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Kampf der Stahlgiganten

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daimos

Guest
Angeheizt durch Chinas enorme Nachfrage, hat die Stahlbranche einen Boom erfahren. Die neue Liquidität setzt man jetzt ein: Der indische Stahlkocher und Weltmarktführer Mittal Steel will jetzt den Platz 2 der Weltrangliste, den europäischen Konzern Arcelor, kaufen. Damit würde Mittal Steel allein über 10% der Weltstahlproduktion auf sich vereinen (100 Mio. t).

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Zeit der vollen Kassen
Eine Fusion der Stahlgiganten Mittal und Arcelor kann der ganzen Branche nutzen – und besonders den deutschen Produzenten


Von Helmut Badekow

Der Termin steht schon lange im Kalender. Lakshmi Mittal und Guy Dollé, die Chefs der beiden weltgrößten Stahlkonzerne Mittal Steel und Arcelor, gehören dem elfköpfigen Vorstand des Internationalen Eisen- und Stahlinstituts an, einer Art Weltorganisation der Stahlindustrie. Das Komitee trifft sich am Donnerstag dieser Woche in Paris zu einer turnusmäßigen Sitzung. Aber für Routine dürfte diesmal kaum Raum sein. Wenn die Giganten miteinander kämpfen, hält der Rest der Branche den Atem an. Mittal Steel will Arcelor schlucken.
In der Welt des Stahls halten viele Lakshmi Mittal für besonders mutig, manche bewundern ihn sogar. Der Sohn eines kleinen indischen Stahlfabrikanten erwarb vor 30 Jahren das erste eigene Hüttenwerk, mit Geschick und Glück kaufte er sich seither zum Weltrang-Ersten hoch. Aber dass Mittal (er besitzt unter anderem Stahlwerke in Hamburg und Duisburg) es wagen würde, nach der Nummer zwei zu greifen, das hat sich niemand vorgestellt. Arcelor (in Deutschland in Eisenhüttenstadt, Bremen und Unterwellenborg vertreten) will sich wehren, die Schlacht kann Monate dauern. »Egal, wie sie endet, sie wird die Stahlindustrie verändern«, sagt der mittelständische Stahlunternehmer Jürgen Großmann aus Georgsmarienhütte bei Osnabrück. »Auch eine Abwehr würde zu neuen Allianzen führen.«
Der Kampf der Branchengrößten ist der bisher spektakulärste Fall in einem stürmischen Konzentrationsprozess. Im Jahr 2004 verzeichnete die Stahlindustrie 117 Übernahmen, 2005 dürfte die Zahl noch gestiegen sein. Die treibende Kraft ist die Nachfrage, die eine höhere Produktion bewirkte. So erzeugte die Stahlindustrie im Jahr 2001 850 Millionen Tonnen Rohstahl, 2005 waren es bereits mehr als 1,1 Milliarden. Gleichzeitig zog der Preis kräftig an. Von 2003 bis heute hat er sich verdoppelt. Nun haben die Konzerne volle Kassen: Sie kaufen Kapazitäten und Marktanteile dazu.
Den größten Anteil am Boom hatte die Volksrepublik China. Ihre Wirtschaft übertrifft seit Jahren selbst kühne Prognosen. Das Schwellenland verschlingt inzwischen ein Drittel der Stahl-Weltproduktion. Für 2006 wird damit gerechnet, dass die Nachfrage zwar deutlich langsamer wächst als bisher, aber immer noch um etwa zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegt. Allerdings erweiterte die chinesische Stahlindustrie, auch mit internationaler Beteiligung, in den vergangenen Jahren ihre Kapazitäten so kräftig, dass die Volksrepublik 2005 erstmals kein Nettoimporteur mehr war.
Das Preisniveau, das der chinesische Stahlhunger verursacht hat, möchte die Branche bewahren, auch wenn sich die Nachfrage normalisiert. 30 Jahre lang sei Stahl unterbewertet gewesen, meint Großmann: »Das ist jetzt anders, und angemessene und stetige Preise sind gut für die gesamte Wirtschaft.« Auch die Analysten beurteilen den Konzentrationstrend in der Stahlindustrie einhellig positiv. »Der chinesische Druck ist weg, da kann Konzentration die Preise stabilisieren«, sagt Thomas Hofmann von der Landesbank Rheinland-Pfalz. Weitere Fusionen seien nötig, um die Stahlindustrie gegenüber ihrerseits stark konzentrierten Marktpartnern zu stärken.
Tatsächlich können die Stahlproduzenten nicht tun und lassen, was sie wollen. Drei Viertel des Eisenerzes, das sie verarbeiten, stammen von nur drei Konzernen. Ähnlich sieht es bei den Kunden der Stahlkocher aus, etwa in der Autoindustrie. Dort entfielen 75 Prozent der Weltproduktion auf zehn Hersteller, heißt es bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Um Rohstofflieferanten und Abnehmern auf Augenhöhe zu begegnen, ist eine weitere Konzentration nötig. Das meinen solche Branchenmitglieder, die sich selbst dem Fusionsdruck entziehen, etwa der Mittelständler Großmann. Er macht gute Geschäfte in der Spezialstahlnische und weist Übernahmeinteressenten ab. »Warum sollte ich mein Unternehmen verkaufen? Dann müsste ich ja jeden Morgen die Börsenzeitung lesen!« Für ihn liegt es im Interesse der gesamten Stahlindustrie, wenn die kleine Spitzengruppe noch stärker wird.
Vor drei Jahren ist Arcelor aus einer Großfusion entstanden und übernahm mit 56 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr die Spitze; dort löste ihn Mittal erst im vergangenen Jahr ab. Als die Kunden ihre Lager füllten, um den Stahlpreis zu dämpfen, drosselte das Luxemburger Unternehmen als erster Hersteller die Produktion. Dankbar folgte die Branche dem großen Vorbild. »Arcelor hat seine Position als Marktführer mit Umsicht und Klugheit genutzt«, sagt Jürgen Großmann. Christian Obst von der HypoVereinsbank sieht das genauso: »Ein Großer, der vernünftig agiert, kann für einen ganzen Sektor positiv wirken.«
Vor zehn Jahren kamen die fünf größten Stahlkonzerne gemeinsam auf 13 Prozent der Weltproduktion, heute stellen sie 20 Prozent. Der deutsche Branchenerste ThyssenKrupp rangiert mit einer Jahresproduktion von 17,6 Millionen Tonnen auf Platz 10. Weltmarktführer Mittal Steel käme auf mehr als das Zehnfache, wenn der Arcelor-Coup gelänge. Davon würde ThyssenKrupp profitieren. Der Düsseldorfer Konzern könnte dann doch noch das kanadische Stahlunternehmen Dofasco übernehmen. Er war von den Kanadiern als weißer Ritter gerufen, aber im Januar von Arcelor ausgestochen worden. Mittal will, wenn die Arcelor-Übernahme klappt, die kanadische Hütte samt Eisenerzmine für 3,8 Milliarden Euro an ThyssenKrupp weiterreichen.
Auch andere deutsche Stahlunternehmen können sich freuen, wenn Mittal in Luxemburg zum Zuge kommt. »Mittal wird sich von Randaktivitäten trennen, um den Konzern zu straffen, aber auch, um nach der teuren Übernahme Liquidität zu gewinnen«, vermutet Thomas Hofmann von der Landesbank Rheinland-Pfalz. Salzgitter beispielsweise käme dann als Käufer in Betracht. Und Christian Obst von der HypoVereinsbank rechnet damit, dass gerade aus der Konzentration neue Chancen erwachsen: »Automobilhersteller, die nach dem Zusammenschluss nur noch Mittal-Kunden wären, werden sich einen zweiten Lieferanten suchen.«
Die neueste Entwicklung im Stahl-Monopoly sieht auch Andreas Möhlenkamp nicht von vornherein negativ. »Ich rate zur Gelassenheit«, sagt der Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Stahl- und Metallverarbeitung (WSM). Er vertritt 4400 überwiegend mittelständische Unternehmen, die zusammen rund ein Drittel der deutschen Stahlproduktion verarbeiten. Im Jahr 2004, als der Preis täglich kletterte, hatte Möhlenkamp noch die Alarmglocke geschlagen. Er sah eine Insolvenzwelle auf die Stahlverarbeiter zurollen. Aber dann gelang es den meisten doch, die Preissteigerungen an die Kundschaft weiterzureichen.
Jetzt sieht Möhlenkamp eine weitere Konzentration nicht mehr grundsätzlich mit Sorge: »Es gibt nicht den einen Weltstahlmarkt. Nicht jeder Hersteller kann alles.« Er verlangt von der Europäischen Kommission, »dass sie sehr gründlich und differenziert analysiert, welche Auswirkungen die Arcelor-Übernahme durch Mittal auf den europäischen Stahlmarkt hätte«. Für jeden einzelnen Produktbereich sei zu prüfen, ob eine marktbeherrschende Stellung herbeigeführt oder verstärkt würde. Beobachter rechnen jedoch nicht damit, dass große kartellrechtliche Hürden bestehen. Wenn Mittals Griff nach seinem größten Konkurrenten scheitert, dann wohl kaum an den Kartellbehörden, sondern an den Arcelor-Aktionären, zu denen auch das Großherzogtum Luxemburg gehört.
Jedenfalls dürfte der Deal, wie auch immer er ausgeht, die Konzentration in der Stahlindustrie nochmals beschleunigen. In der Branche wird erwartet, dass am Ende drei bis fünf globale Oligarchen vom Format Mittal/Arcelor stehen werden. Daneben bliebe Platz für eine Fülle von kleinen Produzenten, die mit Nischenprodukten und Spezialitäten mitmischen. Der Markt ist groß genug. »Bis zum Jahre 2015 wird die Weltstahlproduktion im Schnitt um fünf Prozent pro Jahr wachsen«, sagt Uwe Perlitz von Deutsche Bank Research vorher. Und der China-Boom, der die goldenen Zeiten der Stahlindustrie ausgelöst hat, könnte sich als Vorspiel von Veränderungen ganz anderer Dimension erweisen. Die Chinesen haben ihren Stahlverbrauch pro Kopf innerhalb von fünf Jahren verdoppelt, auf 220 Kilogramm im Jahr 2004. Aber das ist trotzdem gerade einmal ein Viertel dessen, was ein Südkoreaner verbraucht.
In den Schwellen- und Entwicklungsländern entsteht längerfristig ein gigantischer Stahlbedarf. Droht ein neues »Big Oil«, das den Kurs der Weltwirtschaft diktiert? Ganz so wie beim Öl werde es beim Stahl nicht kommen, meint Uwe Perlitz. Aber zumindest eine Parallele gibt es schon jetzt. Wer von der Stahlkrise spricht, meint damit nicht mehr »zu viel und zu billig« wie bis vor wenigen Jahren. Stahlkrise heißt jetzt: »zu wenig und zu teuer« – ganz wie beim Öl.

Quelle: Die Zeit Nr. 6, 01. Februar 2006
 
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Es ist allerdings merkwürdig, daß wir uns über den Baustoff Stahl, den Rohstoff Eisenerz in unseren anmaßenden Polit-Diskussionen so gut wie keine Gedanken machen.

Gaius
 
Ich finde den Artikel fazinierend, besonders wegen der Dinge die dort nicht
aufgegriffen wurden und die unsere Wirtschaft viel mehr beeinflußen als die
Übernahme von Konzernen.
Der Boom und die Preissteigerungen der Stahlbranche resultiert weniger auf
der großen Nachfrage Chinas, sondern das Eisen/Stahl mittlerweile bei uns
knapp ist.
Viel interessanter ist doch das diese Knappheit zum großen Teil daraus ent-
standen ist das die erfolgten Aufkäufe seitens China über Jahre hinweg durch
die KfW finanziert worden ist.
Es wurde also bewußt forciert das im eigenem Land nicht mehr genug Material
vorhanden ist um unsere Stahlwerke auszulasten.

LG
Phoenix
 
Gedanken machen...

...und dann?

Da bum(m)s ich lieber ne Runde...

Will ja wiedergeboren werden damit ich euch im nächsten Leben
auch zuschauen kann.

Oho....
 
eve13 schrieb:
...und dann?

Da bum(m)s ich lieber ne Runde...

Will ja wiedergeboren werden damit ich euch im nächsten Leben
auch zuschauen kann.

Oho....


schön, dem kanickel schließ ich mich mal an hier......
 
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Stahlgiganten...

...sind große Viecher mit dickem Bauch.

So können sie weder ihren kurzen Pimmel noch die vielen kleinen
Maden zu ihren Füßen kriechen sehen, die formell "Mitarbeiter"
heißen.

Im chaotischen Sumogerangel dieser Dickbäuche um noch mehr
Geld das sie nicht mehr zählen, zertreten sie die kleinen Maden.

Keiner beschwert sich.

Sie sind entbehrlich.

So denken viele. So denken die Maden selber

Und wer kämpft für Entbehrliches?

Gekämpft wird für erhaltenswerte Dinge.

Und das beginnt schon immer mit Hoffnung und Lebenswille.

Sind sie zu stark, bist du zu schwach.

Eine lange Partie Schach.
 
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