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Zum 3. Oktober: Der Spalt

Thorsten

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26. März 2007
Beiträge
1.114
Görlitz, zum Beispiel. Eine geteilte Stadt, luxussanierter Wohnraum auf der deutschen Seite, Armut und der Eindruck, daß niemand sich kümmert, auf der polnischen. Fast scheint es, daß auch in Görlitz der vordem westdeutsche Gedanke von Sauberkeit und Wohlstand angekommen ist - wenn die Stadt auch höchstens von der touristischen Verwertung sanierter Kulturgüter lebt. Der renovierte Wohnraum in der Stadtmitte steht leer, weil ja auch die alten Plattenbauten am Stadtrand saniert wurden - um eben attraktiven Wohnraum zu verschwindend geringen Preisen zu bieten.

Leipzig, zum Beispiel. Leerstehende Häuser können teils nicht verkauft werden, weil Türgriffe (!) und Wascharmaturen unter Denkmalschutz stehen. Damit ist auch keine Sanierung mehr möglich - es muß alles so bleiben, wie es ist. Man behilft sich, indem man Leute dort mietfrei wohnen läßt, die das Haus instandhalten.

Hamburg, zum Beispiel. Günstigen Wohnraum gab es hier nie - Bruchbuden kann man immer noch finden, anmieten und selbst renovieren - nach Vorgabe des Eigentümers, und die Miete ist fünfmal so hoch wie der leipziger Minimalpreis.

München, zum Beispiel. Für den Preis der Monatsmiete eines WG-Zimmers, über zwei Jahre gezahlt, kann man sich in Görlitz schon was kaufen, einen freundlichen Kreditgeber vorausgesetzt.

Niemand wird erwarten, daß zwanzig Jahre nach der Aufhebung der innerdeutschen Grenze die Verhältnisse sich angeglichen hätten: dann wären Görlitz und Leipzig so teuer wie München und Hamburg. Und man wird mir auch sagen können, daß Görlitz eher mit einer Stadt wie Kehl zu vergleichen wäre (wenn überhaupt).

Andererseits muß man fragen, ob einheitliche Verhältnisse 20 Jahre nach der Wiedervereinigung überhaupt wünschenswert sind. Man hätte die durchaus herstellen können; die Gastronomie hat das bereits getan. Eine einfache Portion "Penne arrabiata" kostet im Restaurant mindestens acht Euro, egal ob in Görlitz, Hamburg oder Leipzig, das Hotelzimmer ist in Göttingen sogar günstiger als in Weimar (und selbst Hamburg kann Ost-Preise hier unterbieten).

Langer Rede kurzer Sinn: es ist so hübsch, daß man jetzt dank westdeutscher Diplomatie und Landschaftspflege endlich die unberührte Mark Brandenburg kennenlernen kann. Wie wohlig weh wird dem pommerschen Flüchtlingsenkel, die Erzählungen aus der (freilich verlorenen) Lausitz zu hören - von Schlesien zu schweigen, aber das war ja noch vor DDR-Zeiten.

Und Danzig! Ein Zauberwort. Dahin hilft nun kein Revanchismus zurück, das haben wir westdeutschen Vertriebenen doch begriffen.

Gruß,
Thorsten
 
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AW: Zum 3. Oktober: Der Spalt

Hallo,
ist ja ein interessanter Text zum 3. Oktober der erst der 19. Jahrestag der
Wiedervereinigung (Okkupation) ist und im November ist der 20. Jahrestag
des Mauerfalls. Das sind zwei unterschiedliche Tage in verschiedenen Jahren,
war dabei in Berlin.
Ansonsten wird man wohl was bestimmte Kosten angeht zwischen allen
Bundesländern oder Städten Unterschiede feststellen können, das ist wohl noch
kein Beleg für Wiedervereinigung oder Mauer in den Köpfen, bzw. dass mit
zweierlei Maß gemessen wird.
Hocke im schönen Allgäu und bekomme wenig mit von dem was auf dem
Territorium der DDR passiert, habe jedoch einen Freund der von Bayern nach
Görlitz ausgewandert ist und lebt dort sowohl auf der polnischen als auch auf
der deutschen Seite. Er hat es wegen der zurückhaltenden Art, der
Bescheidenheit und der Genügsamkeit getan. Er war zu Besuch, hat berichtet
und ist in Görlitz sehr zufrieden. Er war lange auf der Suche und ist nun
angekommen. So ist für den einen Görlitz oder Leipzig der Lebensort und für
Andere Hamburg oder München aber mit Mauer in den Köpfen hat das nichts
zu tun, das sind ganz andere Dinge wie ich vermute.

gruß fluuu
 
AW: Zum 3. Oktober: Der Spalt

Daß der Frosch in seinem Teich sitzt, war klar;

Kröten wandern.

Görlitz (Schlesien! Lausitz!! Dem Vertriebenen klingelt es, ohne Ende!) hat allerdings heute was zu bieten, und etwas geht: das Niveau der Gastronomie ist so hoch wie in Weimar (und das will etwas heißen!)

fluu, zum Spalt-Thema haste jetz aber nich viel beigetragen, oder? Daß der Hamburger in Hamburg bleibt wie der Allgäuer im Allgäu - das war vorher klar.

Bleibm wir sitzen, wo wir sind. 9. Oktober? Da hats nicht geregnet, aber unsare Ziegen mußten 'rein. Was redstn 't du?

Is bestens. Red do nix.

S' eh das beste

Th.
 
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AW: Zum 3. Oktober: Der Spalt

Niemand wird erwarten, daß zwanzig Jahre nach der Aufhebung der innerdeutschen Grenze die Verhältnisse sich angeglichen hätten:

im GG steht zwar etwas vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit,
aber aus raumplanerischer Sicht ist eben nur möglich,
daß ausgewählte Städte (System der Zentralen Orte) mit einer bundesweit vergleichbaren Infrastruktur ausgestattet sind
 
AW: Zum 3. Oktober: Der Spalt

Der Spalt,
ein Phänomen das vor allem dann sichtbar wird wenn man ihn immer wieder
zur Wahrnehmung deutlich macht.
Der kalte Krieg war ein Spalt ganz ohne Frage und hat seinen Ursprung in der
Revolution 1917 ausgehend vom Sturm auf den Winterpalast in St. Petersburg,
dort wurden grundsätzlich die Besitzverhältnisse erstmalig auf der Welt
verändert zum Leidwesen aller privat besitzenden Großmächte.
Nun ist dieser Spalt praktisch nicht mehr vorhanden auf der Welt außer in
gewissem Maße in China, Vietnam und Kuba.
Physisch ist der Spalt nicht mehr vorhanden aber psychisch bleibt er nach so
starker Prägung natürlich noch lange zu spüren. Das wird Generationen dauern
bis dieses ursprüngliche Ziel die fortschrittlichste Gesellschaftsform auf der
Welt umzusetzen als gescheitert anerkannt und akzeptiert wird.
Man kann den Spalt für sich selbst überwinden wie bei allen anderen Sachen
auch indem man die Pole zusammenführt, Kompromisse macht, drinnen und
draußen, ost und west miteinander verbindet und somit nicht anklagt sondern
verzeihend versöhnt.

gruß fluuu
 
AW: Zum 3. Oktober: Der Spalt

Scilla: Du bist klasse. Herrn Christaller zu bemühen! Wer wäre ein hamburger Wirtschaftsmagnat (oder, frei nach Thomas Mann, Geld-Magnet) ohne die prinzipielle Geltung dessen was er tut? Wer wäre Günter Grass ohne Walter Christaller?

Wiki schrieb:
In seinem Modell entwickelt sich in idealtypischen, homogenen Räumen eine Struktur zentraler Orte auf unterschiedlichen Hierarchiestufen.

Korallenriffe?

So ähnlich hatte ich Habermas auch verstanden. Bei dem ging es um Demokratie: wie die idealtypisch beschaffen sei, dass jeder sagen darf, was er denkt. Habermas Fehler: Er hat das "Christallersche Gesetz" mißverstanden, demzufolge Wahrheit sich gegen kontrafaktische Behauptungen durchsetzen könne.

Ich gebe zu: Walter Christaller ist ein unbeholfener Vorgänger jenes Strukturalismus, der (Ironie der Geschichte!) für die Theoriedebatte insbesondere der französischen Identitätsreflexion eine so große Rolle gespielt hat - wiewohl Frankreich diese Diskussion anders fundiert und mittlerweile nicht einmal mehr der Beobachtungen eines Claude-Levi Strauss bedarf - auch hier der leicht zu erkennende Unterschied im Selbstverständnis. Wo der Franzose fliegt, muß der Deutsche rechnen. In diesem Sinne: Dank für die Erinnerung an Walter Christaller.
 
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