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AW: Unser Recht zu sterben...


Hallo Benjamin, Hallo Eule.


Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich ganz sicher nicht psychische Krankheiten herabwerte- ich selber bin sowohl selbst von Angstzuständen und leichten Depressionen betroffen und habe eine gute Freundin, die an Magersucht erkrankt war und sich zeitweise in einem äußerst ernsthaften, bedrohlichen Zustand befand.

Außerdem habe ich in der Psychiatrie eine Menge von psychisch Kranken kennen und schätzen gelernt.



Die Äußerung mit dem „ einfach am Riemen reißen“ nehme ich zurück und möchte mich, für den Fall, dass ich jemanden zu nahe getreten bin, in aller Form entschuldigen.


Als ich das schrieb, habe ich an meinen Zimmernachbarn in der Klinik gedacht, der seine Depressionen geradezu kultiviert hatte und sie auch auskostete und sogar als Druckmittel benutzte.

In der Tat wäre es schlimm, wenn Eltern sich so verhalten würden- aber ich gebe zu, dass ich die ernsthaft an Depressionen  erkrankten Menschen, die es nicht mehr schaffen, gegen die Krankheit anzukämpfen, außer Acht gelassen habe.


Dennoch bereitet es mir Bauchschmerzen, ihnen (und ich spreche jetzt wirklich von den PSYCHISCH kranken und PHYSISCH gesunden Menschen) es freigestellt zu lassen, ob sie in eine Klinik gehen oder nicht.

Warum ein Recht zu sterben, wenn körperlich kein Grund dazu da ist? 

Es gibt heute so viele Möglichkeiten Depressionen zu behandeln. Viele Menschen wissen gar nicht, dass das, was sie haben behandelbar ist (natürlich gibt es keine Erfolgsgarantie).

Wie viele Menschen bringen sich um, weil sie keine Hoffnung mehr haben ohne alles, was ihnen hätte helfen können, ausprobiert zu haben?

Und wenn ich mich sowieso töten will- warum probiere ich nicht dann erst einmal einen eventuellen Weg, um ins Leben zurückkehren zu können?

Ich habe doch ohnehin nichts zu verlieren.


Meine ehemals magersüchtige Freundin wollte auch erst nicht in die Klinik- auch sie wurde gegen ihren Willen von ihren Eltern dorthin geschickt.

Heute ist sie gesund- was wäre, wenn man ihr ihren Willen gelassen hätte? Ihr Recht auf Selbstbestimmung?

Es gibt Momente, in denen jeder von uns von Krankheiten psychischer Natur getroffen werden kann, die es erforderlich machen, dass wir unsere seelische Gesundheit in die Hände anderer legen müssen, da wir selbst den Überblick verloren haben.




Wenn ein Schwerdepressiver sich entschließt, sich das Leben zu nehmen, so tut er das aufgrund einer Weltsicht, die durch eine Krankheit beeinflusst wird, die sowohl psychische als auch körperliche und genetische Ursachen hat.

Und meiner Meinung nach, darf es nicht sein, dass ein Mensch aufgrund einer Krankheit eine solch fundamentale Entscheidung trifft. Dazu benötigt er, wie ich es nannte, einen objektiven Überblick über sein Leben. Den hat er, meiner Ansicht nach in diesem Moment seiner Krankheit nicht vollständig.


Versteh mich nicht falsch: Ich spreche auf keinen Fall psychisch kranken Menschen die Denkfähigkeit ab, im Gegenteil, psychisch kranke Menschen denken oft mehr über die Dinge nach als psychisch Gesunde. Doch ich glaube, dass ihre Sicht auf das Leben durch ihre Krankheit verdunkelt ist.




Leid ist subjektiv immer schmerzhaft. Mir geht es aber um die objektive Betrachtung- mit objektiv meine ich die Betrachtung der äußerlich sichtbaren Auswirkungen des Leidens.

Das Depressionen Leid verursachen bezweifel ich gar nicht.

Und ich will auch keine Bewertungsskala aufstellen, welches Leid größer ist.



Ich weiß wie es ist, nachts wach zu liegen, keinen Sinn mehr im Leben zu sehen, eine innere Leere zu fühlen und das Gefühl zu haben, von einer Mauer umgeben zu sein, die keiner überwinden kann.

Ich denke, das ist eine Auswirkung meiner leichten Depressionen. Und auch wenn ich nicht an Selbstmord gedacht habe, so könnt ihr mir glauben, habe ich unter diesem Gefühl gelitten.

Und dennoch glaube ich auch dann noch: Einem Menschen mit Gehirntumor geht es wesentlich schlechter als mir- objektiv gesehen. Denn anders als die Depression (wenn man die freiwillige Selbsttötung ausklammert, die sie bewirken kann), die zwar großes Leid verursacht aber an sich nicht tödlich ist, bedeutet der Gehirntumor eine akute Lebensgefahr.

Somit glaube ich durchaus, zwischen psychischem und physischem Leid unterscheiden zu können, OHNE, dass möchte ich immer wieder betonen, den Leidensdruck und die Gefahr, die von psychischen Krankheiten ausgeht, herunterreden zu wollen- ein psychisch Kranker benötigt dringend Hilfe.


Aber es gibt, und dabei bleibe ich, keinen Grund, dem Wunsch eines psychisch Kranken, seinem Leben ein Ende zu setzen, nachzukommen.

Im Gegenteil: Die Gesellschaft ist verpflichtet, diesem Menschen zu helfen.

Und Hilfe bedeutet nicht, dass ich in falschverstandener Toleranz zusehe, wie er sich zu Grunde richtet.


Im Internet gibt es seit einiger Zeit eine Bewegung, die sich Pro-Ana nennt. Dabei handelt es sich um essgestörte (meistens) Mädchen, die sich gegenseitig dazu aufstacheln, noch mehr abzunehmen und die den Standpunkt vertreten, ihr Körper gehört ja ihnen und deshalb dürfen sie sich, wenn sie das wollen zu Tode hungern, es ist ja ihre Sache. Dabei sind diese Mädchen so geblendet in ihrem Schönheitswahn.

Sie können auch nicht anders. Wenn man sie aber einweist, bestehet eine Chance zur Heilung. Dazu wären diese Mädchen nie freiwillig bereit- was also tun?

Ihnen ihr Recht zugestehen sich zu Tode zu hungern?

Wohl kaum. Genauso ist es mit Depressionen.


Es ist schon schlimm genug, dass Menschen durch physische Krankheiten sterben- aber es darf nicht sein, dass man zulässt, dass Menschen sich im Wahn selbst das Leben

nehmen.





Das der, der die Schmerzen selbst erfährt derjenige ist, der als einziger annähernd objektiv entscheiden kann sehe ich anders- er weiß sicherlich am besten, wie sich diese Schmerzen anfühlen- aber wie sie medizinisch zu beurteilen sind, welche Heilungschancen bestehen, also das, was Objektivität gerade ausmacht, das weiß, mMn der Arzt aufgrund seiner Ausbildung und seiner Erfahrung besser.


Im Übrigen besteht in meinen Augen ein Unterschied zwischen Sterbenden, Depressiven und Geisteskranken.

Die Sterbenden möchte ich hier einmal ausklammern- ihr Recht ihrem Leben ein Ende zu setzen ist ein anderes und noch viel komplexeres Thema, das ich nicht mit dem Thema Zwangseinweisung vermischen möchte.

Insofern bezieht sich meine oben gemachte Aussage auch hauptsächlich auf psychisch Kranke.


Was beispielsweise ist mit Menschen, die zwischen depressiven und übermotivierten Phasen schwanken? Die an einem Tag voller Lebensdrang sind und am nächsten von der nächst besten Brücke springen wollen?

Was, wenn sie sich in einer depressiven Phase umbringen wollen? Muss man das dann akzeptieren, obwohl man weiß, dass sie es am nächsten Tag wieder bereut hätten?





In diesem Zusammenhang würde mich interessieren: Was denkst du, mit deiner Erfahrung, zu dem Thema Zwangseinweisung und zum Recht zu sterben?Wenn du von „Schüben“ sprichst, heißt das dann, dass du zu einem anderen Zeitpunkt das ganze anders siehst?

Wenn das so wäre, wäre es dann, deiner Ansicht nach nicht verheerend, einem Menschen, der sich in einer depressiven Phase befindet sich einfach selbst zu überlassen? Müsste man ihm dann nicht unter die Arme greifen, wohlwissend, dass, auch wenn er sich momentan dagegen sträubt er später einmal dankbar sein wird?

Die Fragen meine ich jetzt ernst, nicht rethorisch oder so.






Ein schwierige Frage- aber ich glaube, dass es für das Kind besser ist einen lebenden Vater zu haben, auch wenn er sich in klinischer Behandlung befindet, als mit der Selbsttötung des Vaters fertig werden zu müssen.



Liebe Grüße,

Sunnyboy


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