AW: Wie trefft ihr Entscheidungen?
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Ein Beispiel dazu: Die antiautoritäre Erziehung hat einerseits mit vielen althergebrachten Erziehungsmethoden gehörig und zu Recht aufgeräumt, leider wurde das dabei sehr oft mit Laissez-faire verwechselt und dabei die nötige Autorität und die Vorbildwirkung (pos. u. neg.) unterschätzt.
lg
Andreas
Hallo Andreas!
Dein Beispiel von der antiautoritären Erziehung passt mMn genau zum Thema Entscheidungsfindung.
Ich habe meine Kinder antiautoritär erzogen. Das hat mir von Leuten, die mehr der "schwarzen Pädagogik" zugeneigt waren, oft die Beurteilung "laissez faire-Mutter" beschert. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass von außen hauptsächlich die Lebendigkeit und "Frechheit" meiner Kinder erlebt wurde, nicht aber der Prozess dahinter, der zu diesen Ergebnissen führte.
Nachdem antiautoritär eben der krasse Gegensatz zu der noch immer üblichen Erziehungsart "autoritär" war, fiel es natürlich unangenehm auf, dass auf einmal auch Kinder da waren, die ihre Meinung sagten, auch redeten, wenn man sie nicht erst fragte, die also Eigenschaften hatten, die heute als angenehme Manieren gelten.
Die Laissez-faire-Typen gabs natürlich auch, es war ja noch keine geübte Erfahrung mit der neuen Methode vorhanden. Viele wussten nur, dass sie nicht so wie ihre Eltern mit ihren Kindern umgehen wollten, waren dann aber hilflos, wenn sie vor der Entscheidung standen, was sie nun aber tun sollten, um ihre Kinder anzuleiten.
Meine Tochter (jetzt 36 J. und vier eigene Kinder) hat mir vor ca. 10 Jahren "den Kopf gewaschen", weil sie sich von mir überfordert gefühlt hätte. Ich hatte sie in viele Entscheidungen - wie die Wahl ihrer Schullaufbahn oder die Festsetzung von Zeiten, wo sie daheim zu sein hatte - miteinbezogen. Sie meinte, da habe sie ja noch gar nicht ermessen können, welche Folgen das hätte.
Vor fünf Jahren, als sie gerade beim zweiten Kind schwanger war, war ihre Einstellung schon anders. Sie konnte erkennen, dass es immer etwas zu entscheiden gibt, auch wenn man die Folgen nicht überblicken kann. Entscheidungen wirken sich ja nicht auf die Ewigkeit aus, es gibt immer wieder die Möglichkeit, eine neue Entscheidung zu treffen.
Vor drei Wochen hatte ich wieder ein Gespräch mit ihr, in dem sie mir erklärte, sie sei froh, dass ich ihr so viel für ihr Leben mitgegeben habe. Die Zeiten der Überforderung haben ihr auch ermöglicht, dorthin zu schauen (gezwungenermaßen aus ihrer Sicht), wo sie von selbst nicht hinschauen wollte, nämlich die Konsequenzen ihres Handelns selbst kennenzulernen. Jemand anderem Schuld in die Schuhe zu schieben für etwas, das sie selbst getan hat, ist ihr nicht möglich.
Zum Abrunden noch eine Bemerkung: Entscheidungen treffen war aus meiner früheren Sicht etwas schwerwiegendes, vor allem bei der Berufs- bzw. Partnerwahl und dann bei der Kindererziehung. Erst als mir klar wurde, dass jeder Schritt in eine Richtung nur ein Schritt ist, nach dem man auch die Richtung wieder ändern kann, fiel es mir leichter.
In jeder Sekunde meines Lebens habe ich die Möglichkeit, mich wieder neu zu entscheiden. Ich entscheide nicht für die Ewigkeit, sondern dafür, was jetzt im Moment das für mich Richtige ist. Und wenn ich erkennen kann, was ich mit dieser Entscheidung bewirkt habe, kann ich neu entscheiden, wie nun der nächste Schritt auszusehen hat.
herzlich
lilith