage stellen: Ist der erlebte Hass denn im Endeffekt nicht die Suche nach Liebe / Bestätigung / Anerkennung?

Ich würde meinen, Hass ist immer ein Mangel an erfahrener Liebe.
Auf was genau möchtest du hinaus? Wie kann man Missbrauch in Frage stellen? Ich finde es zynisch, dem Opfer zu sagen, den Missbrauch als Chance zu sehen. Das mutet fast wie eine Rechtfertigung oder Ent-Schuldigung des Täters an, der sich dann auf die Postition zurückziehen kann, dem Opfer im Endeffekt etwas Gutes getan zu haben. Auch drängt sich die Frage auf, warum das Opfer durch den erlebten Missbrauch später etwas besser machen soll. Darin liegt die Unterstellung, das Opfer würde ohne den erlebten Missbrauch eher dazu neigen, etwas falsch zu machen.


Ich lese keine Bücher von Opfern des Missbrauchs, das hilft nicht wirklich, ich lese Bücher darüber wie man diesen Betroffenen helfen kann, das ist mein Beruf.
Bücher in denen Lösungswege aufgezeigt werden gibt es zahlreich, nicht so viele wie von Opfern, das ist richtig aber das Lesen von Lösungen wenn sie wirklich fruchten sollen ist beschwerlich, kostet Überwindung denn es wird zum sich anders Verhalten angeregt und da ist das Beklagen der Schmerzes in der Haltung des Opfers wesentlich leichter.

Es ist leicht gesagt, dass man diesen Opfern helfen soll. Auch wenn man bereit ist, sich auf den Schmerz dieser Menschen einzulassen, mit der Bereitschaft ihnen zu helfen. Ich kenne zwei Frauen, die Opfer sexueller Gewalt in der Kindheit geworden sind. Beide Bekanntschaften musste ich abrechen, weil ich es nicht mehr ertragen habe, dass sich alles, aber auch alles um den Missbrauch dreht. Normalerweise ist es doch so, dass wenn eine Freundin ein Problem, oder einen aktuellen Kummer oder etwas in der Art hat, dass man mit ihr darüber redet, Lösungen diskutiert, tröstet, zuhört aber irgendwann ist es dann auch gut. Die Sache ist überwunden. Bei Opfern von sexuellem Missbrauch funktioniert das aber nicht. Es gibt keine Lösung. Ablenkunng durch angenehme Unternehmungen enden meiner Erfahrung nach stets mit dem Zurückkommen auf das Trauma. So eine Bekanntschaft oder Freundschaft bleibt am Ende einseitig, denn man ist der ständige Privattherapeut (ohne Ausbildung) und irgendwann ist der Punkt gekommen, da geht einem die Kraft aus.
Bei mir war es so, dass ich mich auf die Verabredungen nicht mehr freuen konnte. Ich hatte schon einen Stein im Magen, wenn ich nur daran gedacht habe. Als normaler Mensch ist man im Alltag ja auch gefordert und hat seine Verpflichtungen, die Kraft und Aufmerksamkeit fordern. Man braucht ebenfalls Erholung und Zerstreuung und kann nicht ununterbrochen der Abladeort tiefer, seelischer Probleme sein. Das kann man wohl nur, wenn es sich um einen nahen Verwandten handelt. Ich musste mich zurückziehen. Das schlechte Gewissen darüber hält bis heute an. Ich fühle mich wie eine schlechte, unfähige Freundin, eine Versagerin dort, wo ein anderer Mensch mich brauchte.

Ich habe also nicht erlebt, dass Opfer sexuellen Missbrauchs dieses Trauma überwinden können. Das Schlimme ist, sie werden einsam, wenn sie das Erleben mitteilen, denn Menschen können dieses Mit-leiden auf Dauer nicht mitmachen. In dem Fall, den ich kenne, war es dann auch noch so, dass die Frau selber kaum Grenzen anderer Leute akzeptieren bzw. erst erkennen konnte. Man war ständig Zeuge sozial inkompetenten Verhaltens der Bekannten, was manchmal sehr peinlich war.

Das Bücherschreiben über derartige Themen von Betroffenen halte ich daher für eine gute Sache. Sie können sich so denen mitteilen, die das auch wirklich wissen wollen, was sie zu berichten haben. Für den privaten Umgang möchte ich Opfern empfehlen, erst nach einer angemessenen Zeit über das Erlebte zu reden und es dann auch nicht zum Dauerthema zu machen. Freunde können einem ein offenes Ohr und Mitgefühl schenken, sind aber keine Dauer-Therapeuten, dafür gibt es ausgebildetet Fachleute.
 
Ein Buch lesen und gut ist, wenn das mal so einfach währe. Bei dem Beispiel mit der Freundin klingt es so, dass es nicht nur um das Trauma Missbrauch geht,
sondern aus der seelischen Störung hat sich eine chronische psychische Krankheit entwickelt und mit solchen Menschen Umgehen ist eine besondere Herausforderung.
Da ist die Gefahr, dass sie das Buch auf Grund der Betroffenheit nicht intellektuell bewältigen, groß, weniger wegen Dummheit, ganz im Gegenteil,
diese betroffenen Frauen sind oft sehr intelligent aber die Aufmerksamkeit, Konzentration und die Fähigkeit der Selbstheilung sind eingeschränkt.
Psychisch chronisch kranke Menschen können oft mit einem Buch allein nicht so viel anfangen, sie lesen es aber sie können den Inhalt nicht so
gut auf den Alltag praktisch übertragen, es dann in der Gruppe üben bringt meistens mehr Erfolg. Bei diesen Menschen findet die Traumatisierung keine
Überwindung und die Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) entwickelt sich zu schweren psychischen Symptomen bis hin zu Psychosen.
Diese Menschen die ihr Trauma nicht überwinden brauchen einen besonderen Umgang im Alltag der von nicht Geschulten kaum zu leisten ist.
 
fluuu schrieb:
Psychisch chronisch kranke Menschen können oft mit einem Buch allein nicht so viel anfangen, sie lesen es aber sie können den Inhalt nicht so gut auf den Alltag praktisch übertragen, es dann in der Gruppe üben bringt meistens mehr Erfolg.

Ja das 'Wir' Gefühl wird wieder antrainiert! Ein Beispiel: "Deutschland freut sich auf die Queen!" :D Auf die Kosten wird geschissen! :D Wer Fähnchen fleißig schwingt und mitsingt bekommt vom Pfarrer Gauck eine Seelig machende Glücksminute! :D

fluuu schrieb:
Bei diesen Menschen findet die Traumatisierung keine Überwindung und die Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) entwickelt sich zu schweren psychischen Symptomen bis hin zu Psychosen.
Diese Menschen die ihr Trauma nicht überwinden brauchen einen besonderen Umgang im Alltag der von nicht Geschulten kaum zu leisten ist.

Die Geschulten müssten ja erst einmal 'Hegelchen' lesen und verstehen. :lachen:
 
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Ein Buch lesen und gut ist, wenn das mal so einfach währe.


Natürlich ist es nicht einfach und wer hat gesagt, dass es dann schon gut ist?
Aber zu verstehen, was mit einem selbst los ist, woher es kommt und wie man es auflösen kann, ist sehr hilfreich und unterstützend!
Nur lesen reicht natürlich nicht - man kommt ja auch nicht nach China, wenn man einen Reiseführer liest! :rolleyes:
 
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