Verfall II
Heute sprach mich meine Gartennachbarin an - ich stand an der Biologie-Tonne, auf der ich eine Fußmatte abbürstete, sie befand sich drei Meter daneben, am Zaun.
Seit zweieinhalb Wochen leben meine Katzen in der Gartenbude und im Garten, sie fragte, ob meine Katzen springen würden. Ich fragte nach, sie erklärte zu meinen, ob meine Katzen nicht mal über den Gartenzaun (hüftknochenhoch) sprängen, sie hatte es noch nicht beobachten können. Ich auch nicht, wir kamen überein, das kommende Verhalten der Katzen zu beobachten, so weit wie möglich.
Dann sagte sie, daß ihr Mann (50) für drei Wochen zur Kur fährt - nur, falls Gerüchte aufkommen.
Ich dachte, sie meinte damit Gerüchte über eine Zerrüttung ihres Verhältnisses, und erklärte, ich bekomme nie Kleingartengerüchte mit. Ich erklärte nicht, daß ich keine Gerüchte mitbekäme, weil ich mich nicht am Sozialleben der Kolonie beteilige; ich ging davon aus, sie weiß das.
(Seit ein paar Jahren sind wir Kleingartennachbarn, noch nie habe ich eine Einladung angenommen, mich am Kniffeln oder Skatspielen zu beteiligen. Auch Essensangebote schlug ich stets ab. Es gab auch keine Sexualkontakte oder so etwas, selbstverständlich nicht.)
Ohne Vorwarnung sagte sie dann, daß ihr Mann Krebs habe und nicht mehr lange leben wird. Vor einigen Monaten spuckte er Blut, eine zeitnahe Untersuchung ließ einen faustgroßen Tumor im Lungenbereich feststellen, nicht operierbar. Es sind noch keine anderen Organe betroffen, aber das ist nur eine Frage der kurzen Zeit. Ich soll ihn nicht auf diese Sache ansprechen, er möchte das nicht, diese Fragen, wie geht es. In der kommenden Kleingartensaison werde ich also wahrscheinlich eine Witwe als Nachbarin haben.
Ich denke öfters und fast gerne an meinen Tod; entweder ich habe keine Angst oder sehr große Angst. Heute ist wieder ein Sänger hinweggestorben, der San Franzisco-Sänger, ständig sterben Menschen und sind weg. Eigentlich ist nichts anders; ich suche immer danach, was anders ist - aber nichts ist anders. Außer, daß der tote Mensch weg ist.
Ich bin fast froh, daß ich nicht mehr denke, ich habe mein Leben nicht gelebt. Klar, ich machte nichts aus meinem Leben, ich habe meine Talente (Brustschwimmen, Blödsinnschreiben) Talente sein lassen. Mir reichte es fast immer, daß Menschen dachten, ich könnte irgendetwas, an mir sei irgendetwas wie dran.
Seit Jahren dachte ich, ich bekomme auch Lungenkrebs, am rechten unteren Lungenflügel drückte es gelegentlich. Dann machte mich jemand darauf aufmerksam, daß das nur meine Leber wäre, die da herumdrückt. Also rauche ich weiter, etwas, und trinke unverändert am Abend Bier.
Ich fühle mich seit einiger Zeit geliebt, ich fühle es tatsächlich. Was soll mir also passieren, außer wie in Liebe zu sterben? Keine Ahnung, ich habe keine Ahnung, das weiß ich.
Was sollte nun dieser Eintrag?
Das überlasse ich Ihnen - Ihnen, meinen Kollegen aus dem df.
Typisch für mich, meiner Nachbarin sage ich nichts, gehe nicht zum Kniffeln rüber (ich hasse Kniffeln, alleine schon diese dämlichen Würfelbechergeräusche) und Ihnen schreibe ich mehr, als alle meine Bekannten zu lesen bekommen.