• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Kardinal Meisner und die Kunst

AW: Kardinal Meisner und die Kunst

Hallo Hanna!
Es ist mir schlicht und ergreifend egal, ob irgendjemand, und sei es ein Kardinal, etwas schön oder hässlich findet und welche Urteile er in welcher Sprache abgibt.
Mir liegt etwas daran, genau hinzuschauen, was jemand sagt und ob das auch das ist was er meint. Und damit meine ich jetzt deinen Beitrag und meine Antwort drauf.

Das Wort und seine Bedeutung stand im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit, nicht die Geschichte dahinter.

Und nocheinmal, "entartet" wird m.E. nicht verwendet, um damit ein missratenes Kind (welch eine furchtbare Titulierung für ein Kind) zu bezeichnen. "Aus der Art geschlagen", das hab ich schon gehört, aber eher auch nur mit so einem kleinen Augenzwinkern, noch im Rahmen des liebevollen Betrachtens.
Entartet, lass es einmal in dich einfließen, dieses Un-Wort. Es klingt wie ein Todesurteil, hart, endgültig und pauschal. Und es klingt, als ob jemand aktiv und absichtlich außerhalb des Erlaubten agiert hätte.

Zugegeben, das ist keine wissenschaftlich fundierte Erklärung, aber es ist das, was in meinem Gedächtnisspeicher archiviert ist und was ich empfinde.

Der Kardinal ist mir wurscht, samt den Kirchenfenstern, die ich nicht kenne.
:blume1:
 
Werbung:
AW: Kardinal Meisner und die Kunst

Die Verwendung des Begriffes "entartet" ist dumm, egal, ob es sich auf Kunst und Kultur bezieht (wo soll da eigentlich der große Unterschied für diese Frage sein?).

Was den Kardinal betrifft. Es ist peinlich, aber der Kerl hat sich ja auch dafür entschuldigt.

Für mich stellt sich hier weniger die Frage der Azossiation mit dem Begriff "entartete Kunst" aus der NS Zeit, als vielmehr, wie ein Kardinal darauf kommen kann, nur den kirchlichen "Kultus" als legitim darzustellen. Das ist unglaublich arrogant vor allem seitens eines Vertreters einer Kirche, die zwar sicher auch Künstler inspiriert haben mag (oder war es doch der Glaube selbst?), andererseits aber nun alles andere als innovatonsfördernd gewirkt hat. Natürlich stelle ich mir auch die Frage, ob er wenigstens so unbedeutende Vertreter wie Lukas Cranach (der hat ja besonders gern den Luther gemalt) oder Johann S. Bach als Kunst akzeptiert...

Wie dem auch sei: Das, was der Kardinal denkt, zeigt jenseits aller Entschuldigungen für das sprachliche Mißgeschick erschreckend, wo seiner Meinung nach der Zug hinfahren soll. Was solls, er ist (jedenfalls was sein Kunst-oder Kulturverständnis angeht) ein einsamer Depp mit einer einsamen Meinung...

...hoffentlich.

Viele Grüße
Zwetsche
 
AW: Kardinal Meisner und die Kunst

Lieber Zwetsche,

danke für deinen Beitrag, der dieser Diskussion nun eine breitere Basis verleiht - mich jedenfalls noch über andere, verwandte Aspekte nachdenken lässt.
Doch erst zu deinem Satz:


Das, was der Kardinal denkt, zeigt jenseits aller Entschuldigungen für das sprachliche Mißgeschick erschreckend, wo seiner Meinung nach der Zug hinfahren soll. Was solls, er ist (jedenfalls was sein Kunst-oder Kulturverständnis angeht) ein einsamer Depp mit einer einsamen Meinung...

...hoffentlich.

So einsam ist er nun nicht mehr, der Erzbischof, denn es verteidigt ihn – wer schon? Der Augsburger Bischof Walter Mixa. Darauf habe ich ehrlich gesagt auch gewartet, denn Mixa hatte sich ja auch so viel sagend in die Debatte über Kinderbetreuung, Krippenplätze, Rolle der Frau, etc…geäußert.

Nun betont Mixa, dass der Kölner Erzbischof Meisner zu Recht darauf hingewiesen habe, dass sowohl die Kultur als auch die Zivilisation jeden Maßstab verlieren würde wenn "die Letztverantwortung vor Gott einer zunehmenden Gottvergessenheit" weichen würde.
Und nochmals wird der Verlust der Mitte beklagt, denn diese ginge verloren wenn die Kunst und Kultur von Gott abgekoppelt würden. Dabei findet es Mixa besonders verwerflich, dass auch Katholiken sich gegen Meisner gestellt haben. Wörtlich heißt es: "Besonders bedauerlich ist es, wenn sich in einer solchen Kampagne auch führende Katholiken dazu hergeben, dem Kardinal in den Rücken zu fallen, ohne sich auf die Sinnaussagen der Predigt zu beziehen"...

Stimmt nicht. Auch die katholischen Repräsentanten beziehen sich in ihren Äußerungen hauptsächlich auf die Sinnaussage.
Ist es der alte Gehorsam der hier gefordert wird? Für mich klingt es so. Und dies noch dazu in Köln, wo der so genannte rheinische Katholizismus eben mit Gehorsam wenig am Hut hat.

Meine Überlegungen betreffend das sehr gelungene Fenster von Gerhard Richter gingen noch etwas weiter und das ausgerechnet heute Nacht - darüber etwas später.

Liebe Grüße

Miriam

 
AW: Kardinal Meisner und die Kunst

Liebe Miriam!

Ich verstehe deine Empörung, und ich persönlich finde die Äußerung Meisners spontan widerlich. (Wie Meisner überhaupt Kardinal geworden ist, das habe ich nicht gewusst, danke für die Einblicke. Wie hast du das übrigens erfahren?)

Aber zu Meisners Äußerung selbst: ich habe die röm.-kath. Kirche bisher so verstanden, dass sie alles, was es auf Erden gibt, jede Beschäftigung, jedes Thema, jedes Leben, jede Anstrengung, wirklich ALLES als einen mehr oder weniger netten Versuch betrachtet, den man auch respektieren und anerkennen darf, dass aber nichts, was jemals irgendwo geschieht, ohne Einbettung in die röm.-kath. Kirche einen echten Sinn hat und zu einer Erlösung des Menschen führen kann.

Das ist der überhöhte Anspruch aus Cyprians "extra ecclesiam nulla salus" (siehe Wikipedia); frei übersetzt: außerhalb der (röm.-kath.) Kirche ist alles stockfinster. Dieser Satz ist fast 1800 Jahre alt.

Wenn Meisner jetzt aus irgendeinem Anlass davon spricht, dass Kunst außerhalb der röm.-kath.-Kirche keinen Sinn hat, dann repetiert er nur zum Erbrechen, was diese Kirche immer sagt: keine Kunst, keine Kultur, keine Arbeit, kein Sex, kein Witz, kein Leben, kein Sterben, NICHTS hat irgendeinen Sinn außerhalb der Kirche (=Mitte).

Dass er das jetzt halt einmal "entartet" nennt, finde ich grauslich deppert. Aber Meisner sagt absolut nichts Neues.

Was ich neu finde, und das gibt mir Hoffnung, ist, dass er uns damit plötzlich verstört. Und dass er uns damit zu einer genaueren Auseinandersetzung bewegt, die Meisner vermutlich gar nicht wollte: ich habe jetzt wegen ihm diesen Satz bei Cyprian nachgegraben: das schiere Alter dieses kirchlichen Fundaments an Starrheit fasziniert mich immer wieder...

lg Frankie
 
Werbung:
AW: Kardinal Meisner und die Kunst

Lieber Frankie,

zu deiner Frage wie ich an die Geschichte der Ernennung von Kardinal Meisner zum Erzbischof von Köln komme, hier meine sehr einfache Erklärung: ich bin zwar keine gebürtige, aber eine überzeugte Kölnerin. Den damaligen Kampf der Kölner gegen die eindeutige Absicht des Vatikans habe ich tag täglich verfolgt - die Einzelheiten konnte ich nicht mehr zusammenfügen, aber Herr Gugl hat mir gehofen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Meisner

Dat kann nur ne kölsche Seele so ausführlich für Wiki verfasst haben!

Nun aber zu dem was ich in meinem vorigen Beitrag schon angedeutet hatte: meine weiterführenden Gedanken ausgerechnet in der Nacht: entspricht ungewollt das wunderschöne Fenster von Gerhard Richter im Dom nicht einem alttestamentarischen Gedanken: "Du sollst dir kein Gottesbild machen"? Wegen dieser Überlegung wollte ich dann überprüfen ob vielleicht unser so Kunstbewanderte Kardinal sich je dazu geäußert hat. Zu meinem Erstaunen wurde ich sogar fündig – zwar äußerte er sich damals nicht zu Richters Werk.
So heißt es in einer Predigt die er in Februar 2007 hielt:

Zitat:


"Du sollst dir kein Gottesbild machen" (Ex 20,4), ist dem alttestamentlichen Gottesvolk ins Stammbuch geschrieben worden. Das gilt in gewissem Sinn auch für das neutestamentliche Gottesvolk. Da aber Gott durch seine Menschwerdung in Jesus Christus selbst menschliche Gestalt angenommen hat, lässt er sich im Gegensatz zum Alten Bund bildlich darstellen, wie wir das in der christlichen Kunst hundertfach und tausendfach erleben und erfahren können. Aber auch im Neuen Bund gilt in gewissem Sinn das Bilderverbot: "Du sollst dir kein Gottesbild machen". Vielmehr sollst du das Bild Gottes, das er von sich selbst hat, in die Welt deines Glaubens, Hoffens und Liebens übernehmen. Täuschen wir uns nicht! Gottesbilder sind keine Privatsache, sondern sie haben etwas Wesentliches mit der Welt und den Menschen zu tun.
Adam wollte werden wie Gott. Kann es denn einen schöneren Ehrgeiz geben als dieses Wollen, wie Gott zu werden? Lädt uns der Sohn Gottes nicht ausdrücklich dazu ein, indem er sagt: "Ihr sollt vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist" (Mt 5,48)?


http://www.erzbistum-koeln.de/modules/news/news_0593.html?uri=/index.html

Ich weiß nicht wie es anderen geht wenn sie solche Texte lesen. Mir scheint es, dass manche erzkonservative katholische Würdenträger wirklich den Anspruch erheben ihr Weltbild und Menschenbild als alleingültig und als Basis unserer Kultur zu verstehen.
Diese Tendenz geht ja weiter, denn immer mehr versucht man wissenschaftliche Erkenntnisse und Auslegungen die unsere Welt betreffen, durch biblische Auffassungen und Texte zu ersetzen. Siehe da die Versuche an manchen Schulen die biblische Schöpfungsgeschichte an Stelle der Evolutionslehre in den Lehrplan aufzunehmen.

Da geht es aber um zwei völlig unterschiedliche Angelegenheiten.

So weist der christliche Anthropologe Jörg Splett darauf hin, dass bei diesen entweder/oder auch der Charakter der Bibel verkannt wird. Denn, so Splett, ginge es der Heiligen Schrift eigentlich um die Sinnfrage des Menschen und nicht um die Lösung der Rätsel der Naturwissenschaften.

Wörtlich schreibt Jörg Splett, es ginge darum:
"was Gott für den Menschen bedeutet und was Mensch und Welt im Lichte Gottes bedeuten".

Die Tendenz die Heilige Schrift als Auslegung bei naturwissenschaftlichen Fragestellungen als gültige Antwort zu betrachten, weist auf den fundamentalistischen Charakter dieser Bewegungen, sowohl der Kreationisten, als auch des Intelligent Design in den USA, aber leider auch mancher Tendenzen hier in Deutschland.

Natürlich geht dieser Beitrag weit über dem Titel dieses Threads heraus - aber meiner Meinung nach kann man auch die Äusserungen von Kardinal Meisner nur im Zusammenhang mit manchen Tendenzen des heutigen konservativen Katholizismus allgemein sehen.

Gruß

Miriam

 
Zurück
Oben