...die metaphaysische Fußangel
Wenn die Metaphysik nach dem Sein fragt, meint sie in Wahrheit seinen Sinn – war das womöglich schon immer so? Damit hatte die Philosophie begonnen: der Frage nach dem "wahren Sein". Stand hinter der theoretischen Frage 'Was ist?' schon damals die praktische Frage 'Was soll ich tun'?
Die Philosophie im engeren Sinne beginnt mit dem Gegensatz von Heraklit und Parmenides, dem Gegensatz von ewigem Werden und ewigem Sein; einer am östlichen, der andre am westlichen Rand der hellenischen Welt. Mit ihnen beginnt der Anfang vom Ende des mythischen Zeitalters.
Ein beinahe-noch-Zeitgenosse war Sophokles in Athen, dem Zentrum. Er überführte die Antigone aus dem Mythos in die Tragödie. Dort ist sie nicht mehr bloßes Opfer ihres Schicksals, sondern wählt zwischen Altem und Neuem Gesetz ihren Weg selber. Sie schwankt nicht wie Hamlet hin und her, so modern ist sie nicht. Ihre Wahl steht von Anbeginn fest. Aber modern ist: Es ist nicht die Zuflüsterung dieser oder jener Gottheit, sondern sie ist es selber, die gewählt hat.
Sophokles schrieb für die Öffentlichkeit des perikleischen Athen – in der Blüte der attischen Demokratie, die angewiesen war auf den eigen-sinnigen 'polites'; den Bürger, der für seine Wahl mit allem einstand, das er hatte. Ohne ihn hätte Athen den Pelepponesichen Krieg nicht überlebt. In der Tragödie wird der Übergang vom Mythos zur Vernunft sinnfälliger als in der Philosophie selbst.
Die griechische Polis trug deutliche Züge einer bürgerlichen Gesellschaft. Dann kamen das Römische Reich, die Völkerwanderung, der Verfall städtischer Kultur und die Neugeburt Europas im Zeichen der Feudalität. Nicht die Vernunft trat an die Stelle des Mythos, sondern die katholische Kirche. Sie war so doppelsinnig wie das finstere, bunte, turbulente Mittelalter. Zum einen war sie Dogma, aber zum andern lehrte sie, das Leben als eine Pilgerfahrt aufzufassen, auf der man scheitern kann. Sie lehrte die Menschen, auf ihr Gewissen zu achten – mehr, als es die antike Tragödie vermocht hätte; und nur auf ihr Gewissen, wenn man es streng nahm.
Der Mensch, der im Mythos ein Spielball der Götter war, wurde im christlichen Glauben zum verantwortlichen Subjekt, das sein Leben führen muss.
Und als ihm die Pfaffen als Wegweiser suspekt wurden, musste 'die Natur' herhalten. Die Natur durchherrscht vom Logos, der Mensch ein Teil der Natur, seine Vernunft ihr ureigenes Gesetz – das ist der Sinn der Metaphysik. Ratio – reason, raison – heißt Rechnung. Dieser 'Sinn des Lebens', des bürgerlichen Erwerbslebens, war im Voraus längst "gefunden", die Philosophie musste ihn nur noch absegnen.
Die Gleichsetzung von Sinn und Sein gehört zu den naiven Selbstverständlichkeiten unseres Denkens. Sie liegt vor aller Reflexion, aller Überlegung, aller… Vernunft. Sie entstammt der kindlichen Annahme, dass das, was da ist, da sein muss; dass das, was in der Wirklichkeit geschieht, mit Notwendigkeit geschieht. Sich gegen das Notwendige stellen ist sinnlos.
Sinn 'gibt es' nicht an und für sich. Es muss immer einer da sein, für den irgendwas Sinn hat oder nicht. Und was kann das heißen: es hat für ihn Sinn? Es heißt, dass irgendeine Entscheidung, die er zu treffen hat, davon abhängt. Worüber kann ich entscheiden? Über das, was ich bin? Nein, über das, was ich tue.
Für mich hat all das Sinn, was ich bei meinen Handlungsentscheidungen bedenken muss. Die Frage nach dem Sinn geht von den lebenden Subjekten aus. Bevor wir sie den Dingen stellen, müssen wir sie uns selber stellen. 'Ich bin ein Teil der Natur und unterliege ihrem Gesetz' ist eine Antwort, bevor die Frage gestellt wurde. Sie könnte falsch sein.
Die Gleichsetzung von Sein und Sinn ist dasselbe wie die Gleichsetzung von Logik und Naturgeschehen. Ihr gemeinsames Drittes ist die "Notwendigkeit". Tatsächlich stammt die Idee eines Notwendigen nicht aus der Beobachtung der Natur. Sie stammt aus der Erfahrung unseres Denkens: aus dem richtigen Schlussfolgern. Aus zwei Voraussetzungen ist nur ein Schluss möglich, nicht zwei oder drei. Und nur dieser! Das allein ist mit Notwendigkeit so. Was immer wir in der Welt der Tatsachen beobachten mögen, können wir per Analogie diesem logischen Modell der 'hinreichenden Begründung' nur annähern.
Dass in der Wirklichkeit ein Ereignis 'mit Notwendigkeit' aus einem vorangegangenen Ereignis folgt, lässt sich nicht nur nicht beobachten. Es lässt sich nicht einmal sagen, was wir uns darunter vorstellen sollen.
Wenn die Metaphysik nach dem Sein fragt, meint sie in Wahrheit seinen Sinn – war das womöglich schon immer so? Damit hatte die Philosophie begonnen: der Frage nach dem "wahren Sein". Stand hinter der theoretischen Frage 'Was ist?' schon damals die praktische Frage 'Was soll ich tun'?
Die Philosophie im engeren Sinne beginnt mit dem Gegensatz von Heraklit und Parmenides, dem Gegensatz von ewigem Werden und ewigem Sein; einer am östlichen, der andre am westlichen Rand der hellenischen Welt. Mit ihnen beginnt der Anfang vom Ende des mythischen Zeitalters.
Ein beinahe-noch-Zeitgenosse war Sophokles in Athen, dem Zentrum. Er überführte die Antigone aus dem Mythos in die Tragödie. Dort ist sie nicht mehr bloßes Opfer ihres Schicksals, sondern wählt zwischen Altem und Neuem Gesetz ihren Weg selber. Sie schwankt nicht wie Hamlet hin und her, so modern ist sie nicht. Ihre Wahl steht von Anbeginn fest. Aber modern ist: Es ist nicht die Zuflüsterung dieser oder jener Gottheit, sondern sie ist es selber, die gewählt hat.
Sophokles schrieb für die Öffentlichkeit des perikleischen Athen – in der Blüte der attischen Demokratie, die angewiesen war auf den eigen-sinnigen 'polites'; den Bürger, der für seine Wahl mit allem einstand, das er hatte. Ohne ihn hätte Athen den Pelepponesichen Krieg nicht überlebt. In der Tragödie wird der Übergang vom Mythos zur Vernunft sinnfälliger als in der Philosophie selbst.
Die griechische Polis trug deutliche Züge einer bürgerlichen Gesellschaft. Dann kamen das Römische Reich, die Völkerwanderung, der Verfall städtischer Kultur und die Neugeburt Europas im Zeichen der Feudalität. Nicht die Vernunft trat an die Stelle des Mythos, sondern die katholische Kirche. Sie war so doppelsinnig wie das finstere, bunte, turbulente Mittelalter. Zum einen war sie Dogma, aber zum andern lehrte sie, das Leben als eine Pilgerfahrt aufzufassen, auf der man scheitern kann. Sie lehrte die Menschen, auf ihr Gewissen zu achten – mehr, als es die antike Tragödie vermocht hätte; und nur auf ihr Gewissen, wenn man es streng nahm.
Der Mensch, der im Mythos ein Spielball der Götter war, wurde im christlichen Glauben zum verantwortlichen Subjekt, das sein Leben führen muss.
Und als ihm die Pfaffen als Wegweiser suspekt wurden, musste 'die Natur' herhalten. Die Natur durchherrscht vom Logos, der Mensch ein Teil der Natur, seine Vernunft ihr ureigenes Gesetz – das ist der Sinn der Metaphysik. Ratio – reason, raison – heißt Rechnung. Dieser 'Sinn des Lebens', des bürgerlichen Erwerbslebens, war im Voraus längst "gefunden", die Philosophie musste ihn nur noch absegnen.
Die Gleichsetzung von Sinn und Sein gehört zu den naiven Selbstverständlichkeiten unseres Denkens. Sie liegt vor aller Reflexion, aller Überlegung, aller… Vernunft. Sie entstammt der kindlichen Annahme, dass das, was da ist, da sein muss; dass das, was in der Wirklichkeit geschieht, mit Notwendigkeit geschieht. Sich gegen das Notwendige stellen ist sinnlos.
Sinn 'gibt es' nicht an und für sich. Es muss immer einer da sein, für den irgendwas Sinn hat oder nicht. Und was kann das heißen: es hat für ihn Sinn? Es heißt, dass irgendeine Entscheidung, die er zu treffen hat, davon abhängt. Worüber kann ich entscheiden? Über das, was ich bin? Nein, über das, was ich tue.
Für mich hat all das Sinn, was ich bei meinen Handlungsentscheidungen bedenken muss. Die Frage nach dem Sinn geht von den lebenden Subjekten aus. Bevor wir sie den Dingen stellen, müssen wir sie uns selber stellen. 'Ich bin ein Teil der Natur und unterliege ihrem Gesetz' ist eine Antwort, bevor die Frage gestellt wurde. Sie könnte falsch sein.
Die Gleichsetzung von Sein und Sinn ist dasselbe wie die Gleichsetzung von Logik und Naturgeschehen. Ihr gemeinsames Drittes ist die "Notwendigkeit". Tatsächlich stammt die Idee eines Notwendigen nicht aus der Beobachtung der Natur. Sie stammt aus der Erfahrung unseres Denkens: aus dem richtigen Schlussfolgern. Aus zwei Voraussetzungen ist nur ein Schluss möglich, nicht zwei oder drei. Und nur dieser! Das allein ist mit Notwendigkeit so. Was immer wir in der Welt der Tatsachen beobachten mögen, können wir per Analogie diesem logischen Modell der 'hinreichenden Begründung' nur annähern.
Dass in der Wirklichkeit ein Ereignis 'mit Notwendigkeit' aus einem vorangegangenen Ereignis folgt, lässt sich nicht nur nicht beobachten. Es lässt sich nicht einmal sagen, was wir uns darunter vorstellen sollen.