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Der Welthunger und der erforderliche Aufstand des weltweiten Gewissens

Leute, vergesst die Moral!

Ich möchte an dieser Stelle Brecht zitieren, denn "erst kommt das Fressen und dann die Moral"!

Wir müssen einfach kapieren, dass es ums Fressen geht, früher oder später ums nackte Überleben.
Konzernchefs schauen auf ihr "Fressen", auf ihre Interessen. Dass sie dabei die Moral links liegen lassen, gefällt mir zwar nicht, is' aber so.
Wenn wir auch auf unser "Fressen" schauen und unsere Interessen vertreten würden, würde vieles anders aussehen. Wir würden dann nicht mehr den Reichen und Mächtigen in die Hände spielen.
Offensichtlich - und ich sage das nicht gern - ist der Leidensdruck noch nicht groß genug, dass wir zu solchem Umdenken und zu solchen Veränderungen bereit wären.

Robin schrieb:
Dass sie auch ökonomisch sowohl von den Missständen als auch von ihren Moralprodukten (Bücher, Sendungen usw.) profitieren, würde ihnen ja niemand unterstellen, oder ...?
Warum stört dich das mehr als die Tatsache, dass viele Konzerne nicht nur die Umwelt schädigen, sondern in vielfältiger Weise auch den Menschen direkt schaden und sich dabei dumm und dämlich verdienen?

dextra schrieb:
auf demokratischem weg wird sich wohl keine lösung finden da niemand bereit ist sich von seinen pfründen zu trennen.
Wie kommst du darauf? Das eine schließt das andere glücklicherweise ja nicht aus. Natürlich ist eine demokratische Lösung möglich, sogar eine, die den von vielen heißgeliebten Gesetzen des freien Marktes gehorcht!

Miriam schrieb:
Aber ich denke nicht, dass diejenigen die uns Bücher, Filme, Interviews, etc... liefern um uns über den Zustand dieser Welt zu informieren, auf ihr Honorar verzichten müssten um glaubhaft zu werden.
Gutes Argument, Miriam! Gefällt mir!

Robin schrieb:
Was mich stört, ist eine Formulierung wie:


Zitat:
Das heißt, dass ein Kind welches vor Hunger stirbt, heute, jetzt, in diesem Moment wo wir reden. ermordet wird.


Solche Formulierungen finde ich fragwürdig. Sie ist nicht nur unhaltbar, ich finde sie auch moralisch fragwürdig. Man darf nicht alles über dieselbe moralische Empörtheitsschiene fahren und komplexe Probleme, auch wenn sie massenhaften Tod bedeuten, mit Mord gleichsetzen. Die Formulierung suggeriert eine bewusste, verabscheuungswürdige tat aus niederen Motiven. Diese gibt es aber nicht, weil es nicht "den Täter" oder "die Motive" gibt.
Frage: Würde es dich moralisch empören, wenn ich nach Afrika fahren würde, einer Mutter ein paar Packungen Babymilchpulver verkaufen würde, mit dem Argument, dass sie dem Säugling nur so alles geben kann, was er braucht und ihre Muttermilch nicht nahrhaft genug ist und die Reichen ihre Kinder auch so ernähren, obwohl ich genau weiß, dass diese Frau nur schmutziges Wasser zur Verfügung hat und das Baby dann davon krank wird und wahrscheinlich stirbt? Aber ich hab halt mein Geschäft gemacht. Du meinst, das würde doch niemand tun? Hätte ich auch gedacht. Nestle hat's aber getan (vor Jahren).
Jean Zieglers Worte, die Miriam zitiert, sind (leider!) nicht unhaltbar.

Übrigens: vielleicht wollt Ihr in diesem Zusammenhang mal da reinschauen:

http://www.thehungersite.com/cgi-bin/WebObjects/CTDSites

da kann man durch Anklicken mit Spenden von Sponsoren helfen.

Robin schrieb:
Ich glaube nicht, dass wir weiterkommen, wenn wir Moral und Gewissen so einseitig zuweisen. Ein Konzernchef ist kein Raubtier, viele dieser Menschen tun Gutes. Und die Aktivisten sollten sich nicht so schamlos als die Auserwählten der Moral gerieren.
Das Problem liegt in der Komplexität der Probleme an sich. Es gibt schädliche Strukturen, doch kein Mensch kann "guten Gewissens" behaupten, wenn man dies oder jenes verändere, käme am Ende mit Sicherheit eine Verbesserung zustande. Ist sein Wissen sicher genug, um sein Gewissen zu stärken? Hat man nicht schon so viele Beispiel misslungener Steuerung von außen gesehen?
Na, aber sicher kann man behaupten, dass Verbesserungen zustande kommen, wenn man dies oder jenes verändert! Da fehlen dir entweder Informationen oder du gehörst selbst der größten Religionsgemeinschaft der westlichen Welt an, nämlich der Technik-, Fortschritts- und Wirtschaftsgläubigen. Nichts für ungut, Robin!

Was die "schädlichen Strukturen" betrifft: die sind zum Teil von außen verursacht worden, z.B. durch wirtschaftliche Ausbeutung und auch durch Waffenlieferungen in Krisengebiete. Hier stimme ich dir zu, dass wir diese "Steuerung" sein lassen sollten.

Vor vielen Jahren, vielleicht habe ich es schon irgendwo erwähnt, las ich auf einer Jutetasche:

"HUNGER IST KEIN SCHICKSAL"​
was ich damals noch nicht verstand. Heute ist mir klar, was damit gemeint ist und was ich selbst (und wir alle) dazu beitragen.

LG
Jane
 
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Liebe Miriam,

habe für meine Antwort so lange gebraucht, dass ich deine nicht mehr rechtzeitig gelesen habe, sorry!

LG
Jane
 
Miriam schrieb:
Na wunderbar, Robin, es ist 23:22 - und ich wollte gerade schlafen gehn!
Ich werde trotzdem versuchen über manches was du hier schreibst laut nachzudenken, denn die ganze komplexe Thematik würde mich sowiese nicht schlafen lassen.

Seh ich auf Miriam in der Nacht,
hab ich sie um den Schlaf gebracht...
Miriam schrieb:
Wie kann man denn ein massenhaftes Sterben nennen, welches verursacht wird durch die verkehrte Verteilung die in der Welt herrscht und doch nicht einfach als Fatalität betrachtet werden kann? Mehr oder weniger bewusst ist dies den meissten von uns und auch vielen derer die an der Spitze der 500 weltweit mächtigsten Konzernen sitzen. Es ist ein Morden, in dem der Mörder anonymisiert ist, es kann sicher keine Anklage gegen Herrn sowieso erhoben werden, doch auch ohne der Möglichkeit den Mörder zu personifizieren, bleibt es für mich Mord.
Also hier kommen wir nicht zusammen. Mord ist Mord. Jane hat Fälle genannt, wo man vielleicht von einer mehr oder minder bewussten Tötung sprechen kann. Gewiss gibt es hier skandalöse Fälle. Aber eine Pauschalisierung ist nicht gerechtfertigt, auch nicht aus emotionalen Motiven. Das klingt für mich wie ein "Donnern von der Kanzel".
Wenn sich in Bangladesh oder Indien die Leute vermehren wie von Sinnen und dann eben die Hälfte der Kinder stirbt - sind wir auch deren Mörder? Wer wollte denn diese Familien zur Verantwortung ziehen? Könne sie etwas dafür? Vermehren sie sich nur aus der Not? Ich denke, nicht. Sind das biologische maschinen ohne Gewissen? Ich denke nicht. Haben wir sie zum Mord angestiftet? Ich denke nicht.


Wenn ich mich richtig entsinne, kommt dieser Ausdruck von mir - also lass da Jean Ziegler aus dem Spiel.
Nein, er kommt von Ziegler - ich habe es oben ja zitiert. Nur das weltweit kommt von dir.
Ja, ist das Fehlen eines solchen Gewissens nicht zu beklagen? Weit von mir der Versuch behaupten zu wollen, dass ich so etwas wie ein Fünkchen davon besitzen würde.
Ja, genau das sollte dir zu denken geben. Wir im Westen sehnen uns doch immer zurück zum natürlichen Menschen. Wir sind ja alle, wie Jane es ausdrückt, dem Gott der Technik verfallen. Und was machen wir? Sitzen vor Fernseher und Internet und lassen uns von Katastropheninfos zuballern. Und dann warten wir, dass sich unser Gewissen einstellt wie ein göttlicher Funke, als ob das nicht total künstlich wäre. Da schüttelt die Mutter in Bangladesh und ihren zwölf Kindern aber den Kopf, oder?

Ich will ja hier nicht Moral mit Moral bekämpfen und sagen, dass das schlecht sei. Ich will nur, dass wir genauer nachdenken über uns (denn nur über uns wissen wir wirklich Bescheid).

Und sehr einleuchtend schienen mir die Worte Kants, dass "die Unmenschlichkeit die einem anderen angetan wird, die Menschlichkeit in mir zerstört." (Das wäre schon ein Thema für sich, scheint mir!)
Das wäre ein Thema für sich. Aber ich glaube nicht, dass Kant das angesichst weltweiter Informationstechnologie und professionalisierter Gewissensorganisationen auch so gesagt hätte.

Du sagst, und nennst deine Bezeichnung etwas überspitzt, dass das ganze eher nach einer Religion aussehen würde auf der Seite derer die versuchen die Missstände wenn nicht zu beheben, doch etwas auszugleichen. Ich denke nicht, dass das so zutreffend ist. Eher scheint es mir, dass sich da die Schwierigkeiten wiederspiegeln aus diesem komplexen Geschehen einen Ausweg zu finden, einfacher ausgedrückt. eine gerechtere Verteilung der Lebensnotwendigen Güter dieser Welt.

Ich gebe dir Recht. Und ich sage auch nicht, dass es hier um eine böse Religion geht. Aber es geschehen Dinge, die sich der Kontrolle entziehen. Auch in der Dynamik der Helfer selbst.

Die Deutschen sind ja eines der spendenfreudigsten Völker, so weit ich weiß. Also funktioniert ihr "Gewissen" ja teilweise. Wie, sie müssten noch viel mehr tun?

So, jetzt muss ich weg, bis dann
 
JaneS. schrieb:
Ich möchte an dieser Stelle Brecht zitieren, denn "erst kommt das Fressen und dann die Moral"!

Wir müssen einfach kapieren, dass es ums Fressen geht, früher oder später ums nackte Überleben.
...
Wie kommst du darauf? Das eine schließt das andere glücklicherweise ja nicht aus. Natürlich ist eine demokratische Lösung möglich, sogar eine, die den von vielen heißgeliebten Gesetzen des freien Marktes gehorcht!

hallo jane,

der von mir nicht allzu sehr gescätzte brecht hat recht. und genau darin sehe ich das problem. erst das fressen, dann die moral - wenn es zum kampf um das fressen kommt, dann gewinnt der stärkere, im eigentlichen sinne ebenso wie imübertragenen sinne der kampfes der unternehmen um marktanteile und gewinne.
ich sehe in beiden schlachtfeldern die demokratie ohne chance:
verhungert mein kind, dann interessieren mich demokratisch und organisatorisch festgelegte verteilungsmuster nicht mehr.
die macht und der einfluß von großkonzernen auf unsere politik ist massiv und derzeit nicht wegzudenken. dieser einfluß ist nicht durch demokratische legimation zustande gekommen.

könntest du eine für die satte-gierige UND die hungrig-gierige seite akzeptable demokratische vorstellen ... :).



morgen miriam,

Miriam schrieb:
So verwundert es nicht, dass auch du dextra hier eher zögerlich bleibst.
...
Na, der Präzisionsschütze als Garant der Moral? Oder die Triage eines Arztes? Was hat das mit dem großen Problem des Welthungers zu tun?
Ich hoffe doch: nichts!

ja, ich bin zögerlich, sehr zögerlich.

nun, bei den beiden von mir genannten beispiele geht es um entscheidungen. um harte entscheidungen auf leben und tod. um entscheidungen sie sowohl zu gunsten als auch zu lasten von menschen getroffen werden. entscheidungen die ohne demokratischen prozeß getroffen werden. eine frage der moral (töte ich um ein opfer zu retten?, "verschwende" ich meine zeit mit einem hoffnungslosen während ein überlebensfähiger auf meinem tisch verblutet?) ist das sicher: tod gegen tod.

das ist die situation des "welthungers".
wem gebe ich wem nehme ich?
wer hat das recht und die macht zu geben und zu nehmen?
wer läßt sich nehmen ohne gegenwehr?

wie bereits bei janeS beantwortet. hier sehe ich keine chance für die derzeitige ausprägung unserer "demokratischen" systeme.


ratloserweise
dex
 
JaneS. schrieb:
Ich möchte an dieser Stelle Brecht zitieren, denn "erst kommt das Fressen und dann die Moral"!
Immer der Brecht.
Vielleicht war ja Brecht klug genug zu wissen, dass das auch für ihn galt; denn er war ja beileibe kein Kostverächter. Und wurde ihm das bequeme Leben in der DDR nicht so bequem, dass er sogar die Niederschlagung des Aufstands des 17. Juni begrüßte...
Ich möchte mal Michel de Montaigne zitieren, der über den Menschen sagt:

Ist es möglich, sich etwas Lächerliches einzubilden, als daß dieses elende und erbärmliche Geschöpf, das nicht einmal sein eigener Herr ist und sich den Wirkungen fast aller Dinge um ihn herum ausgesetzt sieht, sich für den Schöpfer und Beherrscher des ganzen Universums hält, von dem auch nur den kleinsten Teil zu erkennen er nicht die Kraft hat?

Muss das nicht auch für die Gewissenshüter und Moralisten selbst gelten?
 
Also irgendwie kam ich heute wieder nicht dazu hier vorbei zu schauen, eigentlich sind auch die nächsten Tage knapp - denn es finden zur Zeit die "Tage der deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt statt - und wie immer sitze ich mit in der Jury. :ironie: Habe mich entschlossen dieses Schild immer bei gegebenem Anlass zu schwingen, da man so oft bierernst nicht ernst gemeinte Bemerkungen von mir tadelnd :nein: beantwortet.

Ja, der Begriff Mord, ob juristisch zutreffend oder auch nicht - ich weiss nicht mit welcher langen Umschreibung man anders diesen fürchterlichen Misstand benennen sollte. Jane spricht von einer mehr oder minder bewussten Tötung, wobei ob Mord oder Tötung: bewusst ist uns allen höchstens in einer Art paralellen aber sehr peripheren Wahrnehmung was in der Welt abläuft, während wir im Supermarkt unseren Einkaufswagen wiedermal so voll stopfen. Nein, der Endverbraucher kann die Geschehnisse nicht beeinflussen indem er weniger kauft - aber manche haarsträubende Phänomene unseres Marktes sollten wir zur Kenntnis nehmen - und so erwähne ich hier erneut den Dokumentarfilm von Agnes Varda: "Die Sammler und die Sammlerin" - der zwar nicht in der so gennanten dritten Welt spielt, sondern in Frankreich:
Hier werden wir plötzlich konfrontiert mit der massiven Entsorgung von Lebensmitteln, wenn sie den Anforderungen nicht entsprechen. Ganze Ladungen werden mit Lastwagen transportiert, zum Beispiel Kartoffel, sie werden einfach zum Verrotten auf offene Felder gekippt, wenn sie durch Form und Größe nicht den Normen entsprechen. Obdachlose und Arbeitslose die in der Nähe leben kennen das schon und ein geringer Teil gelangt so zu denen die anders hungern würden. Auch das spielt sich ab so zu sagen vor unsern Augen, es geht hier nicht um Tötung - aber um einen Teil der Bevölkerung der hungert, während doch im Vordergrung die Normen des Marktes gestellt werden.

Doch wenn du sagst:

Robin schrieb:
Wenn sich in Bangladesh oder Indien die Leute vermehren wie von Sinnen und dann eben die Hälfte der Kinder stirbt - sind wir auch deren Mörder?

dann vermischt du schon zwei große Probleme der Weltbevölkerung.
Ich möchte noch beim Thema der Verantwortung (um nicht Weltgewissen zu sagen) bleiben.

Robin schrieb:
Wir im Westen sehnen uns doch immer zurück zum natürlichen Menschen. Wir sind ja alle, wie Jane es ausdrückt, dem Gott der Technik verfallen. Und was machen wir? Sitzen vor Fernseher und Internet und lassen uns von Katastropheninfos zuballern. Und dann warten wir, dass sich unser Gewissen einstellt wie ein göttlicher Funke, als ob das nicht total künstlich wäre.

Da gebe ich dir recht - und so sehr wir den Medien die Information auch verdanken - wir verarbeiten diese Informationen schlecht. Irgendwie lassen wir sie nichtmehr an uns heran. Und erleichtern unser Gewissen tatsächlich mit der großen Spendenbereitschaft. Damit haben wir die Informationen irgendwo, an unserer Peripherie gespeichert, ein Zwischenspeicher den wir dann auch wieder schnell entleeren.
Und wieder haben wir so wenig wie möglich über unsere Art des Umganges mit den großen Dramen der Welt nachgedacht.

Klingt alles nicht sehr gut - aber ich muss jetzt doch schlafen gehn.

Gruß von Miriam
 
dann vermischt du schon zwei große Probleme der Weltbevölkerung.
Ich möchte noch beim Thema der Verantwortung (um nicht Weltgewissen zu sagen) bleiben.
Aber ich wollte beim Thema bleiben. Ich wollte wissen, ob eine Frau in Bangladesh, die schon fünf Kinder hatte, von denen drei an Unterernährung und Krankheit starben, die nun weitere Kinder in die Welt setzt, nach irgendeiner kruden Logik vielleicht als gewissenlose Mörderin betrachtet werden könnte, weil sie weitere Kinder in die Welt setzt.

Um sich die Fragwürdigkeit des Argumentes Mord zu verdeutlichen, könnte man sich auch anschauen, wer noch dazu neigt, alles als Mord zu betrachten: Gotteskrieger sagen: Abtreibung ist Mord, Vegetarier sagen: Fleischessen ist Mord usw. Da möchte man sich doch nicht mit in einer Reihe stellen lassen, oder?

Da gebe ich dir recht - und so sehr wir den Medien die Information auch verdanken - wir verarbeiten diese Informationen schlecht. Irgendwie lassen wir sie nichtmehr an uns heran. Und erleichtern unser Gewissen tatsächlich mit der großen Spendenbereitschaft. Damit haben wir die Informationen irgendwo, an unserer Peripherie gespeichert, ein Zwischenspeicher den wir dann auch wieder schnell entleeren.
Und wieder haben wir so wenig wie möglich über unsere Art des Umganges mit den großen Dramen der Welt nachgedacht.

Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Vielleicht hast du eine Idee, wie man mit der paradoxen Konstruktion umgehen soll, dass man ein schlechtes Gewissen hat, weil man kein schlechtes Gewissen hat...

Ts. Wenn es doch so einfach mit der Moral wäre, wie der Brecht das immer sagt...
 
Ich hörte auch mal einen Beitrag über Kinderarbeit, wahrscheinlich in Pakistan, oder so. Eine Organisation wollte sich für die Rechte der Kinder einsetzen und half bei der Gründung einer Kindergewerkschaft.
Das gelang. Es stellte sich aber heraus, dass die Kinder auf keinen Fall ihre Arbeit verlieren wollten. Sie wollten arbeiten. Vielmehr setzten sie sich dafür ein, dass bestimmte Arbeitsstunden eingehalten würden und sie zweimal die Woche zur Schule könnten. Denn der geringe Lohn, wahrscheinlich von einem Westkonzern bezahlt, half dennoch dabei, dass die Kinder ihre Familien unterstützen konnten, damit diese nicht hungern mussten. Die Organisation war von dieser Pragmatik irritiert, respektierte aber schließlich die Meinung der Kinder.

Ein Freund von mir arbeitet in Ghana in der AIDS-Aufklärung. Viel ist spekuliert worden, warum sich AIDS in Afrika so sehr verbeitet, der Papst sei Schuld und und...die Erfahrungen meines Freundes in Ghana waren die:
1. In Ghana auf dem Land ist es ziemlich langweilig. Also wird dort wie wild gepimpert...
2. Für die Männer sind Kondome unmännlich. Ihnen dabei Einsicht beizubringen ist mit den Möglchkeiten der Entwicklungszusammenarbeit eine Sysiphosarbeit.

IN Ghana erreicht nur jeder zweite Jugendliche das Alter von 20 Jahren. Sie sterben an allem möglichen, die Situation ist brutal. Wie geht man damit um? Man gewöhnt sich an Beerdigungen.

Diese Beispiele sollen nicht dazu dienen, Entwicklungszusammenarbeit zu diskreditieren. Sondern Teil eines Plädoyers sein, die Dinge differenziert von Ort zu Ort zu betrachten und pragmatische Lösungen anzustreben. Hier sind neue Paradigmen in der Entwicklungszusammenarbeit auf den Weg gebracht.
Gerade die gesellschaftlichen Bedingungen vor Ort sind komplex. Wir sehen doch schon bei uns, wie langsam sich Verhaltensänderungen und Einstellungen verändern.
Das allgemeine Moralisieren, die einseitige Verortung des Bösen bei den Weltkonzernen und Appelle an das abstrakte Weltgewissen machen zwar im TV einen guten Eindruck, helfen aber nicht weiter.
 
Hallo Robin,

zum Umgang mit dem nicht vorhandenen oder schwach ausgeprägten schlechten Gewissen: es könnte schon sein, dass wir uns eher fragen wie wir unser Gutmenschenbild im Einklang bringen können mit unserer Ichbezogenheit.

Doch es schoß mir etwas durch den Kopf beim Lesen deiner Beiträge - ich beziehe mich nun auf zwei Aussagen:

Robin schrieb:
Aber ich wollte beim Thema bleiben. Ich wollte wissen, ob eine Frau in Bangladesh, die schon fünf Kinder hatte, von denen drei an Unterernährung und Krankheit starben, die nun weitere Kinder in die Welt setzt, nach irgendeiner kruden Logik vielleicht als gewissenlose Mörderin betrachtet werden könnte, weil sie weitere Kinder in die Welt setzt.

und hauptsächlich das was du über Ghana schreibst:

Robin schrieb:
1. In Ghana auf dem Land ist es ziemlich langweilig. Also wird dort wie wild gepimpert*...
2. Für die Männer sind Kondome unmännlich. Ihnen dabei Einsicht beizubringen ist mit den Möglchkeiten der Entwicklungszusammenarbeit eine Sysiphosarbeit.

Ist es nicht so, dass da ein fatales Zusammentreffen stattfindet? Die skrupellose Politik der allein profitorientierten Großkonzerne (diese hat aber die Mentalität der ganzen westlichen Welt mitgeprägt), trifft auf ein fatalistisches Annehmen des Schicksals der Ärmsten der Armen. Das Akzeptieren des unter der menschlichen Würde leben, das Hungern, der Hungertod (Ziegler beschreibt uns wie grausam so ein Sterben ist). Es ist also nicht erstaunlich, dass man sich bemüht die Kinderarbeit beizubehalten - es ist die weniger grausame Lösung. Schon alleine das sollte uns sehr nachdenklich machen.

Würden sie rebellieren, (das geschieht nur vereinzelt - und meisst gegen die eigenen korrupten Herrscher), würde dieses System zusammenkrachen. Doch auch du sagst,
wie langsam sich Verhaltensänderungen und Einstellungen verändern.
Lebt vielleicht doch unsere vor Wohlstand berstende Gesellschaft auch aus diesem Erkenntnis? (Ich weiss, ich weiss, auch hier gibt es Armut, nicht vergleichbar mit der über die wir eigentlich hier diskutieren - aber ich denke, dass auch diese Tatsache nicht ernsthaft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit unserer Politik steht).

Natürlich muss man, wie du sagst, die Dinge von Ort zu Ort differenziert betrachten. Aber ein großes gemeinsammes Muster lässt sich schon erkennen.

Euch heute besonders früh hier grüßend

Miriam

*auch wenn das Thema sehr traurig ist: den Ausdruck kannte ich nicht und finde ihn eine wahre Bereicherung...
 
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Miriam & Robin, ich entnehme euren Beiträgen eine gewisse Einseitigkeit, die einerseits verständlich ist, andererseits aber nicht unbedingt hilfreiche Auswirkungen hat.

wahrscheinlich von einem Westkonzern bezahlt

Mit solchen Äußerungen sollte man sehr vorsichtig sein, wenn man selbst die Verhältnisse vor Ort nicht gesehen hat. Nach meiner Erfahrung bemühen sich die meisten internationalen Firmen um die Einhaltung der Menschenrechte und vor allem um die Vermeidung von Kinderarbeit. Mein eigenes Geschäft mit deutschen Firmen stand immer unter der vertraglichen Zusicherung, dass Kinderarbeit absolut ausgeschlossen ist.

Sieht man sich jedoch in den Ländern um, dann sind es meist die lokalen Unternehmen, die sich der Kinderarbeit bedienen und auch die wesentlichen Betreiber von Bordellen und Prostitution sind. Nach meiner Erfahrung gibt es da bei vielen keine ethischen und moralischen Grenzen, wenn es um die Erwirtschaftung von Gewinnen geht.

Und doch haben die Industrienationen natürlich einen Einfluss auf das Geschehen, denn sie zeigen den Menschen, wie „gut“ man es haben kann und was Geld alles ermöglichen kann. Das ist für die Menschen in diesen Ländern natürlich ein Anreiz. Da jedoch die Ausbildung und oft auch die moralische Grundlage fehlt, werden Geschäfte gemacht, die weder das eine noch das andere erforderlich machen. Damit sind wir bei Menschenhandel, Prostitution oder Kinderarbeit.

So unangenehm es auch im einzelnen sein mag, so notwendig ist es aber auch, die Verantwortlichkeit und das Verhalten der Menschen in den betroffenen Ländern in Frage zu stellen. So sind oft auch Religionen oder Traditionen „Schuld“ an der Misere, da durch diese gesellschaftlichen Regeln ein effektives und produktives Arbeiten in vielen Fällen gar nicht ermöglicht wird. In einer Gesellschaft, in der die Männer nur am Marktplatz sitzen und die Frauen das Feld alleine bearbeiten, kann es keinen Fortschritt geben.

Mein Standpunkt ist hier ziemlich konsistent, wenn ich erneut auf die Ausbildung verweise. Ungebildete Menschen kennen ihre Rechte nicht, sehen kaum Alternativen und können nur schwer neue Ideen entwickeln. Dies öffnet Tür und Tor für all die „Einäugigen unter den Blinden“, die dann kopierte Medikamente verkaufen und tausende damit töten. Es ermöglicht die Ausbeutung ganzer Generationen, denn ohne Bildung ist auch kein Aufbegehren möglich und auch das Entstehen einer soliden politischen Basis ist weitgehend fraglich.

In der Tat ist der „Westen“ nicht unschuldig, wobei auch Japan, Indien, China und andere Länder als Investoren ihren Anteil haben. Doch scheint mir die implizite Verwendung der generellen Unschuld der betroffenen Länder eher fatal, da die strukturellen Gründe immer zuerst im Land liegen und nicht wo anders. Solange wir nur Fische geben und die Menschen das Fischen nicht lehren, solange werden sie kläglich verhungern.
 
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