AW: Was ist die Wahrheit?
Man kann natürlich fragen, ob die institutionelle Moral nicht schon mit Jesus weggebrochen ist. Denn Jesus Kritik des tradierten Gesetzes betraf ja die institutionelle Moral.
Die Frage lässt sich verneinen mit dem Hinweis auf das Jesus-Zitat: Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz aufzuheben, sondern um zu es erfüllen. Der augenscheinliche Widerspruch durch Nichtbeachtung von Vorschriften lässt sich lösen mit Hinweis auf das Doppelgebot.
Gott stellt mit Jesus den Menschen in den Mittelpunkt. Das ist sicherlich die zentrale Botschaft der Menschwerdung: Gott liebt den Nächsten. Damit denkt Jesus prinzipiell. Er denkt das Gesetz von oben her. Alles Nachrangige steht nicht über dem Gesetz, sondern ist ihm unterstellt. Was das erste und zweite Gebot fordern, darf nicht durch das dritte Gebot aufgehoben werden.
Jesus hat damit die ursprüngliche Struktur der institutionellen Moral wieder hergestellt. Diese bildet in seiner Ethik den Rahmen für die persönliche Verantwortung. Persönliche Verantwortung fordert schon das erste Gebot durch eine persönliche Bindung an Gott als den Inbegriff des Guten. Ihm ist der Mensch in seinem Herzen verantwortlich. Er verpflichtet den Menschen zur Barmherzigkeit, zum Ausgleich und zum Frieden. Die Kirche als Trägerin einer institutionellen Moral sollte sich auf Jesus Personalismus auch in der Moraltheologie sowie im Kirchenrecht immer wieder neu besinnen.
Für die Rechtsphilosophie folgt daraus, dass Jesus gegenüber dem formalen, das materielle Recht einfordert, ein Gesetzesverständnis, das nicht vom Buchstaben, sondern vom Geist des Gesetzes ausgeht, um subsidiar Konflikte so früh wie möglich zu regeln und eine Eskalation zu verhindern.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen, lieber Manfredo,
aber auch allen anderen Mitgliedern dieses Forums
Frohe, gesegnete Weihnachten
Christoph Overkott