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Wie wird der Angriff Russlands auf die Ukraine enden?

  • Autor Autor Walter
  • Erstellungsdatum Erstellungsdatum
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Was bisher geschah - Versuch einer Einordnung​

Der Angriff Russlands auf die Ukraine entwickelte sich in der ersten Woche zu einem militärischen und politischen Desaster für Putin. Ich versuche in Folge, eine Einordnung und einen Ausblick.

Kriegsverlauf in der ersten Woche​

Militärisch war offenbar geplant, in einer Art "Blitzkrieg" möglichst rasch mit Fallschirmjägern den Flughafen Haupstadt Kiew einzunehmen, in Folge die Regierung festzunehmen und eine Kapitulation zu erzwingen. Dieser Coup scheiterte, weil der Flughafen von den Ukrainern rasch wieder zurück erobert wurde. Der Vormarsch der russischen Truppen an Land erfolgt nach wie vor sehr langsam und unter grossen Opfern. Eine Luftüberlegenheit konnte nicht erzielt werden, Teile der ukrainischen Luftabwehr sind immer noch funktionsfähig und hochportable Einheiten (Manpads) sorgen immer wieder für Ausfälle bei Flugzeugen und Helikoptern.
Was alle Beobachter aber wirklich erstaunt hat ist der marode Zustand der russischen Einheiten. Immer wieder werden Fahrzeuge, ja selbst voll funktionsfähige Panzer oder Pantsir-S1-Raketensysteme, einfach aufgegeben und den Ukrainern überlassen. Wie ein Fachmann auf Twitter feststellte, sieht man auf Fotos immer wieder defekte Reifen, weil die Fahrzeuge offenbar sehr lange Zeit im Freien standen und nicht bewegt wurden, wodurch die Seitenwände verrotten. Zusätzlich gibt es Berichte über schlecht ausgebildete Grundwehrdiener, sich ergebende Soldaten die nicht auf ihr slawisches Brudervolk schiessen wollen, seit langem abgelaufene Konservendosen, umfangreiche Logistikprobleme.

In der russischen Armee gibt es offenbar massive Probleme mit Korruption, das Geld für Wartung fliesst offenbar in andere Taschen. Putin hat vor Jahren einen ehrgeizigen Verteidigungsminister entlassen, der die Streitkräfte modernisieren und der Korruption ein Ende setzen wollte, was zu grossen Verwerfungen in Politik und Wirtschaft führte. Statt ihm wurde der aktuelle Verteidigungsminister installiert, der offenbar ein Jasager ist und niemandem Probleme machen wollte.
Niemand in der obersten Führung hat damit gerechnet, dass die Ukraine massiven Widerstand leisten und der Krieg so lange dauern würde. Eine andere Erklärung wäre eine Änderung der Planung in letzter Minute, weil ein so massiver Einmarsch gar nicht geplant war. So oder so ist das Ergebnis ein Desaster

Das politische Debakel​

In politischer Hinsicht ist der Krieg ein Fiasko. Im Gegensatz zu den Russen beherrschen die Ukrainer das Spiel mit den sozialen Medien perfekt. Eine ganze Armada an ukrainischen Bürgern und Aktivisten versorgt die ganze Welt topaktuell mit Informationen und Propaganda. Auch der ukrainische Präsident Selenskyj, den viele anfangs für ein politisches Leichtgewicht hielten, hat sich als echter Glücksfall für das ukrainische Volk erwiesen. Seine Appelle an das Volk und die internationale Gemeinschaft haben ihre Wirkung nicht verfehlt.

Auf der anderen Seite macht sich in der russischen Bevölkerung ein erstes Murren breit. Trotz der mittlerweile vollständigen Ausschaltung von unabhängiger Presse und Fernsehen, trotz Regierungspropaganda rund um die Uhr, trotz strengster Gesetze (15 Jahre Haft für das Verbreiten von "Falschinformationen") und vieler Verhaftungen gibt es in allen grösseren Städten kleine Demonstrationen, die sich zu einem Flächenbrand entwickeln können wenn die Nachrichten von toten russischen Soldaten nicht enden und die wirtschaftlichen Probleme zu gross werden.

Nie dagewesener Druck auf die russische Wirtschaft​

Die Sanktionen der Staatengemeinschaft sind mittlerweile so umfangreich, dass Präsident Putin sagt, sie glichen einer Kriegserklärung. Viele Firmen ziehen sich aber auch freiwillig oder unter dem Druck ihrer Kunden aus Russland zurück. Die russische Wirtschaft wird enorm darunter leiden: westliche Kunden fallen weg, Hochtechnologie wie Chips können nicht mehr importiert werden, russische Fluglinien können in der halben Welt nicht mehr landen und bekommen für ihre grösstenteils westlichen Flugzeuge keine Ersatzteile mehr. Der Rubel ist auf ein Allzeittief gefallen, der Kurs Dollar zu Rubel beträgt mittlerweile 1 : 122.

Der absolute Todesstoss für die ohnehin sehr kleine russische Wirtschaft (kleiner als Italien oder Südkorea) wäre, wenn Europa seine Öl- und Gas-Importe stoppen würde. Noch ist aber fraglich, ob es dazu kommt, denn Länder wie Deutschland und Österreich haben sich - auch unter Einfluss korrumpierter Politiker - in den letzten zwanzig Jahren stark abhängig von diesen russischen Rohstoffen gemacht.

Wie wird es enden? Der Versuch einer Prognose​

Der erste Plan, die rasche Eroberung der Hauptstadt und Installierung einer Marionettenregierung, ist fehlgeschlagen. Die russischen Streitkräfte sind deshalb bereits dazu übergegangen, schwere Waffen gegen die Städte einzusetzen, was die zivilen Opferzahlen in grosse Höhen treibt und den ukrainischen Widerstand nur stärker machen wird, zumindest moralisch.

Selbst wenn die Eroberung von Kiew gelingt und eine putinfreundliche Regierung installiert wird, ist Russland nicht auf Dauer in der Lage, das Land zu besetzen. Dafür würde es Militär und Polizei in einer Grösse benötigen, die für die wirtschaftlich geschwächte russische Föderation einfach nicht machbar ist. Und selbst wenn das irgendwie stemmbar wäre, weite Teile der ukrainischen Bevölkerung sind nicht bereit zu kooperieren.

Welche Optionen stehen Putin noch offen?
  • Europa drohen, den Gashahn abzudrehen?
    Es ist schon März und die Gasspeicher sind zumindest noch so weit gefüllt, dass bis Ende des kontinentalen Winters mit Gas geheizt werden kann.
  • Einsatz einer taktischen Atombombe in der Ukraine um die Europäer einzuschüchtern?
    Militärisch sinnlos und würde die Weltmeinung nur noch mehr zu Ungunsten Putins kippen, wird allerdings umso mehr eine realistische Option umso eher Putin eine militärische Niederlage droht
  • Eine Geheimdienstoperation um die Stimmung zu kippen (z.B. eine schmutzige Bombe in Moskau mit strahlendem Material die angeblich von den Ukrainern stammt)?
    Leider nicht undenkbar.
  • Ein Friedensvertrag um das Gesicht zu wahren?
    Was für ein Gesichtsverlust für Putin der laut eigener Aussage angetreten ist, europäische Geschichte zu schreiben.
  • Der dritte Weltkrieg ausgelöst durch Putin?
    Er ist nicht verrückt geworden, ausserdem gibt es keinen "roten Knopf" sondern eine komplizierte Prozedur, bei der viele Menschen mitspielen müssen.

So oder so, die Zukunft Putins sieht nicht rosig aus. Er hat hoch gepokert und verloren. Ob er durch eine Geheimdienstaktion einen Unfall erleidet, ob er durch einen Putsch sein Amt verliert oder ob er sich politisch noch eine zeitlang hält, der Schaden für Russland und für Putin selbst ist jetzt schon unermesslich gross.

Mögliche langfristige Folgen: schnellere Abwendung der Europäer von fossilen Brennstoffen, erstarken der Unabhängigkeitsbewegungen in Tatarstan, Baschkortostan, Itschkerien, Tschetschenien, Sacha und Komi; Fall Assads in Syrien weil Russland nicht mehr unterstützen kann.

Kommentare

P
Chapeau... der Versuch einer Einordnung der momentanen Lage ist Ihnen gelungen!
Kurz, eindeutig, treffend.... Danke dafür!
 

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Walter
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