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Wien bei Tag

Slartibartfass

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Registriert
15. Juli 2004
Beiträge
10
Eines Tages wandelte ich gemächlich durch die Straßen Wiens. Das Wetter war schön. Die Sonne strahlte vom Himmel, als wenn sie einen Preis damit gewinnen könnte. Es war angenehm warm und alle Leute, die einem begegneten, schienen gut gelaunt zu sein, genauso wie ich.

Nun, wie dem auch war, es duftete nicht nach Flieder und Langos, sondern nach Pferdemist und Autoabgasen, weil ich mich nicht im "Wurschtel-Prater" befand, sondern auf dem Stephansplatz. Wo sonst sollte sich ein Wientourist aufhalten. Ich wollte, nachdem ich dem verfallenden Dom meine Referenz erwiesen und das in der Sonne glänzende Haas-Haus eingehend besichtigt hatte, weiter zur Staats-oper, um mich der Hochzeit des Figaros erfreuen zu können. Natürlich hatte ich vor, den Weg zu Fuß zurückzulegen. Schließlich versucht man verzweifelt, etwas von der Stadt und ihren besonderen Reizen mitzubekommen. Da fiel mir auf einmal ein, daß ich als Fremder hier gar nicht wissen konnte, wo sich mein Ziel überhaupt befand und was noch wichtiger war, wie ich dorthin gelangen sollte.

So drehte ich mich erst einmal um die eigene Achse herum, so daß mir ganz schwindlig wurde, und versuchte gleichzeitig, mir ein geeignetes Opfer auszusuchen, das mir behilflich sein konnte, indem es mir möglichst einfach den richtigen Weg beschrieb. Die Lösung des Problems gestaltete sich aber als gar nicht so leicht. Es tummelten sich so viele Leute hier herum: Amerikaner mit Cowboyhüten, korrekt angezogene Deutsche und solche, die es noch werden wollten, Japaner, die Fotoapparate mit Selbstauslöser umge-hängt hatten, aber immer zum Abdrücken bereit waren, Tschechen, Polen, Slowaken und noch viele mehr. Alle möglichen Nationalitäten konnte man unterscheiden, wenn man genau hinsah, doch einen Einheimischen, einen urigen Wiener fand ich zuerst nicht. Hätte ich doch wenigstens einen Stadtplan mitgenommen. Dann wüßte ich zwar nicht, wie ein echter Einheimischer aussehen mußte, aber wenigstens, wohin ich gehörte, zumindest in der Theorie. Doch ich verabsäumte es, einen auf meine Wanderschaft mitzunehmen. Er befand sich im Hotel auf dem braunen Koffer. Dort lag er gut und vergnügte sich mit dem Sonnenhut, der sich gleich daneben niedergelassen hatte, während ich hier aus allen Poren schwitzend dastand und noch immer nicht wußte, wohin ich mich wenden sollte.

Da, auf einmal erblickte ich ihn. Wie hypnotisiert, verzaubert, völlig überwältigt, starrte ich angesichts dieses denkwürdigen Schauspieles meinen Retter in der Not an. Daß ich das noch erleben durfte. Meine Knie wurden butterweich und das Herz rutschte mir fast in die Hose, ließ es aber dann doch bleiben, weil dort kein Platz mehr war.

Ein Wiener, ein Einheimischer, meine erste und letzte Hoffnung! Nachdem ich mich wieder etwas gefaßt hatte - es gehörte sich doch nicht, daß man als Randegger angesichts dieses, ich möchte fast schon sagen, Wunders, so die Kontrolle über sich verlor - eilte ich mit festen Schritten und meinen ganzen Mut aufbringend auf ihn zu, versuchte ihn einzuholen, was mir schließlich auch gelang. Schüchtern - meine Courage war bereits schon fast zur Gänze verbraucht - fragte ich ihn: "Entschuldigen Sie bitte. Könnten Sie mir untertänigst mitteilen, wie ich am besten zur Staatsoper gelangen kann?"

Doch er hörte mich nicht. Er ging mit forschen Schritten weiter, als ob nichts geschehen wäre. Nahm er mich nicht ernst? War ich Luft für ihn? War er taub? Nein, das konnte es alles nicht sein. Ich vermutete zu guter letzt, daß ich nur zu leise gesprochen hatte und startete den zweiten Versuch etwas lauter und mutiger: "Entschuldigen Sie bitte. Besteht die Möglichkeit, daß sie mir den Weg von hier bis zur Staatsoper beschreiben?!"

Wie Aufregend! Er reagierte, und daß, obwohl das Sprichwort lautet, aller guten Dinge sind drei. "Zur Oper wollen Sie? Ha! Nichts einfacher als das. Da gehen Sie bloß hier die Kärntner Straße entlang und riskieren ab und zu einen Blick auf die rechte Seite. Nach ein paar hundert Meter stehen Sie fast direkt vor ihr. Man kann sie gar nicht verfehlen."

Da mischte sich ein Passant ein, der unser Gespräch anscheinend schon seit einiger Zeit belauscht haben mußte, denn er teilte uns nicht ganz ohne Schadenfreude mit: "Sie schicken den Armen in eine völlig falsche Richtung. Sie müssen dort die Rotenturmstraße ein kleines Stück entlang schlendern, dann biegen sie bei der Wollzeile rechts ab, gehen diese bis zum Dr.-Karl-Lueger-Platz entlang. betreten dann die Ringstraße, folgen also dem Parkring, Schubertstraße, Kärntner Ring. Da sind Sie dann fast schon am Ziel. Dort, wo der Kärntner Ring und der Opernring aufeinandertreffen, befindet sich die Staatsoper. Ist doch ganz einfach. Oder?"

Naja, ich hegte bereits leichte Zweifel, ob es wirklich eine so gute Idee war, diese Strecke zu Fuß in Angriff zu nehmen. Es schien doch ein bißchen weiter zu sein, als ich zuerst angenommen hatte. Doch schließlich wollte ich etwas von der Stadt sehen.

Da mischte sich schon der nächste Einheimische ein. Wo kamen die denn alle auf einmal her? "Der arme Mann. Sie schicken ihn ja völlig falsch. Was soll er denn von uns Wienern denken, wenn er da so sinnlos durch die Stadt irrt. Der richtige Weg lautet völlig anders. Passen Sie auf." Er richtete starr den Blick auf mich. Ich blickte eiskalt zurück.

"Es ist nicht ganz einfach. Aber sie werden es schon schaffen. Das sehe ich ihnen an. Das habe ich im Gespür. Gut zu Fuß scheinen Sie auch zu sein, also sicher kein großes Problem für Sie." Meine Augen flackerten leicht.

"Als erstes gehen Sie dort den Graben entlang. Dann wenden Sie sich nach links und folgen dem Kohlmarkt. Darauf biegen sie rechts ab und durchschreiten die Herrengasse, die Schottengasse. Die Währinger Straße bis zum querenden Währinger Gürtel. Dort biegen Sie links ab und gehen denselben entlang. Später heißt diese Straße dann Hernalser Gürtel, Lerchenfelder Gürtel, Neubaugürtel, Mariahilfer Gürtel und schließlich Gumpendorfer Gürtel. Dort biegen Sie dann links in die Linke Wienzeile ab und gehen diese bis zum Getreidemarkt entlang. Sie müssen dann noch ein kleines Stück die Friedrichstraße und die Operngasse entlang, aber dann haben Sie endlich Ihr Ziel erreicht. Aber die Strapazen werden sich lohnen. Vertrauen Sie mir."

Sollte ich das? Irritiert wandte ich den Blick ab und starrte auf den Boden. Jetzt glaubte ich, endgültig verwirrt zu sein und ich war es auch. Oder war das nur Einbildung? Drei Leute, drei verschiedene Wege, einer länger als der andere. Was sollte ich tun? Wem konnte ich trauen? Oder hatten vielleicht alle drei recht? Oder gar keiner? Irgendwie hatte ich von der ganzen Geschichte genug. Mir taten schon vom Gedanken an den weiten Weg die Blasen an den Füßen weh.

Ich beschloß, mich still und heimlich in ein Taxi zu setzen und mich direkt vor meinem Hotel absetzen zu lassen. Dann würde ich mich aufs Ohr hauen und vom Figaro träumen. Das war vermutlich einfacher, als die Strecke zur Staatsoper auf Schusters Rappen in Angriff zu nehmen. Er soll gefälligst wem anderen die Haare schneiden, aber nicht mir.

Eilig und ohne Abschiedsgruß schritt ich davon und stolperte den U-Bahnabgang hinunter. Die drei Wiener starrten mir verärgert nach. Einen hörte ich noch leise sagen: "Diese blöden Touristen wissen auch nie, was sie wollen."
 
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AW: Wien bei Tag

Deine Geschichte, Slartibartfass, hat Realitätswert; ich würde sie aber "Der Durchnittswiener" nennen.

Liebe Grüße

Zeili
 
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