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Kann Terrorismus relativiert werden?

Miriam

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Registriert
26. Juni 2005
Beiträge
9.722
Ich möchte Euch gerne die Frage stellen, ob Ihr auch eine gewisse Irritation verspürt habt, rund um den Entführungsfall Jürgen Chrobog - besser gesagt, bei der Art wie der Entführte sich im nachhinein dazu geäussert hat?

Eine solche Relativierung wie in den Worten des ehemaligen Staatssekretärs, lies mich persönlich sprachlos. M.E. ist an und für sich die gewalsame Beraubung der Freheit eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen, ein terroristischer Akt, der es nicht zulässt auch noch positive Worte in diesem Zusammenhang zu verwenden.

Doch Chrobog meinte u.a., dass er und seine Familie während der Geiselnahme, "anständig" und "sehr ehrenhaft" behandelt worden sind. Die Entführung habe keinen terroristischen, religiösen oder ideologischen Hintergrund gehabt. Zwar habe die Entführung "mit einer schweren Schießerei, bei der unser Fahrer um ein Haar ums Lebens gekommen wäre" begonnen, wie Chrobog sagte. Hinzugefügt hat er dann: "Aber es gab schon einige irrationale Momente, wo man sich durchaus als gefährdet betrachten konnte." Weiter sagte Chrobog, dass die Entführung "auch eine interessante Erfahrung" gewesen sei und sie hätte ihm erlaubt "eine fremde Kultur intensiv kennen lernen zu dürfen".

Für mich ist eine solche Relativierung bei einem Gewaltakt, unverständlich. Es zeigt uns fast schon, dass es gute und schlechte Entführungen gibt, stellt diese brutale und menschenverachtende Methode des Kampfes nicht a priori in Frage - und ich befürchte, dass auch solche Methoden eine gewisse Akzeptanz erfahren werden.
 
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Schön guten abend,

als ich Deinen Thread las, kam mir zuerst der Gedanke, nach dem ich unter dem Titel "Was ist ein guter Mensch?", "Verhör des Guten" von Brecht vernommen hatte, eines "Verhör des Schlechten"!
Zitat von Miriam:
Ich möchte Euch gerne die Frage stellen, ob Ihr auch eine gewisse Irritation verspürt habt, rund um den Entführungsfall Jürgen Chrobog - besser gesagt, bei der Art wie der Entführte sich im nachhinein dazu geäussert hat?

Welches Motiv hat hinter der Entführung gesteckt? Wollten diese Menschen nicht bloß politische Aufmerksamkeit? Oder humanitäre Hilfe?

Fragen, die ich mir in diesem Zusammenhang gestellt habe!

Für mich ist eine solche Relativierung bei einem Gewaltakt, unverständlich. Es zeigt uns fast schon, dass es gute und schlechte Entführungen gibt, stellt diese brutale und menschenverachtende Methode des Kampfes nicht a priori in Frage - und ich befürchte, dass auch solche Methoden eine gewisse Akzeptanz erfahren werden.

Und trotzdem, bevor du vielleicht auf Grund meiner obrigen Äußerung erschrickst, stimme ich Dir zu.
Wie menschlich, edel und spannend die Entführung Herrn Chrobog oder sonst wem auch erschien; die Entführung eines Menschen gilt es nicht zu relativieren! Es gibt keine 'gute' Freiheitsberaubung, wie es keine 'gute' Gewalt, keinen 'guten' Krieg und kein 'gutes' Böses gibt!

Ein Gedankenfehler, den, m.E., viele Sozialisten und Kommunisten des vergangenen Jahrhunderts begangen haben: Eine gute, bessere Welt durch Gewalt (die gewaltsamen Revolution) zu erreichen ist nicht möglich!

Mfg Patrice :)
 
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Hallo Miriam,
Deine absolute Ablehnung gegen Entführung ist auch meine Meinung und wahrscheinlich auch die aller Nichtbetroffenen.
Entführungsopfer sind aber in einer Ausnahmesituation.
Es gab sogar schon Anschlüsse von Entführten zu ihren Tätern.
Ich erinnere mich wage an die Millionärstochter (ihren Namen habe ich vergessen) vor Jahren in Amerika, die mit ihrem Entführer ein krimminelles Duo bildete.

Habe hier einen Link über Entführungsopfer aus psychologischer Sicht herausgesucht.
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/01.12.2005/2208729.asp

MfG

Triskell
 
Hallo Triskell,

natürlich gab es und gibt es das, die enge Beziehung zwischen Opfer und Täter. Es gab auch noch andere Beispiele nach dem Krieg, wo ehemalige KZ-Häftlinge (weiblich) eine intensive Liebesbeziehung zu Männer hatten, die nicht den Geschehnissen im dritten Reich, so ganz fremd waren - ich meine als aktive Mitwirkende.

Hier aber geht es um etwas anderes: eine Geisel und seine Familie, noch dazu ein gewesener Staatssekretär der mit der Problematik vertraut war und wusste was da alles potentiell sich abspielen kann, gibt einige offizielle Statements ab, in denen er unter anderem auch von einer "interessanten Erfahrung" spricht.

Erstens: die Methode der Entführung von Menschen muss jederzeit verpönt und geächtet werden. Es ist eine rein terroristische Strategie, und kann für einzelne glimpflich ablaufen - was aber die Methode an sich keineswegs akzeptabel macht.

Zweitens: alle diese Terrororganisationen hören unsere Sender genau ab und werden feststellen, dass eine Entführung auch noch einigermassen positiv bewertet werden kann.

Drittens: es ist ein Hohn für alle, die auch eine Entführung durchgemacht haben und heute noch an den Folgen leiden.
 
Auch ich habe mich sehr gewundert, dass ein doch nicht so dummer Mensch in einer derartigen Position so naiv sein kann.

Selbst wenn die Entführer, die ja nur ein Werkzeug ihrer Befehlshaber sind, zu den Entführten vorerst nett sein sollen, aus welchen Gründen immer, muss man sich doch der Gefahr bewusst sein, in der man schwebt.

Sobald der Befehlshaber meint "Kopf ab!" sind sie des Todes. Da helfen ihnen die freundlichen Worte von gestern auch nicht mehr.

Und dann noch diese Lobeshymnen, wie gut sich die Terroristen ihnen gegenüber benommen hätten und sie sehr viel dadurch über deren Kultur erfahren hätten. Das schlägt dem Fass den Boden aus. Unglaublich!

Noch dazu hat es sich ja wirklich um echte Terroristen gehandelt. Es verhält nich nämlich anders, wenn man Menschen, die kein Militär besitzen, sich aber gegen eine bis an die Zähne bewaffnete Macht, die ihnen alles genommen hat, mit dem Einsatz ihres Lebens wehrt, als Terroristen bezeichnet. In solchen Fällen kann man sich schon fragen, wer nun eigentlich der Terrorist ist.

suche :mad:
 
von Miriam: ... "anständig" und "sehr ehrenhaft" behandelt worden sind....dass die Entführung "auch eine interessante Erfahrung" gewesen sei und sie hätte ihm erlaubt "eine fremde Kultur intensiv kennen lernen zu dürfen".

Hallo Miriam,

ich vermute, er meint damit das orientalische Gastrecht. Dieses Gastrecht wird in unserem Verständnis manchmal als „etwas besonderes“ aufgefasst...man hört Redensarten wie „die sind so zuvorkommend und freundlich...man darf nur nichts abschlagen“. In meinen Augen geht das Gastrecht mit einer Art vorübergehender Vereinnahmung des Gastes ein her...will heißen, dass der Gastgeber sich in einer eigenartigen Gönner-und Machstellung sieht, wobei ich persönlich letzteres als Beherrschen einer unbekannten Situation (durch Kontrolle) einschätze. Ich hab keine Ahnung, aber ich vermute, man stellt(e) sich in der Wüste mit dem Ankommenden erst mal gut, bevor man langsam ergründet(e), was er will...die Gastgeberrolle soll weniger den Gast gnädig stimmen, als dass der Gastgeber die Situation zu seinem eigenen Schutz beherrscht.

Vermischt mit dem Entführungsfall: Der Gast wird zum Kind. Was macht der Vater mit dem Kind? Welche Chance hat das Kind? Das Stockholmsyndrom spiegelt in Teilen die gleiche Situation, die ein Kind mit einer Elternfigur durchlebt hatte wider...es kann sich wehren oder mit dem Täter, oder z.B. dem Papa identifizieren. Identifizieren= einseitige emotionale Bindung. Der Entführte könnte sich durch den erheblichen Druck in eine ähnliche Lage versetzt sehen...wobei ihm jedoch seine verstandesmäßige Meinung vom Gestrecht als etwas Tolles (Gönner-Illusion) noch mehr Verwirrungen bereitet. Naja...da sieht keiner mehr durch...vielleicht ist der Herr Chrobog auch deshalb so seltsam.

Und da man im TV Herrn Chroborg mit seinen 3 erwachsenen Söhnen u. Frau im Hintergrund so wie den Übervater wahrnehmen könnte...gibt es zusätzlich noch den Aspekt, dass ein so "oben-unten"-geprägter Mensch seinerseits selbst wenn er im Leben der Übervater ist...auch sehr leicht eigene Übergeordnete (hier Entführer) akzeptiert...das ist kein Geheimnis. Daraus würde sich zumindest leichtfüßig auch was herleiten lassen, was zu seinen Worten passt. :dontknow:


Für mich ist eine solche Relativierung bei einem Gewaltakt, unverständlich.

Ja man hat den Eindruck, alsob es gute und böse Entführungen gäbe. Das wiederum lenkt einen wie an einem roten Faden zu seiner eigenen Arbeitsweise oder allgemein der Arbeitsweise „der Guten“. Vielleicht gibt es ja dort Gründe, die diese Einstellung mit Tatsachen füllen. :confused:

Viele Grüße
Bernd
 
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also suche bringt es auf den punkt.
es sind und bleiben terroristen, die auf befehl auch opfer bringen - todesopfer.

es steht nirgends geschrieben, dass terroristen unhöfflich sein müssen, doch sie als interessant zu deklarieren ist der hammer!

lg binchen
 
andere länder, andere sitten

der jemen scheint dabei ein sichereres und kultivierteres pflaster zu sein
als die usa
 
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Nein, Terrorismus darf nicht relativiert werden.

Es gibt keine positive, offensive Gewalt. Gewalt soll immer nur - genauestens gesetzlich geregelt - als Notwehr zulässig sein - von unmittelbar Gefährdeten und von den von demokratischen gewählten Regierungen dafür eingesetzten Kräfte.

Kein Zweck heiligt alle Mittel. Die (moralisch) zulässigen Mittel, um etwas durchzusetzen sind das geschriebene und gesprochene Wort.

Die einzige Regierungsform, die Chancen auf einen dauerhaften Frieden bietet, ist die Demokratie.

Liebe Grüße

Zeili
 
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