Seelenmacher
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Depression – eine Gehirnerkrankung?
Es ist nicht verwunderlich, dass sich viele Wissenschaftler aus der Psychologie, Psychiatrie und neuerdings auch der klinischen Neurowissenschaft mit den Ursachen und Auswirkungen depressiver Erkrankungen beschäftigen. Erschwert wird ihre Arbeit allerdings dadurch, dass das Krankheitsbild und auch die Diagnosekriterien diffus sind. Wo hört eine normale Niedergeschlagenheit auf und beginnt ein krankhafter Zustand? Wie lange müssen diese Veränderungen anhalten, um eine psychologische oder psychiatrische Behandlung zu rechtfertigen? Lassen sich die Symptome durch eine Veränderung von Einstellung und Verhalten des Patienten, durch eine Umgestaltung seiner Umwelt oder durch Eingriffe in den Körper, beispielsweise mit Medikamenten oder der Elektrokrampftherapie, am besten behandeln?
In der biologisch ausgerichteten Forschung hat in den letzten Jahren zunehmend die Serotonin-Hypothese an Bedeutung gewonnen. Sie bringt depressive Symptomatik mit einem geringen Spiegel des Botenstoffs Serotonin in Zusammenhang. Dazu passt die große Verbreitung der Serotoninwiederaufnahmehemmer genannten Medikamente, die seit den 1990er Jahren sehr häufig zur Behandlung von Depressionen verschrieben werden. Wie der Name schon sagt, zielen diese Substanzen darauf, die Wiederaufnahme des Botenstoffs im Gehirn zu hemmen und damit seine Konzentration zu erhöhen. Allerdings ist bis heute umstritten, wie gut diese Medikamente verglichen mit Placebos [local] wirken. Fakt ist, dass beileibe nicht allen Patienten damit geholfen werden kann, wovon die gut gefüllten psychiatrischen Kliniken und psychotherapeutischen Praxen zeugen.
Auch die Suche nach den genischen Ursachen der Depression tappte lange Zeit im Dunkeln. Wenn man sich die weltweite Zunahme dieser Erkrankung betrachtet, wie sie seit den 1960er Jahren von Epidemiologen beobachtet wird, mag einen das nicht überraschen. Schließlich finden genische Mutation und Selektion zu langsam statt, um solche Veränderungen binnen weniger Generationen erklären zu können. Im Gegensatz dazu gab es schon in den 1970er Jahren aussagekräftige Forschungsergebnisse dafür, dass schwere Lebensereignisse sich nachhaltig auf die psychische Gesundheit der Menschen auswirken können. Unter dem englisch "stressful life event" genannten Konzept fasst man unter anderem Todesfälle im engsten Familienkreis, einen Gefängnisaufenthalt, eine Fehlgeburt, Scheidung und Scheitern im Arbeitsleben zusammen. Nüchtern betrachtet ist es nicht überraschend, dass solche Ereignisse auf die Gesundheit wirken – insbesondere dann, wenn es, wie bei Depressionen, um die Gefühlswelt und Motivation der Menschen geht.
Dennoch nehmen viele Forscher nicht so sehr die Geschichte und das Umfeld der Menschen ins Visier, sondern ihren Körper, vor allem das Gehirn. Die Situation änderte sich 2003 schlagartig zugunsten der Serotonin-Hypothese, als Avshalom Caspi vom Kings College in London und seine Kollegen im Wissenschaftsmagazin Science ihre Ergebnisse veröffentlichten. Sie hatten einen Zusammenhang zwischen einem Gen, das den Serotonintransport beeinflusst, den schweren Lebensereignissen und depressiven Erkrankungen [extern] gefunden. Die Untersuchung von über 800 Neuseeländern im Alter von 26 Jahren kam zu dem Ergebnis, dass je nach Ausprägung des Gens ein verstärktes Depressionsrisiko vorlag, wenn die Anzahl der Lebensereignisse stieg. Das legte den Schluss nahe, dass manche Menschen aufgrund ihrer genischen Ausstattung besser mit schweren Erfahrungen umgehen konnten als andere, die infolge an einer Depression erkranken.
Die Veröffentlichung war damals von einem fulminanten Medienecho begleitet worden. Tatsächlich bezeichnete Science selbst den Fund in der Dezemberausgabe 2003 als [extern] Durchbruch des Jahres. Aber nicht nur in den Medien, sondern auch bei den Kollegen aus der Forschung hat die Arbeit von Caspi und Kollegen deutliche Spuren hinterlassen. In noch nicht einmal sechs Jahren wurde die Studie schon beinahe 1.500-mal zitiert. Zum Vergleich: Selbst die bedeutendste Untersuchung des populären Hirnforschers Antonio Damasio, die 1997 ebenfalls in Science erschienen ist, wurde bisher "nur" 720-mal zitiert, in der doppelten Zeit also noch nicht einmal halb so oft – und das, obwohl die Studie als Beleg dafür gedeutet wurde, dass Menschen ohne Gefühle nicht mehr vernünftig entscheiden könnten.
Doch kein Depressions-Gen
Angesichts dieses Einflusses ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen 26 andere Studien den Zusammenhang des Serotonintransporter-Gens mit Depressionen untersucht haben – und auch mit Blick auf viele andere psychische Erkrankungen gab es inzwischen ähnliche Experimente. Diese Situation haben sich Neil Risch vom Institut für Humangenetik der University of California in San Francisco und seine Kollegen jetzt für eine Meta-Analyse zunutze gemacht. In der Untersuchung, die in der Juni-Ausgabe des Journal of the American Medical Association [extern] erschienen ist, wurden die Daten aus 14 dieser 26 Studien, zu denen die Forscher Zugang erhalten konnten und die zu Caspis ursprünglichem Ansatz passten, umfassend untersucht. In dieser Vorgehensweise wird die verzerrende Auswirkung von Zufallsereignissen, die einzelne Studien verfälschen kann, unwahrscheinlicher gemacht. Außerdem sind so die Daten von mehr als 14.000 Menschen zusammengefasst, was statistisch gesehen bessere Untersuchungen erlaubt.
Das Ergebnis ist ernüchternd und ein herber Rückschlag für die Erforschung der genischen Einflüsse auf depressive Erkrankungen. Die Autoren haben es selbst wie folgt auf den Punkt gebracht:
Es gab also keine Belege dafür, dass der Genotyp des Serotonintransporters allein oder im Zusammenwirken mit schlimmen Lebensereignissen mit einem höheren Risiko für Depressionen verbunden ist. Das gilt für Männer allein, für Frauen allein und auch dann, wenn man beide Geschlechter zusammennimmt. Das einzige signifikante Ergebnis in den verschiedenen Studien war die starke Verbindung der schlimmen Lebensereignisse mit dem Risiko für Depressionen.
Von den 13 Studien, die Neil Risch und Kollegen zum Vergleich mit der ursprünglichen Arbeit von Caspi und Kollegen heranzogen, haben zwei tatsächlich den gegenteiligen Effekt herausgefunden: Hier hatten die Menschen ein geringeres Erkrankungsrisiko, wenn sie den zuvor als ungünstig angesehenen Genotyp hatten. In fünf weiteren Studien konnte gar kein statistischer Zusammenhang gefunden werden. In dreien wurde dieser teilweise festgestellt, indem man beispielsweise nur die Daten von Frauen untersuchte. Lediglich die drei verbleibenden Studien konnten den ursprünglich festgestellten Zusammenhang bestätigen.
Es ist nicht verwunderlich, dass sich viele Wissenschaftler aus der Psychologie, Psychiatrie und neuerdings auch der klinischen Neurowissenschaft mit den Ursachen und Auswirkungen depressiver Erkrankungen beschäftigen. Erschwert wird ihre Arbeit allerdings dadurch, dass das Krankheitsbild und auch die Diagnosekriterien diffus sind. Wo hört eine normale Niedergeschlagenheit auf und beginnt ein krankhafter Zustand? Wie lange müssen diese Veränderungen anhalten, um eine psychologische oder psychiatrische Behandlung zu rechtfertigen? Lassen sich die Symptome durch eine Veränderung von Einstellung und Verhalten des Patienten, durch eine Umgestaltung seiner Umwelt oder durch Eingriffe in den Körper, beispielsweise mit Medikamenten oder der Elektrokrampftherapie, am besten behandeln?
In der biologisch ausgerichteten Forschung hat in den letzten Jahren zunehmend die Serotonin-Hypothese an Bedeutung gewonnen. Sie bringt depressive Symptomatik mit einem geringen Spiegel des Botenstoffs Serotonin in Zusammenhang. Dazu passt die große Verbreitung der Serotoninwiederaufnahmehemmer genannten Medikamente, die seit den 1990er Jahren sehr häufig zur Behandlung von Depressionen verschrieben werden. Wie der Name schon sagt, zielen diese Substanzen darauf, die Wiederaufnahme des Botenstoffs im Gehirn zu hemmen und damit seine Konzentration zu erhöhen. Allerdings ist bis heute umstritten, wie gut diese Medikamente verglichen mit Placebos [local] wirken. Fakt ist, dass beileibe nicht allen Patienten damit geholfen werden kann, wovon die gut gefüllten psychiatrischen Kliniken und psychotherapeutischen Praxen zeugen.
Auch die Suche nach den genischen Ursachen der Depression tappte lange Zeit im Dunkeln. Wenn man sich die weltweite Zunahme dieser Erkrankung betrachtet, wie sie seit den 1960er Jahren von Epidemiologen beobachtet wird, mag einen das nicht überraschen. Schließlich finden genische Mutation und Selektion zu langsam statt, um solche Veränderungen binnen weniger Generationen erklären zu können. Im Gegensatz dazu gab es schon in den 1970er Jahren aussagekräftige Forschungsergebnisse dafür, dass schwere Lebensereignisse sich nachhaltig auf die psychische Gesundheit der Menschen auswirken können. Unter dem englisch "stressful life event" genannten Konzept fasst man unter anderem Todesfälle im engsten Familienkreis, einen Gefängnisaufenthalt, eine Fehlgeburt, Scheidung und Scheitern im Arbeitsleben zusammen. Nüchtern betrachtet ist es nicht überraschend, dass solche Ereignisse auf die Gesundheit wirken – insbesondere dann, wenn es, wie bei Depressionen, um die Gefühlswelt und Motivation der Menschen geht.
Dennoch nehmen viele Forscher nicht so sehr die Geschichte und das Umfeld der Menschen ins Visier, sondern ihren Körper, vor allem das Gehirn. Die Situation änderte sich 2003 schlagartig zugunsten der Serotonin-Hypothese, als Avshalom Caspi vom Kings College in London und seine Kollegen im Wissenschaftsmagazin Science ihre Ergebnisse veröffentlichten. Sie hatten einen Zusammenhang zwischen einem Gen, das den Serotonintransport beeinflusst, den schweren Lebensereignissen und depressiven Erkrankungen [extern] gefunden. Die Untersuchung von über 800 Neuseeländern im Alter von 26 Jahren kam zu dem Ergebnis, dass je nach Ausprägung des Gens ein verstärktes Depressionsrisiko vorlag, wenn die Anzahl der Lebensereignisse stieg. Das legte den Schluss nahe, dass manche Menschen aufgrund ihrer genischen Ausstattung besser mit schweren Erfahrungen umgehen konnten als andere, die infolge an einer Depression erkranken.
Die Veröffentlichung war damals von einem fulminanten Medienecho begleitet worden. Tatsächlich bezeichnete Science selbst den Fund in der Dezemberausgabe 2003 als [extern] Durchbruch des Jahres. Aber nicht nur in den Medien, sondern auch bei den Kollegen aus der Forschung hat die Arbeit von Caspi und Kollegen deutliche Spuren hinterlassen. In noch nicht einmal sechs Jahren wurde die Studie schon beinahe 1.500-mal zitiert. Zum Vergleich: Selbst die bedeutendste Untersuchung des populären Hirnforschers Antonio Damasio, die 1997 ebenfalls in Science erschienen ist, wurde bisher "nur" 720-mal zitiert, in der doppelten Zeit also noch nicht einmal halb so oft – und das, obwohl die Studie als Beleg dafür gedeutet wurde, dass Menschen ohne Gefühle nicht mehr vernünftig entscheiden könnten.
Doch kein Depressions-Gen
Angesichts dieses Einflusses ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen 26 andere Studien den Zusammenhang des Serotonintransporter-Gens mit Depressionen untersucht haben – und auch mit Blick auf viele andere psychische Erkrankungen gab es inzwischen ähnliche Experimente. Diese Situation haben sich Neil Risch vom Institut für Humangenetik der University of California in San Francisco und seine Kollegen jetzt für eine Meta-Analyse zunutze gemacht. In der Untersuchung, die in der Juni-Ausgabe des Journal of the American Medical Association [extern] erschienen ist, wurden die Daten aus 14 dieser 26 Studien, zu denen die Forscher Zugang erhalten konnten und die zu Caspis ursprünglichem Ansatz passten, umfassend untersucht. In dieser Vorgehensweise wird die verzerrende Auswirkung von Zufallsereignissen, die einzelne Studien verfälschen kann, unwahrscheinlicher gemacht. Außerdem sind so die Daten von mehr als 14.000 Menschen zusammengefasst, was statistisch gesehen bessere Untersuchungen erlaubt.
Das Ergebnis ist ernüchternd und ein herber Rückschlag für die Erforschung der genischen Einflüsse auf depressive Erkrankungen. Die Autoren haben es selbst wie folgt auf den Punkt gebracht:
Es gab also keine Belege dafür, dass der Genotyp des Serotonintransporters allein oder im Zusammenwirken mit schlimmen Lebensereignissen mit einem höheren Risiko für Depressionen verbunden ist. Das gilt für Männer allein, für Frauen allein und auch dann, wenn man beide Geschlechter zusammennimmt. Das einzige signifikante Ergebnis in den verschiedenen Studien war die starke Verbindung der schlimmen Lebensereignisse mit dem Risiko für Depressionen.
Von den 13 Studien, die Neil Risch und Kollegen zum Vergleich mit der ursprünglichen Arbeit von Caspi und Kollegen heranzogen, haben zwei tatsächlich den gegenteiligen Effekt herausgefunden: Hier hatten die Menschen ein geringeres Erkrankungsrisiko, wenn sie den zuvor als ungünstig angesehenen Genotyp hatten. In fünf weiteren Studien konnte gar kein statistischer Zusammenhang gefunden werden. In dreien wurde dieser teilweise festgestellt, indem man beispielsweise nur die Daten von Frauen untersuchte. Lediglich die drei verbleibenden Studien konnten den ursprünglich festgestellten Zusammenhang bestätigen.