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Robin
Guest
Eine Diskussionsveranstaltung zur Rezeption "neuer" Musik
In der Akademie der Künste in Berlin trafen in einem Diskussionskonzert der Komponist Erhard Grosskopf, seines Zeichens Verfasser spröd-konzentrierter Kammermusik, und der Soziologe und Luhmann-Adept Dirk Baecker aufeinander.
Ausgangspunkt der sehr freundlichen Diskussion war die sehr umstrittene These des "Ur"-Soziologen Max Weber, dass die europäische klassische Musik Ausdruck der Rationalisierung der Gesellschaft sei. Die Bezähmung alles Ekstatischen In Noten sozusagen. Grosskopf gab zunächst zu, dass seine Musik in der Tat wenig Ekstatisches beinhalte - dass es aber auch in ihr immer ein Element gäbe, dass über die Rationalität hinausgehe. Dirk Baecker schilderte daraufhin seine Erwartungen, wenn er in ein Konzert moderner Musik (oder in eine Ausstellung moderner Kunst usw.) ginge: Er wolle eben nicht wie ein "Bürger des 19 Jahrhunderts" etwas vom Alltag abgekoppeltes, nur schönes erleben. Sondern er erwarte und erhoffe durch das Kunst-Erlebnis ein Neustrukturierung seines Bewusstseins, die in im besten Fall dazu in die Lage versetze, mit dem Leben draußen, dem pulsierenden Berlin um ihn herum anders umzugehen. Er erwarte also von der zeitgenössischen Kunst etwas, das mit seinem Leben zu tun habe, ja, in sein Leben eingreife.
Man könnte nun diskutieren, ob diese Erwartungshaltung ein Monopol zeitgenössischer Kunstrezeption ist oder ob es das nicht auch im 19 Jhd. schon gab. Es könnte einem aber auch der für Luhmann typische Begriff der Unwahrscheinlichkeit jeder Kommunikation in den Sinn kommen. Denn man muss zugeben, dass eine solch anspruchsvolle und komplizierte Erwartungshaltung (Baecker sprach auch davon, dass er "sich beim Hören zuhöre") das Gelingen von Kunstkommunikation vergleichsweise unwahrscheinlich macht - verglichen eben zu einer früher nur "genießenden" Erwartungshaltung.
Von der Unwahrscheinlichkeit jeder Kommunikation führt der Gedankenweg stracks zu jenen Kommunikationselementen, die laut Luhmann das Unwahrscheinliche der Kommunikation eben doch wahrscheinlich machen: den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Jene Generalbegriffe also, die Ein Feld von lose gekoppelten Bedeutungen um sich sammeln, auf dem dann sich konkreter Sinn und konkreter Kommunikationserfolg herauskristallisieren kann. Beispiel dafür in der Systemtheorie: Liebe, Geld, Macht, Recht, Information u.a.
In der Musik nun könnte man die klassischen Stützen tonaler Musik als solche Medien bezeichnen: Rhythmik, Harmonik, Melodik. Aus dem (aus lose gekoppelten Elementen bestehenden) Medium Rhythmik wird der konkrete (damals noch: physisch nachvollziehbare) Rhythmus. Aus der Melodik die dann streng gekoppelte (und nur dann wiedererkennbare) Melodie und ähnliches für die Harmonik. Systemtheoretisch könnte man also formulieren: Die Musik Anfang des 20. Jhds verzichtet auf jene evolutionär so erfolgreichen Medien und erhöht damit die Unwahrscheinlichkeit des Erfolges der Kommunikation. Auf der Rezeptionsseite entsteht dadurch der Übergang vom Genießen in - ja in was? Eine Haltung, ähnlich die von Herrn Baecker?
Allerdings waren sich Komponisten wie z.B. Schönberg dieses Übergangs nicht bewusst - das zeigen ihre Hoffnungen darauf, dass ihre neue, teilweise auf die alten Generalisierungen verzichteten Töne bald direkt in die Herzen des Publikums zielen würden. Auch strichen sie die Medien stufenweise - und nicht ersatzlos. Die Medien allerdings, deren Etablierung man ersatzweise dann versuchte, wurden in ihrer Generalisierbarkeit überschätzt. Und schließlich, in manchen radfikalen Ansätzen, wurde die Nicht-Generalisierbarkeit als Erfolg umgedeutet - und für den Rezipient war es dann o.k., wenn er nicht mehr verstehen konnte, sondern nur noch irritiert sein durfte.
Dies sind alles Überlegungen, die Dirk Baecker gegenüber Erhard Grosskopf nicht formulieren wollte (oder konnte). Man muss ja auch nicht jede Diskussionsveranstaltung über neue Musik als Problemveranstaltung zu deren mangelnder Rezeption funkionalisieren. Vielmehr sprach man über generelle Rezeptionsbedingungen (wer hört? Das Ohr oder das Bewusstsein?), über die (Un)möglichkeit unvoreingenommenen Hörens und man musste natürlich auch einen weiteren Soziologen zumindest streifen: Adorno.
Sein Haltung zu Musik, so meinte Baecker, sei eine Art "gegen den Strich gebürsteter Max Weber" gewesen. Nach Adorno habe Weber Recht gehabt, dass die Gesellschaft durchrationalisiert und verwaltet sei, die Musik sei dafür aber nicht Symbol, sondern im Gegenteil die "Insel der Seligen". Und es gäbe dann eben die richtige Musik, die mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht einverstanden sei und die falsche, die einverstanden sei. Allerdings, so Baecker, sei Adorno wenig zu der Frage eingefallen, wie denn der feste Ankerpunkt aussähe, mithilfe dem entschieden werden könne, welche Musik "einverstanden" oder nicht sei. Und, so könnte man fortführen, damit sind natürlich auch seine ästhetischen Urteile (Schönberg gut, Strawinsky böse) historisch obsolet.
Ganz so schnell wollte Grosskopf denn Adorno doch nicht abgebügelt sehen und insistierte, dass es für seine Musik schon wichtig sei, nicht einverstanden zu sein. Als Gegenbeispiel kam er auf die hochekstatische Techno-Musik, deren Party-Rezeption ein hohes Maß an Einverstandensein voraussetze - woraufhin Baecker konterte, man köne durchaus auch sein Einverständnis damit feiern dass man mit der Gesellschaft nicht einverstanden sei. Eine typisch systemtheoretische Paradoxie, die darauf verweist, dass jeder Code eine Zwei-Seiten-Form ist. Und natürlich ein versteckter Seitenhieb gegen jene Art von Künstlern und Intellektuelle, die ihr Uneinverstandensein wie eine Auszeichnung vor sich hertragen und eben damit um Einverständnis werben - und zwar mitten in der Gesellschaft.
Aber das ging alles sehr friedlich einher und zum Anschluss spielte niemand geringeres als Mitglieder des Ensemble Recherche ein weiteres Stück Erhard Grosskopfs, ein Streichtrio, bei dem sich die Instrumente offensichtlich in verschiedenen Vierteltonräumen bewegten. Ästhetischer Höhepunkt des Abends aber bildete, neben Schnittchen und Bier nach dem Konzert - der Blick von der Terasse des Gebäudes der Akademie der Künste auf Brandenburger Tor und Pariser Platz bei Nacht. Das sah einfach sagenhaft aus.
In der Akademie der Künste in Berlin trafen in einem Diskussionskonzert der Komponist Erhard Grosskopf, seines Zeichens Verfasser spröd-konzentrierter Kammermusik, und der Soziologe und Luhmann-Adept Dirk Baecker aufeinander.
Ausgangspunkt der sehr freundlichen Diskussion war die sehr umstrittene These des "Ur"-Soziologen Max Weber, dass die europäische klassische Musik Ausdruck der Rationalisierung der Gesellschaft sei. Die Bezähmung alles Ekstatischen In Noten sozusagen. Grosskopf gab zunächst zu, dass seine Musik in der Tat wenig Ekstatisches beinhalte - dass es aber auch in ihr immer ein Element gäbe, dass über die Rationalität hinausgehe. Dirk Baecker schilderte daraufhin seine Erwartungen, wenn er in ein Konzert moderner Musik (oder in eine Ausstellung moderner Kunst usw.) ginge: Er wolle eben nicht wie ein "Bürger des 19 Jahrhunderts" etwas vom Alltag abgekoppeltes, nur schönes erleben. Sondern er erwarte und erhoffe durch das Kunst-Erlebnis ein Neustrukturierung seines Bewusstseins, die in im besten Fall dazu in die Lage versetze, mit dem Leben draußen, dem pulsierenden Berlin um ihn herum anders umzugehen. Er erwarte also von der zeitgenössischen Kunst etwas, das mit seinem Leben zu tun habe, ja, in sein Leben eingreife.
Man könnte nun diskutieren, ob diese Erwartungshaltung ein Monopol zeitgenössischer Kunstrezeption ist oder ob es das nicht auch im 19 Jhd. schon gab. Es könnte einem aber auch der für Luhmann typische Begriff der Unwahrscheinlichkeit jeder Kommunikation in den Sinn kommen. Denn man muss zugeben, dass eine solch anspruchsvolle und komplizierte Erwartungshaltung (Baecker sprach auch davon, dass er "sich beim Hören zuhöre") das Gelingen von Kunstkommunikation vergleichsweise unwahrscheinlich macht - verglichen eben zu einer früher nur "genießenden" Erwartungshaltung.
Von der Unwahrscheinlichkeit jeder Kommunikation führt der Gedankenweg stracks zu jenen Kommunikationselementen, die laut Luhmann das Unwahrscheinliche der Kommunikation eben doch wahrscheinlich machen: den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Jene Generalbegriffe also, die Ein Feld von lose gekoppelten Bedeutungen um sich sammeln, auf dem dann sich konkreter Sinn und konkreter Kommunikationserfolg herauskristallisieren kann. Beispiel dafür in der Systemtheorie: Liebe, Geld, Macht, Recht, Information u.a.
In der Musik nun könnte man die klassischen Stützen tonaler Musik als solche Medien bezeichnen: Rhythmik, Harmonik, Melodik. Aus dem (aus lose gekoppelten Elementen bestehenden) Medium Rhythmik wird der konkrete (damals noch: physisch nachvollziehbare) Rhythmus. Aus der Melodik die dann streng gekoppelte (und nur dann wiedererkennbare) Melodie und ähnliches für die Harmonik. Systemtheoretisch könnte man also formulieren: Die Musik Anfang des 20. Jhds verzichtet auf jene evolutionär so erfolgreichen Medien und erhöht damit die Unwahrscheinlichkeit des Erfolges der Kommunikation. Auf der Rezeptionsseite entsteht dadurch der Übergang vom Genießen in - ja in was? Eine Haltung, ähnlich die von Herrn Baecker?
Allerdings waren sich Komponisten wie z.B. Schönberg dieses Übergangs nicht bewusst - das zeigen ihre Hoffnungen darauf, dass ihre neue, teilweise auf die alten Generalisierungen verzichteten Töne bald direkt in die Herzen des Publikums zielen würden. Auch strichen sie die Medien stufenweise - und nicht ersatzlos. Die Medien allerdings, deren Etablierung man ersatzweise dann versuchte, wurden in ihrer Generalisierbarkeit überschätzt. Und schließlich, in manchen radfikalen Ansätzen, wurde die Nicht-Generalisierbarkeit als Erfolg umgedeutet - und für den Rezipient war es dann o.k., wenn er nicht mehr verstehen konnte, sondern nur noch irritiert sein durfte.
Dies sind alles Überlegungen, die Dirk Baecker gegenüber Erhard Grosskopf nicht formulieren wollte (oder konnte). Man muss ja auch nicht jede Diskussionsveranstaltung über neue Musik als Problemveranstaltung zu deren mangelnder Rezeption funkionalisieren. Vielmehr sprach man über generelle Rezeptionsbedingungen (wer hört? Das Ohr oder das Bewusstsein?), über die (Un)möglichkeit unvoreingenommenen Hörens und man musste natürlich auch einen weiteren Soziologen zumindest streifen: Adorno.
Sein Haltung zu Musik, so meinte Baecker, sei eine Art "gegen den Strich gebürsteter Max Weber" gewesen. Nach Adorno habe Weber Recht gehabt, dass die Gesellschaft durchrationalisiert und verwaltet sei, die Musik sei dafür aber nicht Symbol, sondern im Gegenteil die "Insel der Seligen". Und es gäbe dann eben die richtige Musik, die mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht einverstanden sei und die falsche, die einverstanden sei. Allerdings, so Baecker, sei Adorno wenig zu der Frage eingefallen, wie denn der feste Ankerpunkt aussähe, mithilfe dem entschieden werden könne, welche Musik "einverstanden" oder nicht sei. Und, so könnte man fortführen, damit sind natürlich auch seine ästhetischen Urteile (Schönberg gut, Strawinsky böse) historisch obsolet.
Ganz so schnell wollte Grosskopf denn Adorno doch nicht abgebügelt sehen und insistierte, dass es für seine Musik schon wichtig sei, nicht einverstanden zu sein. Als Gegenbeispiel kam er auf die hochekstatische Techno-Musik, deren Party-Rezeption ein hohes Maß an Einverstandensein voraussetze - woraufhin Baecker konterte, man köne durchaus auch sein Einverständnis damit feiern dass man mit der Gesellschaft nicht einverstanden sei. Eine typisch systemtheoretische Paradoxie, die darauf verweist, dass jeder Code eine Zwei-Seiten-Form ist. Und natürlich ein versteckter Seitenhieb gegen jene Art von Künstlern und Intellektuelle, die ihr Uneinverstandensein wie eine Auszeichnung vor sich hertragen und eben damit um Einverständnis werben - und zwar mitten in der Gesellschaft.
Aber das ging alles sehr friedlich einher und zum Anschluss spielte niemand geringeres als Mitglieder des Ensemble Recherche ein weiteres Stück Erhard Grosskopfs, ein Streichtrio, bei dem sich die Instrumente offensichtlich in verschiedenen Vierteltonräumen bewegten. Ästhetischer Höhepunkt des Abends aber bildete, neben Schnittchen und Bier nach dem Konzert - der Blick von der Terasse des Gebäudes der Akademie der Künste auf Brandenburger Tor und Pariser Platz bei Nacht. Das sah einfach sagenhaft aus.