• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Ist moralische Indifferenz eine "Tugend" oder ein "Laster" ?

M

Marianne

Guest
Immer, wenn ich aufgerufen werde, mich zu einem bestimmten strittigen Sachverhalt , affektiv zu äußern, gerate ich in Schwierigkeiten. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich für unangreifliche Meinung ( doxa) halten soll.
Unangenehm ist das bei Meinungsverschiedenheiten im Freundeskreis. Eh schon wissen: Du, die hat das und das gemacht, aber ich ... Was sagst dazu? Und von der "Gegenseite " vice versa.

Nu, das ist auszureden. Oft!

Aber bei schwierigen ideologischen Fragen , im Verhalten als politischer Mensch ???

Mir fallen immer zu jedem - für mich zunächst guten - Grund sofort eine Menge Gründe ein, die für eine andere Auffassung sprechen und damit für eine andere Sicht der Dinge.

Aber schon Luther sagte: Deine Rede sei ja ja oder nein nein.

Und: nur dieses Prinzip führt zur Tat. Davon bin ich überzeugt.
Nur: was ist, wenn ich bei - fast - allem, was mich persönlich betrifft, und das sind - greisinnengemäß *ggrr* vor allem Fragen, die politisches Denken und Handeln betreffen, nur

JEIN zu denken und zu sagen vermag.

Habt Ihr ähnliche Probleme oder seid Ihr glückliche Ja- oder glückliche Neinsager?

Marianne
 
Werbung:
man kann doch aus der Vergangenheit lernen
und zwar so,
daß man die möglichen Ergebnisse,
die bei einer bestimmten Situation bisher aufgetreten sind,
auflistet
und sich überlegt,
welchem SYSTEM die Fälle gehorchen könnten


wenn man das lang genug macht,
hat man SEIN SYSTEM gefunden,
mit dem man die Situation in Echtzeit analysieren kann.

darüber hinaus
hat man Beispiele zur Hand,
an denen man zeigen kann,
was Sache ist,
ohne ja, nein oder jein sagen zu müssen
 
Marianne schrieb:
Immer, wenn ich aufgerufen werde, mich zu einem bestimmten strittigen Sachverhalt , affektiv zu äußern, gerate ich in Schwierigkeiten. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich für unangreifliche Meinung ( doxa) halten soll.............................................................
...................................................................................................
Aber bei schwierigen ideologischen Fragen , im Verhalten als politischer Mensch ???.................................................................................................................................................................................................
Habt Ihr ähnliche Probleme oder seid Ihr glückliche Ja- oder glückliche Neinsager?

Marianne

Nach dem Titel Deines Postings, hatte ich eigentlich etwas anderes erwartet. Denn jeder stellt sich unter der Frage:

Ist moralische Indifferenz eine "Tugend" oder ein "Laster" - etwas anderes vor.

Mir schoß spontan durch den Kopf: ich weiss nicht ob es eine Tugend oder ein Laster ist, aber für mich ist diese Indifferenz beneidenswert. Dann hätte ich manch Posting dieser Tage ganz anders lesen können, achselzuckend, ohne dass es mir so nah geht.
Und jetzt kommt wahrscheinlich wiedermal eine(r) vorbei, und fragt sich, was wir, die etwas älteren, hier zu suchen haben... nein, diese Bemerkungen gehen mir nicht so nah - ich finde die einfach überheblich und auch dämlich.

Und da schliesst sich der Kreis zur ersehnten Indifferenz.
Die Tatsache, dass ich Schicksale, die eng verbunden waren mit der Shoa, die es weiterhin auch bleiben, hautnah gekannt habe und auch kenne, das hat mich geprägt.
Und das hat mir jede Möglichkeit indifferent zu sein, genommen.

Anmerkung: nicht der "so genannten Shoa", wie einer der Mitschreiber es für richtig hält es zu nennen - sondern der Shoa.
 
Mir fallen immer zu jedem - für mich zunächst guten - Grund sofort eine Menge Gründe ein, die für eine andere Auffassung sprechen und damit für eine andere Sicht der Dinge.
positives zeichen!
du musst entscheiden: was ist mir lieber.
mir geht das oft auch so. ich stell mir dann immer die alternativen auf, vor und nachteile und wäge ab: was geht mehr in die richtung die ich als gut heißen würde.
ein ja wird das dadurch aber nicht sofort, einem: "nehmen wir das kleinere übel" entspricht das mehr.

moralische indifferenzen sind eher eine tugend, ein positives zeichen: du denkst darüber nach. vor und nachteile, nicht einseitig etwas auflisten, viele vor und nachteile kommen erst durch das denken über die eine kategorie, sie bilden sich fast automatisch dann.
ein laster kann es meines erachtens nach nicht sein: wann war denken schon falsch?

das problem in dieser welt ist aber und ich glaube das war auch dein grund für den post: man will ja oder nein, das reicht. alles was irgendwie dazwischen liegt ist zu viel, nicht nötig. mit ja oder nein habe ich eindeutige kategorien, ich muss dann wenn ich die antwort erhalte nicht mehr selbst denken was will die person nun wirklich.
das denken in kategorien ist einfach und simpel, das denken außerhalb von ja und nein macht es kompliziert und führt zu dem von dir genannten problem.

ciao
 
Und das hat mir jede Möglichkeit indifferent zu sein, genommen.

in Krisensituationen haben viele Menschen (berechtigterweise) Angst
verlieren aber darüber hinaus (unberechtigterweise) den Kopf

dieses 'den-Kopf-verlieren' in der Bevölkerung war wohl der Grund,
warum die Nazis wüten konnten

Indifferenz im Sinne von 'geschehen-lassen,-weil-es-nicht-wirklich-wichtig-ist',
ist dagegen ein Zustand,
der bei klarem Verstand gewählt wurde
 
Liebe Marianne!

Deine Frage
Ist moralische Indifferenz eine "Tugend" oder ein "Laster" ?
lässt nur die Wahl zwischen "gut" und "böse".

Aus vielen Diskussionen (auch hier im Forum) und aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass es weder gut noch böse ist, wenn etwas so ist wie es ist. Ein Zustand IST, da gibts kein allgemeingültiges Urteil, keine unangreifliche Meinung.

Ohne dieses Urteil ist es auch leicht möglich, das herauszufinden, was für mich ganz subjektiv - innerhalb meines Wertesystems - richtig ist. Wenn ich glaube, dass ich einer übergeordneten Instanz entsprechen MUSS, auch wenn sie nicht meinem Wertesystem entspricht, dann komme ich ganz schön ins Schleudern.

Es ehrt dich, dass du auch für einen gegenteiligen Standpunkt Argumente findest, d.h. dass du dich auch in eine andere Sichtweise einfühlen kannst. Damit fällt es schwer, in richtig und falsch einzuteilen und ein Urteil abzugeben. Denn aus einer übergeordneten Sicht tut jeder von seinem Standpunkt aus das "richtige".

Ich ziehe daraus den Schluss, dass ich NUR für mich bewerten kann, was richtig ist. Gleichzeitig kann ich dem anderen zugestehen, dass auch seine Sicht der Dinge für ihn "richtig" ist. Auch wenn es das Gegenteil von meiner Überzeugung sein sollte.

Jeder lebt in seinem Umfeld, mit seiner subjektiven Wirklichkeit, und das ist nicht nur eine theoretische philosophische Erkenntnis, sondern Erlebtes und Erfahrenes.

herzlich
lilith
 
Hallo,
Danke für die interessanten Antworten, die allerdings mir auch wieder die "Quasi -Unmöglichkeit" aufzeigen, derer ich mir an sich beim Fragen schon irgendwie bewusst war, dass wir politische und persönliche Indifferenz ( fast) nie sauber differenzieren können: weder als Denkergebnis und noch viel weniger als Tatmotivation.
Die Emotionalität schlägt - bei einer Person mehr - bei der anderen weniger - immer zu.


Und ,scilla, Du hast sicher Recht: es gibt Situationen, in denen es sich ein Mensch erlauben kann, auch politisch indifferent zu sein. Ich sehe eine solche im Augenblick bei der kommenden Bundestagswahl. Da ist diese Frage ja gar nicht nötig, weil sie irrelevant ist.
Um aber: um auf den, von Miriam richtig erkannten Anlassfall dieser meiner Fragstellung zu kommen.

Unter totalitären System ( die NS-Zeit ist nur ein Beispiel ) mag es von politischer Wachheit eines einzelnen abhängen, ob er die - ihn zur Stellungnahme zwingenden Tat überhaupt erkennt und Stellung bezieht, entweder ja- ja, nein -nein oder eben eine indifferente Antwort für sich sieht. von größerer Klugheit aber, den Mund zu halten, außer im Ja-Ja Fall.


Und dehalb scheint mir meine Frage doch irgendwie unsinnig. Hinter oder vor meinetwegen auch direkt neben der Entscheidung ist das Wissen um die Folgen dieser.

Und mein Onkel wusste noch nicht ganz genau, als er - ein hoher Politiker, Rechstagsabgeordneter, in der Weimarer Republik in einer bestimmten Abstimmungsfrage nein sagte , was ihn erwartet.
Im KZ konnte er dann nachdenken.

Wäre er nicht überzeugt gewesen, dass die Mehrheit so stimmen würde wie er, hätte er nicht zu der Minderheit gehört - hätte er gewusst, ( 1933) was dort geschieht, wäre ... ja was -?


Und damit will ich auf das hinauskommen, was mich drückt:
Jede politisch indifferente Haltung und damit das Nichtfolgen einer TAT kann unabsehbare Folgen haben. Es gab ja im frühen NS-System genug Menschen, die sich nicht einmal vorstellen konnten, wozu ein deutscher Mensch in der Lage sein konnte.
Sie konnten sich den Luxus der Indifferenz leisten angesichts der Unschuld und Unfähigkeit, ins Inhume vorzudenken.- So sehe ich nämlich die Antwort auf meine eigene Frage.

Indifferenz ist weder eine Tugend, noch ein Laster - sie ist eine Haltung, die sich - ich rede immer von der politischen Indifferenz - ein Intellektueller leisten kann; wenns ihm nicht an den Kragen geht, die sich aber jeder Mensch muss leisten dürfen, wenn es eben so ist, dass sogar leiser Zweifel an der offiiziellen Linie ( oder ein politischer Witz) zu Sanktionen führt.
Häufiger führt eine ursprünglich indifferente Haltung zum Widerstand - aber der darf nicht erpresserisch von Gesinnungsgenossen eingefordert werden.
Im Privaten magst Du Lillith, Recht haben.
Es zeigt zumindest von Weisheit, wenn man auch in der Lage ist, den "anderen Teil" zu verstehen.
Aber auch hier verpflichtet oft die Schwere der Frage Entscheidungen, und ob indifferente Menschen dazu fähig sind? ich weiß es nicht. Aber Freunde werden sie dadurch weniger gewinnen: ist das doch eine emotionale Beziehung, die nicht immer nach Abwägen fragt, sondern ungestüm aus vollster Seele heraus, Zustimmung sucht.


Nun: ich danke Euch allen. Ihr habt mir bei meiner Antwort, wie sie hier steht, geholfen.

Marianne, meist sehr sehr indifferent - und nur mit dem " Herz in der Hosentasche " bekennerisch, wissend um die Folgen der Zustimmung im Privaten und ahnend die im Politischen...

beides reißt Gräben auf - beides kann und will ich allerdings nicht immer verhindern
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Miriam schrieb:
Mir schoß spontan durch den Kopf: ich weiss nicht ob es eine Tugend oder ein Laster ist, aber für mich ist diese Indifferenz beneidenswert. Dann hätte ich manch Posting dieser Tage ganz anders lesen können, achselzuckend, ohne dass es mir so nah geht.

Marianne schrieb:
Indifferenz ist weder eine Tugend, noch ein Laster - sie ist eine Haltung, die sich - ich rede immer von der politischen Indifferenz - ein Intellektueller leisten kann [...]

Hm, ich weiß nicht, ob ich Euch richtig verstanden habe, aber ich frage mich an dieser Stelle, ob nicht moralische Indifferenz doch eher ein Laster ist.
Eine Indifferenz beim ersten Eindruck finde ich nicht verkehrt. Man muß schließlich erst einmal Pro und Contra abwägen, bevor man sich sein Bild davon macht.
Aber nehmen wir einmal an, eine Vielzahl von Menschen ist moralisch indifferent: Was würde aus uns werden? Könnten wir überhaupt noch Entscheidungen treffen? Und wäre es uns denn zuträglich, wenn wir aus einer Indifferenz heraus möglicherweise unmoralische Entscheidungen träfen? Dann ginge doch alles drunter und drüber.
Meines Erachtens bildet die Moral bzw. vielmehr die Ethik einen Rahmen für unser Handeln auf Erden. Im Grundgesetz wird bereits die Würde jedes Individuums geschützt.
Wir brauchen einen solchen Rahmen. Denn ohne diesen würden wir uns wahrscheinlich selbst zugrunde richten.

Liebe Grüße.
 
sophiaholic schrieb:
Aber nehmen wir einmal an, eine Vielzahl von Menschen ist moralisch indifferent: Was würde aus uns werden? Könnten wir überhaupt noch Entscheidungen treffen? Und wäre es uns denn zuträglich, wenn wir aus einer Indifferenz heraus möglicherweise unmoralische Entscheidungen träfen? Dann ginge doch alles drunter und drüber.
Meines Erachtens bildet die Moral bzw. vielmehr die Ethik einen Rahmen für unser Handeln auf Erden. Im Grundgesetz wird bereits die Würde jedes Individuums geschützt.
Wir brauchen einen solchen Rahmen. Denn ohne diesen würden wir uns wahrscheinlich selbst zugrunde richten.

Liebe Grüße.


Du hast sicher Recht: ohne einen, vom denkenden und in der Folge handelnden Subjekt anerkannten Wertekatalog ist Gemeinschaftsleben sicher unmöglich. In vergangenen Zeiten gab das christliche Weltbild diese Werte vor. Sie unterschieden sich in praxis nicht von denen einer allgemeinen Humanität.

Und diese - für mich immer noch im Kantschen Imperativ ausgedrückten - Werte müssen - das ist auch meine Meinung bei aller sonstigen Indifferenz gewahrt bleiben.

Ich habe ja im Verlaufe der Diskussion auch zugegeben, dass meine ursprüngliche Frage - nach "Tugend" oder " Laster" einer indifferenten Haltung irgendwie unsinnig ist.


Aber: sophiaholic, in der Tat sieht es ja doch sehr häufig so aus, dass auch im politischen Handeln - bei der Wahl in der BRD vor kurzem, z.B. - es oft ganz unerheblich ist, ob ich für die oder für die Partei votiere.
Dass ich zur Wahl gehe, ist für mich z.B. keine Frage der Indifferenz. Ich gehe, weil freie demokratische Wahl für mich ein Grundwert ist.

Fein, dass Du Deinen ersten Beitrag meinem Thema gewidmet hast.

Mir ist, wie gesagt, meine Indifferenz mit zunehmendem Alter ein Problem. Und dass diese Entscheidungsschwäche ( auch oft nur als Zustimmungsgrad bei Diskussionen empfunden ) ein Zeichen von Altersweisheit sein soll, das kann ich so nicht annehmen.


Grüßchen

Marianne
 
Werbung:
Marianne schrieb:
Aber: sophiaholic, in der Tat sieht es ja doch sehr häufig so aus, dass auch im politischen Handeln - bei der Wahl in der BRD vor kurzem, z.B. - es oft ganz unerheblich ist, ob ich für die oder für die Partei votiere.

Hier kann ich wieder nur sagen, daß es schlimm wäre, wenn alle so dächten.
Natürlich macht eine Stimme mehr oder weniger den Kohl auch nicht fett, aber wenn zu viele sich dieser Angelegenheit gegenüber indifferent verhielten, bekämen wir arge Probleme, was den Staat betrifft (mal abgesehen davon, daß da bereits riesige Probleme bestehen).
Wenn man allerdings völlig ratlos ist, nicht weiß, was man wählen soll, dann ist es wohl besser, wenn man seine Stimme zurückbehält und nichts wählt - frei nach dem Motto: Keine Antwort ist auch eine Antwort.
Ich denke, eine mangelhafte Wahlbeteiligung dürfte auch aussagekräftig sein.


Marianne schrieb:
Mir ist, wie gesagt, meine Indifferenz mit zunehmendem Alter ein Problem. Und dass diese Entscheidungsschwäche ( auch oft nur als Zustimmungsgrad bei Diskussionen empfunden ) ein Zeichen von Altersweisheit sein soll, das kann ich so nicht annehmen.

Was willst Du damit zum Ausdruck bringen?
Meinst Du, daß Du, je älter Du wirst, auch immer indifferenter wirst?
Wenn ja, hat das nicht zu einem gewissen Grad etwas mit Resignation zu tun?

Liebe Grüße.
 
Zurück
Oben