In der Schule lernen wir, Vernunft sei das, was dem Menschen das ersetzen muss, was bei den Tieren die Instinkte sind. Die Rede vom "instinktentbundenen" Mängelwesen (Arnold Gehlen) beherrschte lange die philosophische Anthropologie. Allerdings wurde der Instinktbegriff von der Aufklärung erfunden, um zu erklären, was dem Tiere die Vernunft ersetzt. Sie ‚erklären’ einander gegenseitig - durch Verneinung.
Aber als die Biologen den Instinkt erforschen wollten, ging es ihnen wie mit der Vernunft: sie konnten nichts finden - keinen ‚Sitz’, aber auch kein ‚Substrat’. Doch irgendwie ‚verhalten’ sich ja die Tiere zu den Dingen um sie herum! Die eine (‚realistische’) Erklärung kam von den Reflexologen Pawlow und Skinner. Die andere (‚idealistische’) gab der Bedeutungs-Begriff Jakob von Uexkülls.
Evolution ist Auslese und Anpassung. Im Laufe ihrer Geschichte hat jede Spezies ihre ökologische Nische gefunden und zu ihrer Umwelt anverwandelt. "Nur die Umgebung eines Tieres liegt vor unseren Augen offen da. Wenn wir sie erforschen, entdecken wir in ihr die Reizquellen, die auf die Tiere einwirken. Die Umwelt ist aber völlig unsichtbar, denn sie besteht lediglich aus den Merkmalen der Tiere, die das Tier selbst hinausverlegt. Jede Umwelt ist das Erzeugnis eines Subjekts. Jede Umwelt bildet eine in sich geschlossene Einheit, die in all ihren Teilen durch die Bedeutung für das Subjekt beherrscht wird. Alles und jedes, das in den Bann einer Umwelt gerät, wird umgestimmt und umgeformt, bis es zu einem brauchbaren Bedeutungsträger geworden ist - oder es wird völlig vernachlässigt." (Uexküll) Die Bedeutungen tierischer Umwelten haben einen gemeinsamen Nenner: Sie sind Funktionen der Erhaltung - der Individuen wie der Art. Was keinen Erhaltungswert hat, kommt in ihnen, wenn es auch ‚da’ ist, buchstäblich nicht vor.
Der Mensch hat vor Jahrmillionen seine biologische Nische verlassen und ist aus der ererbten Umwelt in eine fremde Welt aufgebrochen. Deren Bedeutungen waren nicht vererbt, er musste sie selber heraus-, d. h. hineinfinden. "Nichts kann sein, was ihm nicht etwas zu bedeuten vermag." (Adolf Portmann) Und die Bedeutung ist, seit er einmal dem Überfluss begegnet war, nicht mehr auf den Erhaltungswert beschränkt: Jedes kann ihm Vieles bedeuten, und er kann sich sogar selber fraglich werden.
Auch die Welt ist keine Sukzession von Erscheinungen. Auch sie ist ein Raum von Bedeutungen, die ‚vor’ den Erscheinungen ‚da sind’. Das teilt sie mit den tierischen Umwelten, aus denen sie hervor gegangen ist. Der Unterschied: Dieses Ganze ist da, weil es gedacht wird. In der wirklichen Vorstellung kommt zwar immer nur dieses und das und jenes vor. Das widerfuhr auch unsern hominiden Vorfahren, als sie sich auf ihre Hinterbeine stellten und aus dem schützenden Urwald ins offene Feld ausbrachen: Dies und das war ihnen vertraut und bedeutete, was es schon immer bedeutet hatte. Anderes war ihnen in den Nischen nicht vorgekommen. Aber im offenen Feld kam Anderes vor; nicht als bedeutungslos, sondern als fraglich - weil nun das Ganze fraglich war. Das war eine ganz neue Bedeutung. Der Mensch ist der, der nach Bedeutungen fragen kann - weil er muss. Die Welt ist entstanden als Mangel. Als das, was nach dem Verlust der Umwelt fehlte. Ein Raum, in den ich fragend blicke.
Diesen Mangel beheben ist das Ergebnis einer Vorstellungsarbeit. Im Anschluss an von Uexküll entwickelte Ernst Cassirer seinen Symbolbegriff. Entsprechend seiner anatomischen Struktur besitze jeder Organismus "ein bestimmtes Merknetz und ein bestimmtes Wirknetz. Das Merknetz, durch das eine Spezies äußere Reize aufnimmt, und das Wirknetz, durch das sie auf diese Reize reagiert, sind in allen Fällen eng miteinander verknüpft. Sie sind Glieder einer einzigen Kette, die Uexküll den Funktionskreis des Lebewesens nennt. Der Funktionskreis ist beim Menschen nicht nur quantitativ erweitert. Er hat sich auch qualitativ gewandelt. Zwischen dem Merknetz und dem Wirknetz finden wir beim Menschen ein drittes Verbindungsglied, das wir als Symbolnetz oder Symbolsystem bezeichnen können. Diese eigentümliche Leistung verwandelt sein ganzes Dasein. Er lebt sozusagen in einer neuen Dimension der Wirklichkeit." (Cassirer)
Wenn alle Dinge "eine Bedeutung haben", ermöglicht und erfordert es diese ihre gemeinsame Qualität, sie als eine - artikulierte - Gesamtheit aufzufassen, indem die Bedeutung des Einen zur Bedeutung des Andern ins Verhältnis gesetzt wird; so dass idealiter die Bedeutung eines Jeden in den Bedeutungen aller Andern ihre Grenze findet. Die Welt ist dann die Totalität der Verweisungszusammenhänge.
Logisch mag man das Verhältnis umkehren: Indem man die (gedachte) Totalität aller (möglichen) Verweisungen an den Anfang setzt und die tatsächlich stattfindenden Verweisungen und schließlich die je einzeln bestimmt-werdenden Bedeutungen daraus "hervorgehen" lässt. Doch wenn es auch so wäre, daß die Welt, einmal erfunden, gegeben ist wie es die tierischen Umwelten sind - so müsste sie sich ein jedes neu hinzukommendes Individuum doch jedesmal wieder neu aneignen. Und es könnte das mehr oder weniger tun. Wenn ihm das auch am vorgegebenen Material leichter fällt als den abertausenden Generationen vor ihm, die alles erst erfinden mussten - im Prinzip ist es doch "so gut, als ob" er mit dem Bedeuten der Dinge ganz von vorn anfinge.
Und die ‚erste’, elementare Bedeutung ist die Scheidung von Ich und Nichtich. Indem ich ein Anderes "bedeute", bedeute ich ipso facto 'mich’ als das Andere dieses - und jedes andern - Andern. Das Ich ist nur insofern etwas, sagt Fichte, als es mit der Welt in Wechselwirkung steht; logisch und reell. In einer natürlichen Umwelt kann es ein Ich nicht geben. Aber ohne Ich gibt es keine Welt.
Und das regelmäßige wechselseitige Ins-Verhältnis-Setzen von Ich und Welt nennen wir landläufig Vernunft.
Aber als die Biologen den Instinkt erforschen wollten, ging es ihnen wie mit der Vernunft: sie konnten nichts finden - keinen ‚Sitz’, aber auch kein ‚Substrat’. Doch irgendwie ‚verhalten’ sich ja die Tiere zu den Dingen um sie herum! Die eine (‚realistische’) Erklärung kam von den Reflexologen Pawlow und Skinner. Die andere (‚idealistische’) gab der Bedeutungs-Begriff Jakob von Uexkülls.
Evolution ist Auslese und Anpassung. Im Laufe ihrer Geschichte hat jede Spezies ihre ökologische Nische gefunden und zu ihrer Umwelt anverwandelt. "Nur die Umgebung eines Tieres liegt vor unseren Augen offen da. Wenn wir sie erforschen, entdecken wir in ihr die Reizquellen, die auf die Tiere einwirken. Die Umwelt ist aber völlig unsichtbar, denn sie besteht lediglich aus den Merkmalen der Tiere, die das Tier selbst hinausverlegt. Jede Umwelt ist das Erzeugnis eines Subjekts. Jede Umwelt bildet eine in sich geschlossene Einheit, die in all ihren Teilen durch die Bedeutung für das Subjekt beherrscht wird. Alles und jedes, das in den Bann einer Umwelt gerät, wird umgestimmt und umgeformt, bis es zu einem brauchbaren Bedeutungsträger geworden ist - oder es wird völlig vernachlässigt." (Uexküll) Die Bedeutungen tierischer Umwelten haben einen gemeinsamen Nenner: Sie sind Funktionen der Erhaltung - der Individuen wie der Art. Was keinen Erhaltungswert hat, kommt in ihnen, wenn es auch ‚da’ ist, buchstäblich nicht vor.
Der Mensch hat vor Jahrmillionen seine biologische Nische verlassen und ist aus der ererbten Umwelt in eine fremde Welt aufgebrochen. Deren Bedeutungen waren nicht vererbt, er musste sie selber heraus-, d. h. hineinfinden. "Nichts kann sein, was ihm nicht etwas zu bedeuten vermag." (Adolf Portmann) Und die Bedeutung ist, seit er einmal dem Überfluss begegnet war, nicht mehr auf den Erhaltungswert beschränkt: Jedes kann ihm Vieles bedeuten, und er kann sich sogar selber fraglich werden.
Auch die Welt ist keine Sukzession von Erscheinungen. Auch sie ist ein Raum von Bedeutungen, die ‚vor’ den Erscheinungen ‚da sind’. Das teilt sie mit den tierischen Umwelten, aus denen sie hervor gegangen ist. Der Unterschied: Dieses Ganze ist da, weil es gedacht wird. In der wirklichen Vorstellung kommt zwar immer nur dieses und das und jenes vor. Das widerfuhr auch unsern hominiden Vorfahren, als sie sich auf ihre Hinterbeine stellten und aus dem schützenden Urwald ins offene Feld ausbrachen: Dies und das war ihnen vertraut und bedeutete, was es schon immer bedeutet hatte. Anderes war ihnen in den Nischen nicht vorgekommen. Aber im offenen Feld kam Anderes vor; nicht als bedeutungslos, sondern als fraglich - weil nun das Ganze fraglich war. Das war eine ganz neue Bedeutung. Der Mensch ist der, der nach Bedeutungen fragen kann - weil er muss. Die Welt ist entstanden als Mangel. Als das, was nach dem Verlust der Umwelt fehlte. Ein Raum, in den ich fragend blicke.
Diesen Mangel beheben ist das Ergebnis einer Vorstellungsarbeit. Im Anschluss an von Uexküll entwickelte Ernst Cassirer seinen Symbolbegriff. Entsprechend seiner anatomischen Struktur besitze jeder Organismus "ein bestimmtes Merknetz und ein bestimmtes Wirknetz. Das Merknetz, durch das eine Spezies äußere Reize aufnimmt, und das Wirknetz, durch das sie auf diese Reize reagiert, sind in allen Fällen eng miteinander verknüpft. Sie sind Glieder einer einzigen Kette, die Uexküll den Funktionskreis des Lebewesens nennt. Der Funktionskreis ist beim Menschen nicht nur quantitativ erweitert. Er hat sich auch qualitativ gewandelt. Zwischen dem Merknetz und dem Wirknetz finden wir beim Menschen ein drittes Verbindungsglied, das wir als Symbolnetz oder Symbolsystem bezeichnen können. Diese eigentümliche Leistung verwandelt sein ganzes Dasein. Er lebt sozusagen in einer neuen Dimension der Wirklichkeit." (Cassirer)
Wenn alle Dinge "eine Bedeutung haben", ermöglicht und erfordert es diese ihre gemeinsame Qualität, sie als eine - artikulierte - Gesamtheit aufzufassen, indem die Bedeutung des Einen zur Bedeutung des Andern ins Verhältnis gesetzt wird; so dass idealiter die Bedeutung eines Jeden in den Bedeutungen aller Andern ihre Grenze findet. Die Welt ist dann die Totalität der Verweisungszusammenhänge.
Logisch mag man das Verhältnis umkehren: Indem man die (gedachte) Totalität aller (möglichen) Verweisungen an den Anfang setzt und die tatsächlich stattfindenden Verweisungen und schließlich die je einzeln bestimmt-werdenden Bedeutungen daraus "hervorgehen" lässt. Doch wenn es auch so wäre, daß die Welt, einmal erfunden, gegeben ist wie es die tierischen Umwelten sind - so müsste sie sich ein jedes neu hinzukommendes Individuum doch jedesmal wieder neu aneignen. Und es könnte das mehr oder weniger tun. Wenn ihm das auch am vorgegebenen Material leichter fällt als den abertausenden Generationen vor ihm, die alles erst erfinden mussten - im Prinzip ist es doch "so gut, als ob" er mit dem Bedeuten der Dinge ganz von vorn anfinge.
Und die ‚erste’, elementare Bedeutung ist die Scheidung von Ich und Nichtich. Indem ich ein Anderes "bedeute", bedeute ich ipso facto 'mich’ als das Andere dieses - und jedes andern - Andern. Das Ich ist nur insofern etwas, sagt Fichte, als es mit der Welt in Wechselwirkung steht; logisch und reell. In einer natürlichen Umwelt kann es ein Ich nicht geben. Aber ohne Ich gibt es keine Welt.
Und das regelmäßige wechselseitige Ins-Verhältnis-Setzen von Ich und Welt nennen wir landläufig Vernunft.