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was ist "reaktionär"?

Claus

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Registriert
5. August 2005
Beiträge
3.673
Was ist „reaktionär“?

als ich im thread „eine Frage des Gewissens“
für eine Kastration von Wiederholungs-triebtätern zum Schutz potentieller weiterer Opfer
plädiert habe, hat mich jemand als „reaktionär“ bezeichnet.

Nun ist im politischen Sprachgebrauch ein Reationär ein „Rückschrittler“, ein ewig gestriger.
Nach Lexikon jemand, „der die einer revolutionären Bewegung folgende Gegenbewegung zur Wiederherstellung früherer Zusatände“ unterstützt.

Dieses Wort ist negativ belegt. Mir fallen aber einige historische Ereignisse ein, in denen man höchst geteilter Meinung sein kann, ob etwas „reaktionäres“ denn auch schlecht ist.

Nehmen wir die jüngste deutsche Geschichte. Der Beitritt der ostdeutschen Länder zur BRD wurde auch als „reaktionäre Bestrebung zur Restauration des Kapitalismus“ angesehen.

Oder in der Französischen Revolution:
Der Sturz der Jakobinerherrschaft, die nachfolgenden Rehabilitationen der Adelsvertreter und die Wiedereinführung des Christentums durch Napoleon waren reaktionär, aber waren sie schlechter als die „Herrschaft der Blutsäufer“?

Die islamische Revolution im Iran, war sie fortschrittlich oder reaktionär?

Der Dalai Lama, der sich im Westen liberal gibt, aber in Tibet wieder das System der Dominanz der Klöster und den Rückfall der Bevölkerung in dumpfe Religiösität einführen möchte, wie es in früheren Jahrhunderten bestanden hat,
ist er ein Reaktionär?

Wenn jemand gefordert hat, die derzeitigen Zustände in den Schulen, die geprägt sind von antiautärer Pädagogik,
wieder zu ersetzen durch Ordnung, Disziplin, Lerneifer
wurde er bis jetzt als reaktionär angesehen. Hier scheint ein sinneswandel einzutreten, der Reaktionär wird wieder salonfähig.

Also ich meine:
Nicht alles neue ist besser als das alte,
die Herstellung früherer Zustände kann durchaus von Vorteil sein.

Claus
 
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Wenn in D oder Ö jemand die Monarchie wieder einführen will,
ich bin sicher,
fast alle nennen ihn einen Reaktionär.

In Spanien hat (fast) das ganze Volk die Wiedereinführung der Monarchie begrüßt.
Waren die Spanier reaktionär?

fragt Claus
 
Claus, ich würde dem Begriff "reaktionär" gar keine moralische Kategorie zuordnen, sondern eher als eine Kampfhaltung im Sinne von Konter.

Später mehr - date.

Liebe Grüße

Zeili
 
als ich im thread „eine Frage des Gewissens“
für eine Kastration von Wiederholungs-triebtätern zum Schutz potentieller weiterer Opfer
plädiert habe, hat mich jemand als „reaktionär“ bezeichnet.

das war freundlich ausgedrückt
 
Hallo Claus !

Während des Schreibens meines ersten Beitrages (Nr. 4) musste ich weg, darum war ich so kurz angebunden, pardon.

Also ich meine:
Nicht alles neue ist besser als das alte,
die Herstellung früherer Zustände kann durchaus von Vorteil sein.
Also das würde ich auf jeden Fall mittragen. Wie bereits erwähnt, das Wort reaktionär wird natürlich von der Gegenseite der Politik als negativ hingestellt, vielleicht weil der "Reaktionäre" keine Aktion setzt, nicht agiert, sondern eben "nur" reagiert; als moralische Kategorie kann das mMn schon deswegen nicht halten, weil man ja auch unmoralisch agieren kann. Das Synonym für (fanatisch) rückschrittlich - wenn man sich eben gegen jeden Fortschritt stellt - ist mMn ultrakonservativ bzw. orthodox.

Also zusammengefasst, ich finde reaktionär an sich auch nicht als böse; böse wird es erst, wenn man überreagiert, also unverhältnismäßig, wenn z.B. eine Staatsgewalt auf eine friedliche Demonstration mit scharfen Gewehrkugeln reagiert.

Freundliche Grüße

Zeili
 
Zuletzt bearbeitet:
"reaktionär" ist ...

... in erster linie ein totschlagsargument.

mit hilfe dieses begriffs lassen sich diskutanten in eine ecke drängen aus denen sie sich häufig nur schwer befreien können, ohne zurückzurudern und ihre überlegenen argumente (bei anderen sind totschlsagsargumente kaum nötig) so weit zu verwässern, daß die eigentliche intention verloren geht.

die negative belegung des begriffs ist eigentlich daneben. auch ein "rückschritt" kann ein fortschritt sein, z.b. wenn sich ein politisches system verrant hat.


manchmalreaktionärerweise
dex
 
Glückwunsch Claus, gutes Thema

In der politischen Semantik bedeutet das Wort "reaktionär" natürlich rückschrittlich, mindestens fortschrittsfeindlich und wird entsprechend - auch missbräuchlich - genutzt.

Mir scheint, das Hinlängliche dazu ist bereits in den Beiträgen gesagt. Wie schwer es ist, einzuordnen was "reaktionär" ist, zeigen Wahlkampfparolen der letzten 50 Jahre in der BRD. Man möge mal versuchen, diese mehr der rechten (also gemeinhin koservativ-oder gar rückschrittlich) oder linken (gleichgesetzt mit fortschrittlich) Seite zuzuordnen.
1. Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land
2. Weg mit den alten Zöpfen
3. Es geht um Deutschland
4. Weiter so Deutschland
5. Du bist gemeint
6. Auf den Kanzler kommt es an
7. Sie können Deutschland verändern
8. Damit es weiter aufwärts geht
9. Bewahrung der Schöpfung

Wenn gewünscht, gebe ich gern die Auflösung.

Ziesemann
 
Nicht jeder vermeintliche Fortschritt und nicht alles Neue ist gut oder unterstützenswert. Doch der Rückzug auf das Bisherige oder das Alte ist es auch nicht.

Gefragt sind, ganz im Sinne von These – Antithese – Synthese, Lösungen, die eine Weiterentwicklung und ein objektives Verbessern zum Ziel haben.

Das hat der Reaktionär nicht, denn er will nicht ändern, auch nicht verbessern, sondern wieder zurück zu alten Lösungen.

Auch der Fortschritt erfüllt diese Forderung nicht immer und bedarf daher der Auseinandersetzung.

Diese Auseinandersetzung sollte jedoch nicht wieder zu alten Zuständen führen, da es immer Lösungen gibt, die einen alten Zustand noch besser machen können.

Aus diesem Grunde sehe ich den Reaktionär als einen an, der sich gegen die Veränderung stellt und sich auf alte Lösungen beruft.

Daraus folgt aber auch, dass derjenige kein Reaktionär ist, der zwar auf einem alten Zustand aufbaut, sich aber an neuen Lösungen orientiert und bereit ist hier Veränderungen herbeizuführen, die zur Verbesserung führen.

Zwangskastration verdient nach meiner Ansicht auch die Bezeichnung "reaktionär" nicht, sondern befindet sich auf einem ganz anderen Level.
 
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Themabewertung

Ich würde zu gern mal wissen, wie diese niedrige Bewertung mit ** zustande kommt. - Das Thema ist doch hochaktuell, weil der Begriff permanent im pejorativen Sinne gebraucht wird. Und dauernd fallen mir neue Beispiele ein: Wenn gefordert wird, dass Mann und/oder Frau wenigstens vorübergehend mal auf Karriere und/oder Einkommen verzichten sollen, um Nachwuchs zu bekommen, ist das dann reaktionär oder im Sinne der Demos-Bestandserhaltung für Sicherung von Renten, Gesundheit usw. höchst fortschrittlich?! Jedenfalls haben junge Völker, der Zukunft und damit dem Fortschritt zugewandt viele Kinder - vielleicht zu viel, may be.

Ziesemann
 
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