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AW: Wahrheit - kann, soll, darf muß man sie immer sagen?


Zurecht moniert Marianne (es wäre schön, wenn sie auch fürderhin auf persönliche Invektiven verzichten würde), daß ich Wahrheit undefinierbar ließ.

Ich versuche es:

Wahr ist eine Aussage, bei der das Gegenteil objektiv unmöglich gleichzeitig Gültigkeit haben kann. Das Ergebnis „X“ kann nicht gleichzeitig 1 oder 2 sein.

Völlig daneben ist die Annahme, ich würde unter Wahrheit nur „historische Faktengenauigkeit“ verstehen, die zwar auch, aber nicht nur die. Im gesamten Bereich der sog. exakten Wissenschaften – zu denen die Philosophie nicht zählt – haben wir allgemein anerkannte Wahrheiten, die freilich wie alle immer nur vorläufige sein können. – Beispiel: Nicht zuletzt in diesem DF habe ich gelernt: Wenn etwas geradezu tausendfach bewiesen ist, dann ist es die Evolutionstheorie, gegen die nicht einmal ansatzweise ein Gegenbeweis angetreten werden konnte und Glaubensthesen sind keine Beweise.

Eine Aussage gilt als wahr, wenn sie verifiziert werden kann, d.h. jeder Verständige kommt zum selben Ergebnis, wenn er mit denselben nachprüfbaren Methoden zum selben Ergebnis kommt. Doch der Verifikation bedarf es nach Popper nicht einmal, für ihn gilt die Falsifizierbarkeit. Sie, die Aussage, gilt so lange als wahr, wie sie nicht falsifiziert worden ist. Zum Beispiel für Robin: Niemand hat bis jetzt falsifiziert, daß Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg am 2. August 1934 gestorben ist; dazu gibt es Sterbeurkunde und Zeugenaussagen (Verifikation).

Im Bereich der Ethik und Moral (beide Begriffe sind schwer zu unterscheiden und deshalb taten wir es bisher wohl nicht) existieren moralische Werte, die sich dieser Falsifizierbarkeit entziehen. Nehmen wir als Beispiel die Menschenwürde. Sie ist nach Art. 1 der deutschen Verfassung „unantastbar“. Sie ist der absolut oberste Wert schlechthin und gilt für jeden Menschen  ab Geburt. Doch selbstverständlich kann niemand „beweisen“, daß ein neugeborenes, hilflos schreiendes Bündel Mensch bereits Würde besitzt. Es handelt sich bei diesem Begriff um eine wertsetzende Grundentscheidung, die für die meisten vorpositiver Art ist, also im Naturrecht wurzelt. „Würde ist eine nicht interpretierte These“ (Th. Heuß). Das Gerüst ethischer Wertsetzungen, warum ist  es z.B. – außer in Notwehrsituationen - moralischer, einen Menschen leben zu lassen statt ihn zu töten. Das ist – sofern man nicht an einen lohnenden/strafenden Gott glaubt - nicht mehr begründbar. Das ist eine voraussetzungslose These.

Wenn ich nicht wieder des zu großen Wortreichtums geziehen würde, hätte ich gern zu Mariannes Schulklassenbeispiel etwas gesagt. Das Experiment habe ich als blutjunger Lehrer vor einem halben Jahrhundert mit selbiger Erkenntnis gemacht, und sie ist – pardon verehrte Marianne – ein alter, um nicht zu sagen uralter Schlapphut schon aus fernen Jahrtausenden.

Lieber Robin, wenn Du gleich gesagt hättest, daß Du den Selektionsbegriff der Evolutionstheorie entnimmst, hätte ich Dich sofort verstanden. Aber Deiner Schlußfolgerung widerspreche ich gerade deswegen: Die Entscheidung, keine Kinder kriegen zu wollen, führt evolutorisch in eine baldige Sackgasse, ist also eine gegen das Naturgesetz des Lebens und Überlebens (der Genen). Und insofern – wie ich an anderer Stelle mehrfach dargelegt habe – als alle egal ob mit oder ohne Kinder, im Alter von den heutigen Kindern leben, ist ihre bewußte und gewollte Entscheidung zur Kinderlosigkeit eine negativ moralische, nämlich eine Unmoral. (Bitte beachte Robin, daß ich nur von den Menschen mit Entscheidungsfreiheit spreche, natürlich nicht von Zeugungs- und Gebärunfähigen.)

Natürlich kann man Kinderkriegen nicht zum Gesetz erheben; aber die Gesellschaft kann mit ihrem Handlungsorgan Staat das Kinderkriegen fördern: Kindergeld, Elterngeld, Kitas, drastische Steuervorteile (alles nur zu Lasten der Kinderlosen, versteht sich) Anhebung des sozialen Status der „Nur-Mutter“ etwa durch hohe Rentenansprüche usw. usf.

Abschließend: Mir scheint Robin, daß wir vor allem terminologisch auseinander lagen (und noch liegen?). Was Du das Konstrukt der Wahrheit durch evolutorische Selektion nennst, bezeichne ich schlichter als zeitgeistbedingt und stets nur als vorläufig. Aber ist es nicht so, daß wir eine zunehmende Kongruenz – wenngleich diese niemals deckungsgleich sein wird, das wäre göttlich - der Erkenntnis und des objektiven Seins  erreichen? Denn immerhin sind wir nicht mehr wie die Germanen der Überzeugung, daß es der hammerschwingende, durch die Wolken reitende Thor ist, der die Blitze erzeugt.

Grüß Dich - Ziesemann


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