Also das sollte doch wirklich Philosophiegrundkurs 1.01 sein. Ob ich leide oder ein anderer leidet läuft doch auf das selbe hinaus. Es gibt ein mal mehr Leiden auf der Welt. Also sollte das Mitleid und Mitgefühl mit allen Menschen doch selbstverständlich sein. Auf nichts anderes läuft diese Forderung doch hinaus.
In der christlich-abendländischen Kultur gibt es doch schon lange den Sozialstaat. Hierzulande muss niemand verhungern, der es nicht drauf anlegt. Natürlich gibt es immer noch viel zu viele Obdachlose, aber was oft ausgeblendet wird: Es gibt Leute, die wollen keine staatliche Hilfe und leben freiwillig auf der Straße. Ich kannte schon mehrere Leute persönlich, die zumindest temporär so leben wollten und sie waren dabei nicht unglücklich.
Auch dies hat sich in unserer Kultur längst darin manifestiert, dass wir selbst den schlimmsten Schwerverbrechern die Menschenwürde nicht aberkennen. Selbst Leute, die so schlimme Dinge getan haben, dass sie es eigentlich verdient hätten, für den Rest ihres Lebens schlecht behandelt zu werden, werden dennoch in der Haft menschenwürdig behandelt. Dieses Verhalten seitens des Staates (und es kommt beileibe selten vor, dass ich unseren Staat verteidige) ist keineswegs offenkundig und selbstverständlich. Es konnte nur auf der Basis der christlichen Lehre entstehen.
Davon abgesehen betrachte ich die Feindesliebe eher als ein philosophisches Ideal. Denn: Wenn ich selbst denen, die mich hassen, diesen Hass nicht übel nehme, dann bin ich in gewisser Weise unangreifbar. Ich bin mittlerweile eigentlich ganz gut darin, nichts mehr persönlich zu nehmen. Wie ich das genau anstelle, kann ich gar nicht beschreiben, aber es funktioniert tatsächlich.
Hier muss ich ausnahmsweise kurz auf die aktuellen Ereignisse eingehen, um dich im ganz praktischen Sinne zu widerlegen. Denn ich habe von Anfang an festgestellt, dass unter den Maßnahmen-Kritikern überproportional viele spirituell/religiöse Menschen und besonders viele bekennende Christen sind. Bodo Schiffmann und Samuel Eckert sind nur die prominentesten Beispiele, man sieht es auch, wenn man die Kommentarspalten unter Maßnahmen-kritischen Videos liest und wenn man Interviews mit Skeptikern auf der Straße sieht. In vielen Freikirchen werden in den Predigten die Politiker ermahnt, mit den Maßnahmen nicht zu weit zu gehen. Natürlich ist mir bekannt, dass die Bibel lehrt, der Obrigkeit zu gehorchen. Jedoch gilt dies nicht mehr, wenn die Obrigkeit sich unchristlich oder gar antichristlich verhält. Und das Wegsperren der Bevölkerung und das Reduzieren des Menschen auf eine potentielle Virenschleuder ist wohl alles andere als christlich. Jedoch will ich mit diesem Seitenhieb auf keinen Fall eine Covidisierung dieses Threads heraufbeschwören, deshalb ist dies wirklich nur als eine hochaktuelle Widerlegung deiner Behauptung bezüglich der Obrigkeitshörigkeit der Christen zu verstehen.
Ich kenne sie doch.
Nein, das sehe ich nicht so.
Natürlich sind es hochgeschraubte Ideale. Aber man kann sie als Orientierung nutzen. Und wie gesagt, ich denke mir, dass Einrichtungen wie der Sozialstaat und die menschenwürdige Behandlung selbst von Schwerkriminellen auf dem Boden der christlichen Philosophie entstanden sind.