AW: Unser Recht zu sterben...
Hallo an alle.
Auch ich teile die Ansicht, dass jeder Mensch ein Recht hat, über sein Leben vollständig selbst zu entscheiden- von den normalen Entscheidungen des Alltags ("Mache ich heute Nudeln oder Milchreis?"), die persönliche Entfaltung ("Stehe ich auf Frauen oder Männer?") über die Politik ("Wähle ich die CDU oder die SPD?") bis hin zur existenzielsten aller Fragen: "Will ich noch weiter leben?". In der Tat bedeutet Freiheit und Selbstbestimmung auch, über das eigene Leben zu entscheiden.
Allerdings setzt diese Entscheidung eines voraus: Die Fähigkeit, objektiv entscheiden zu können. Und hier, Benjamin, sehe ich bei dem Beispiel mit der Psychatrie und der Zwangseinweisung ein Problem.
Aus eigener Erfahrung (wenn diese auch bei weitem nicht so drastisch war wie die eines Selbstmordgefährdeten) weiß ich, dass man im Fall einer psychischen Erkrankung meistens zu eben dieser objektiven Entscheidungsfähigkeit nicht in der Lage ist. Man sieht alles mit dem depressiven oder von Angstneurosen etc. verdunkelten Tunnelblick und hat keinen Überblick mehr auf das eigene Leben.
In diesem Fall ist es, mMn, das einzig richtige, sich in die Hände eines Menschen zu begeben, der gelernt hat, mit einer solchen Situation umzugehen und betroffenen Menschen Hilfestellung zu leisten: Ärtzte, die (in einer anderen Diskussion mMn zu Unrecht so gescholtenen) Psychologen und Psychater, Sozialarbeiter etc. etc.
In einem großen Teil der Fälle, wissen diese, was zu tun ist.
Was psychische Krankheiten betrifft, bin ich voll und ganz für die Zwangseinweisung von lebensmüden Personen, die sich selbst gefährden.
Gerade Depressionen sind eine heikle Sache und ich bin mir auch darüber im Klaren, dass Depressionen mehr sind als Melancholie. Doch sie sind eine Krankheit die leider viel zu oft tödlich verläuft, obwohl sie gar nicht tödlich verlaufen müsste, da der Körper ja im Grunde funktionstüchtige Organe hat.
Ich finde es jedesmal tragisch, wenn ich von einem Selbstmord eines Depressiven höre- denn es hätte nicht sein müssen und die Gründe für den Selbstmord sind es nie wert, dass man sich seines (vielleicht einzigen, das man jemals hat?) Lebens beraubt.
Denn wer weiß schon, was morgen ist? Vielleicht findet man ja auch wenn das Leben noch so leer ist etwas, für das es sich weiterzumachen lohnt- auch wenn das seelische Leid, was man durch die psychischen Krankheiten verspürt noch so groß ist.
Ein anderer Fall ist das Recht auf selbstbestimmtes Sterben im Falle einer schweren Krankheit, die mit großem körperlichem Leid verbunden ist.
Ein Mensch, der totkrank und mit unerträglichen Schmerzen im Bett liegt, der keine Chance mehr auf Heilung hat und den Tod herbeisehnt- wäre es nicht verständlich, wenn dieser Mensch sich selbst das Leben nimmt?
Andererseits gilt es hier wieder die gleichen Punkte zu beachten wie beim Suizid aus psychischen Gründen:
Der Leidende muss im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sein und seine Situation überblicken können. Er muss sich intensiv mit der Frage beschäftigt haben und sich nicht aus einer negativen Stimmung heraus zum Suizid entschieden haben.
Außerdem weiß man auch hier nicht was morgen ist: Vielleicht gibt es ja doch noch plötzlich eine Chance auf Heilung.
Und selbst wenn nicht: Es gibt auch andere Ereignisse im Leben, die auch bei großen körperlichen Qualen stärker sind alös das Leid.
Wie oft hört man, dass sterbenskranke Mütter noch zäh um ihr Überleben gekämpft haben, um, beispielsweise die Hochzeit oder den Studienabschluss ihres Kindes mitzuerleben?
Ich hatte einen Onkel, der an einer schweren Erkrankung an den Nieren litt. Er hatte große Qualen, seine Leben war nur sehr beschränkt noch möglich und er musste regelmäßig zur Dialyse- trotz allem konnte er sich noch für viele Dinge begeistern (er war ein großer Geschichtsfan) - ich weiß nicht, ob er mal an Selbstmord gedacht hat, meine Mutter meinte ja, aber er hat ihn nie ausgeführt. Er hat jedoch gesagt, dass er, für den Fall dass er im Sterben liegt, er nicht ins Leben zurückgeholt werden will.
Ich halte das für eine Alternative zur Selbsttötung- die Natur (oder Gott, oder das Schicksal oder was man auch immer für Namen für diese Macht hat) in einem solchen Fall ihren Weg gehen zu lassen.
(Mein Onkel ist dann eines Tages übrigens bei der Dialyse gestorben.)
Zuletzt noch eines:
Bei allem Reden über die Rechte auf Selbstbestimmung beim Sterben- wo Rechte sind, da sind auch Pflichten. So hat ein Kind beispielsweise ein Recht auf Vater und Mutter. Und- ohne hart klingen zu wollen- manchmal, auch wenn das Leben keine Freude zu machen scheint, müssen sich Eltern einfach einmal am Riemen reißen, auch wenn die Depressionen sie noch so niederdrücken.
In dem Moment, indem man sich entschließt eine Familie zu gründen, so gibt man, aus freien Stücken, einen Teil seiner Freiheit auf, und bürdet sich eine Verantwortung auf- für sich und andere. In einem solchen Fall muss man bedenken, dass die Frage "Soll ich weiterleben oder meinem Leben ein Ende setzen?" nicht mehr nur meine eigene Angelegenheit ist, sondern die meines Ehepartners und meiner Kinder.
Meint
Sunnyboy