Verfall I.
Heute ist der erste Tag, an dem ich mir meines Verfalles bewußt bin.
Ich weiß nicht, wieviele Tage, Wochen oder Monate ich noch verfallen werde, bis mein Leben als zerfallen gelten wird.
Meine Motivation, den Verfall aufzuhalten, ist schwächer als meine Lust, ihn zu beschleunigen. Mir kommt es ohnehin so vor, als gäbe es in meinem Leben nur ein Verfallsgaspedal, das ich bedienen kann; gelegentliche Bremsungen oder Auskupplungen registriere ich, ohne sie einleiten und schon gar nicht kontrollieren zu können.
Wer verfällt? Ich oder mein Leben?
Vor drei Monaten war ich so weit, oder so weit weg, mein vermeintliches Ich von meinem Leben zu separieren. Anfangs spürte ich Euphorie an dieser Idee, die jedoch nicht gegen die Depressionen meines Lebens anwachsen konnte, und verkümmerte.
Heute am Vormittag, auf dem Weg zu einer meiner Arbeiten, fand ich vor einer Bankfiliale einen fast toten Jungvogel. Er lag wie herabgefallen auf den Bürgersteigplatten, und röchelte etwas. Seine Augen gingen noch ein paar Male auf und zu.
Als ich meine Kamera auf ihn richtete, bewegte sich nichts mehr. Ich hockte mehr als zwei Minuten vor dem Kadaver und filmte. Dabei wartete, daß sich etwas tun würde. Irgendetwas. Nichts tat sich. Das Leben war zerfallen, und nichts tat sich mehr. Dachte ich.
http://www.youtube.com/watch?v=xStIB0w-_lE&feature=plcp
Als ich nach meiner einen Arbeit zurück in meine Wohnung unterwegs war, kam ich erneut an dem Kadaver vorbei. In den paar Stunden meines Verfalles hatte sich das Zerfallene wie bewegt und Grund für Leben geboten.
Ich kniete erneut, beschränkte mich jedoch auf unbewegte Bilder.