• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Auf Thema antworten

Geschichtsschreibung


Wie oft in ihren Beiträgen hat Miriam mal wieder einen Denkimpuls vermittelt.

Ich selbst habe auch so meine Schwierigkeiten mit „objektiv“ und „subjektiv“, denn ihre Verwendung setzte voraus, dass es eine „objektive Wahrheit“ gibt. Und eine subjektive Wahrnehmung und Darstellung, kann durchaus objektiv richtig sein.

Die Geschichtswissenschaft bemüht sich, mit Hilfe von Quellen zu beweisen, „wie es eigentlich gewesen ist“ (Leopold von Ranke). Im Gefolge des Historismus erreichte die deutsche Historiographie dabei weltweite Anerkennung. Das Problem beginnt bei der Quellenbewertung und der -Kritik. Wer schrieb was aus welchem Anlass wann und wo für  wen? Wie bedeutsam ist der Absender, der Adressat? So sind Autobiographien, vor allem Memoiren von Staatsmännern, stets eine – zurückhaltend formuliert – mit Vorsicht zu genießende Quelle, wollen diese sich doch gegenüber der Nachwelt in das beste Licht rücken.

Den Stellenwert einer Quelle richtig einzuordnen ist die genuine Aufgabe der Geschichtsforscher, was sich beispielsweise an der Kontroverse über die Schuldfrage am Ausbruch des Weltkrieges I zeigte, als Fritz Fischer sein Aufsehen erregendes Werk „Griff nach der Weltmacht“ 1953 vorlegte, in dem er die Alleinschuld Deutschlands nachzuweisen versuchte. Die Historikerzunft reagierte überwiegend ablehnen. Fischer habe z.B. den Einfluss des „Alldeutschen Verbandes“, der allerdings chauvinistische Pamphlete verfasste, maßlos überschätzt und andererseits Dokumente revanchistischer Kreise in Frankreich in seiner Wertung geradezu sträflich vernachlässigt.

Die Deutung geschichtlicher Vorgänge hängt auch von den Fragen ab, die wir an die Geschichte stellen; es sind heute andere als etwa noch vor  einem halben Jahrhundert. Jetzt stehen Strukturen an Stelle der handelnden Personen („Männer machen Geschichte“ – Heinrich von Treitschke) im Vordergrund, obwohl das Pendel auch bereits wieder umzuschlagen scheint.

Noch eine Bemerkung zu den Fälschungen. Sie waren im Mittelalter üblich und ihre Urheber, die bestimmten Interessen dienten, hoch geachtet. Die berühmteste ist die angebliche „Konstantinische Schenkung“, nach der Kaiser Konstantin (280-337) dem Papst eine Vormachtstellung gegenüber den weltlichen Herrschern bescheinigt. – Und, kommt jemand aus Hamburg? Der stolze Titel „Freie und Hansestadt“ fußt auf einer Kaiserurkunde von 1189. Sie wurde verfasst nicht in der kaiserlichen Kanzlei sondern – im Hamburger Rathaus. Und so ist der Verfassungsname dieses Bundeslandes eine Fälschung.

Fazit, um Miriams wichtigste Frage zu beantworten: Es gibt keine Kriterien für eine objektive Geschichtsschreibung, wir können Geschichte stets nur multiperspektivisch verstehen, und nur  näherungsweise zu zeitweiligen „Wahrheiten“ kommen, aber nicht zu der absoluten, was schon Lessings Nathan wusste.

Doch, um mich nicht in Widerspruch zu meinem eigenen Schlußzitat zu setzen: Lernen kann man schon aus der Geschichte, z.B. dass Menschen stets dazu neigen, Vorgänge bewusst oder fahrlässig in ihrem „erkenntnisleitenden Interesse“ zu deuten.


Zurück
Oben