Corsario
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Der STERN brachte unlängst eine lange, gedankenvolle Titelgeschichte über das "Verschwinden der Kindheit" aus unsern Städten, Dörfern, Wälder, Felder und Fluren, dem alle erdenkliche Beachtung im öffentlichen Diskurs zu wünschen ist.
Das Bild, das sich die Menschen vom Kindesalter gemacht haben, hat sich im Laufe unserer Geschichte immer wieder gewandelt. Aber nicht immer stetig und Schrittchen für Schrittchen. Es gab eine Zäsur. Der Begriff "das Kind" ist eine Schöpfung der Moderne. Vorher gab es nicht einmal das Wort. Im Mittelhochdeutschen bezeichnet "daz kint" ein Verwandtschaftsverhältnis und hat mit dem Lebensalter gar nichts zu tun. Dann – etwa in Wolfram von Eschenbachs Parsifal –heißt "kint" ein jeder, der jünger ist als der andere, auch wenn er dreißig, vierzig ist.
Aber nicht das Bild des KINDES ist durch die moderne, bürgerliche Gesellschaft zunächst neu entworfen worden. Es ist ein Gegenbild zu dem ERWACHSENEN. Das ist der arbeitsame, um seinen Erfolg im Leben ernstlich besorgte, eigenverantwortliche Berufsmensch. Kind ist, wer noch nicht erwachsen ist. Zunächst eine negative Bestimmung. Eine positive Bedeutung kommt mit Rousseau und den Romantikern hinzu: Das Kind ist auch das, was der Erwachsene nicht mehr ist – und vermisst.
Seither wird über Kinder unter doppeltem Vorzeichen gesprochen: Es soll werden, wie die Erwachsenen sind. Und es soll sein können, was es selber ist – den Erwachsenen würde sonst was fehlen in ihrem Leben. Der erste Standpunkt ist der von Industrie, Erwerbswelt und Polizei. Der zweiten Meinung neigen die privaten Alltagsmenschen zu, Eltern, Onkels und Tanten und die Nachbarn.
Eine perfide Mittelstellung nimmt der Pädagogenstand ein, der aus der bürgerlichen Gesellschaft "erwachsen" ist: Das Kind soll sein, wie es ist, damit er es so machen kann, wie die Erwachsenen sind; und dabei seinen Lebensunterhalt verdienen. Je mehr er die Kinder infantilisiert, in seinen Anstalten von der Welt isoliert, behütet und entmächtigt, umso sicherer kann er die steuerzahlenden Erwachsenen von seiner Unverzichtbarkeit überzeugen. Die Erwerbspädagogen haben sich inzwischen selbst den Eltern als ihre Zensoren und Wegweiser aufgedrängt und sich zum Vorbild aufgeworfen: Einen "Führerschein für Eltern" fordert Klaus Hurrelmann – zertifiziert von erwerbsmäßigen Pädagogen, von wem sonst? Dass die Explosion der pädagogischen Berufe in den siebziger Jahren im Zeichen der Antiautorität ihren Anfang nahm, macht die Perfidie sinnfällig. Die Folgen beschreibt der "Stern" in starken Farben.
Aber die Geschichte hat ihre eigenen Ironien. Denn diese Folgen widersprechen inzwischen nicht nur dem gesunden Verstand und der Menschenliebe der Alltagsleute. Auch die – computerisierte – Industrie und das Erwerbsleben brauchen heute immer weniger den räsonierenden, vorsichtig den Vorteil berechnenden und gesellschaftlich korrekten Sachbearbeiter, sondern – wieder – den frohen, neugierigen, wagemutigen Eroberer, der zum Unternehmer taugt, weil er als Kind die Freuden des Unternehmens kennen gelernt hat. Nicht die weitere, womöglich ganztägige Verschulung, sondern die Entpädagogisierung der Kindheit ist daher das GEBOT DER ZEIT.
mehr unter:
http://www.jochen-ebmeier.de/Pädagogik
Das Bild, das sich die Menschen vom Kindesalter gemacht haben, hat sich im Laufe unserer Geschichte immer wieder gewandelt. Aber nicht immer stetig und Schrittchen für Schrittchen. Es gab eine Zäsur. Der Begriff "das Kind" ist eine Schöpfung der Moderne. Vorher gab es nicht einmal das Wort. Im Mittelhochdeutschen bezeichnet "daz kint" ein Verwandtschaftsverhältnis und hat mit dem Lebensalter gar nichts zu tun. Dann – etwa in Wolfram von Eschenbachs Parsifal –heißt "kint" ein jeder, der jünger ist als der andere, auch wenn er dreißig, vierzig ist.
Aber nicht das Bild des KINDES ist durch die moderne, bürgerliche Gesellschaft zunächst neu entworfen worden. Es ist ein Gegenbild zu dem ERWACHSENEN. Das ist der arbeitsame, um seinen Erfolg im Leben ernstlich besorgte, eigenverantwortliche Berufsmensch. Kind ist, wer noch nicht erwachsen ist. Zunächst eine negative Bestimmung. Eine positive Bedeutung kommt mit Rousseau und den Romantikern hinzu: Das Kind ist auch das, was der Erwachsene nicht mehr ist – und vermisst.
Seither wird über Kinder unter doppeltem Vorzeichen gesprochen: Es soll werden, wie die Erwachsenen sind. Und es soll sein können, was es selber ist – den Erwachsenen würde sonst was fehlen in ihrem Leben. Der erste Standpunkt ist der von Industrie, Erwerbswelt und Polizei. Der zweiten Meinung neigen die privaten Alltagsmenschen zu, Eltern, Onkels und Tanten und die Nachbarn.
Eine perfide Mittelstellung nimmt der Pädagogenstand ein, der aus der bürgerlichen Gesellschaft "erwachsen" ist: Das Kind soll sein, wie es ist, damit er es so machen kann, wie die Erwachsenen sind; und dabei seinen Lebensunterhalt verdienen. Je mehr er die Kinder infantilisiert, in seinen Anstalten von der Welt isoliert, behütet und entmächtigt, umso sicherer kann er die steuerzahlenden Erwachsenen von seiner Unverzichtbarkeit überzeugen. Die Erwerbspädagogen haben sich inzwischen selbst den Eltern als ihre Zensoren und Wegweiser aufgedrängt und sich zum Vorbild aufgeworfen: Einen "Führerschein für Eltern" fordert Klaus Hurrelmann – zertifiziert von erwerbsmäßigen Pädagogen, von wem sonst? Dass die Explosion der pädagogischen Berufe in den siebziger Jahren im Zeichen der Antiautorität ihren Anfang nahm, macht die Perfidie sinnfällig. Die Folgen beschreibt der "Stern" in starken Farben.
Aber die Geschichte hat ihre eigenen Ironien. Denn diese Folgen widersprechen inzwischen nicht nur dem gesunden Verstand und der Menschenliebe der Alltagsleute. Auch die – computerisierte – Industrie und das Erwerbsleben brauchen heute immer weniger den räsonierenden, vorsichtig den Vorteil berechnenden und gesellschaftlich korrekten Sachbearbeiter, sondern – wieder – den frohen, neugierigen, wagemutigen Eroberer, der zum Unternehmer taugt, weil er als Kind die Freuden des Unternehmens kennen gelernt hat. Nicht die weitere, womöglich ganztägige Verschulung, sondern die Entpädagogisierung der Kindheit ist daher das GEBOT DER ZEIT.
mehr unter:
http://www.jochen-ebmeier.de/Pädagogik