• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Überall ist nirgendwo

jüjü1

New Member
Registriert
23. Oktober 2004
Beiträge
38
Ein Familien-Festtag


Also, ein Sonntagsessen beginnt mit einer Rindfleischsuppe. Anschließend wird Schweinefilet mit Soße, Kartoffeln und Salat serviert. Ein gutes Tässchen Kaffe - und der Abwasch - folgen. Nun aber soll’s ein Festessen werden, denn es ist Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Geburtstag, Jubiläum, auf jeden Fall ein wichtiges Fest. Und da kommen doch die Kinder. Da muß es für die verwöhnten Leckermäuler und Mampfkannibalen natürlich etwas Besonderes geben.
Damit nun aber nicht bei jeder dieser Gelegenheiten das gleiche auf den Tisch kommt, sollte jede Hausfrau und liebende Mutter zur Bereicherung ihres Repertoires an Rezepten einmal einen Kochkursus bei der Volkshochschule besucht haben. Thema: „Ein Festessen für die Lieben“. Da lernt man dann ganz tolle und ausgefallene Sachen, die der Alltagsküche halt verwehrt bleiben. Beispielhaft gehören dazu so exotische Köstlichkeiten wie Schrimps in Avocados, Avocados gefüllt mit Schrimps oder Cocktailsauce an Schrimps mit Avocados. Nach dieser Südsee-Ouvertüre folgen als Hauptgang „Kalbsvögerl“. Diese vom Aussterben bedrohte , grätenfreie, südtiroler Singvogelart erinnert nach ihrer Zubereitung zwar irgendwie an gefüllte Kalbsroulladen, aber keiner, der etwas von Essen und Trinken versteht, sollte sich hier abwenden. Vorsichtig gerupft und ausgelöst, mit einer raffinierten Füllung aus Kochschinken, Eigelb und Bratensaft versehen, fein abgeschmeckt mit Salz, Pfeffer und Zitrone avancieren die kleinen Piepsmätzchen zu begehrten Köstlichkeiten. Dazu formen wir abgeflachte Reiskegel, bei deren Anblick ich unwillkürlich immer an umgestürzte Kaffeetassen denken muß. Es wird natürlich nur der beste, feinste, aromatischste und teuerste Reis verarbeitet. Auf besonderen Wunsch besonders verwöhnter Kinder, die zwanghaft-psychotisch ihren Gourmet herauskehren müssen, wird seit Jahren nur noch die Sorte „Basmati“ verwendet. Damit das Auge aber nun auch etwas hat, und der Reis nicht trocken wirkt, wird er zuvor zur Auflockerung mit possierlichen Erbsen gespickt. Abgerundet wird das ganze mit einem Gipfelklecks Sauce. Aber Achtung! Nicht zu viel , denn zu viel wirkt maßlos und passt nun wirklich nicht zu einem Festessen.
Den richtigen Begleiter zu diesem Schmaus wird wieder einmal Papa aussuchen, denn vom Trinken versteht er ja nun wirklich etwas. Entschlossen stampft er behände in den Keller und kredenzt einen trockenen, ja sogar herben oder stark adstringierenden, säuerlich-perligen Moselaner. Wer sich hiermit nicht anfreunden kann, oder eben unsicher in Weinfragen ist, dem bieten wir einen Rosé. Die Marke heißt „Cote de Irgendwo“ und befindet sich in einer schön geschwungenen Flasche, denn das Auge will ja mittrinken.

Bevor die Kinderlein kommen, muß aber erst einmal Platz geschaffen werden, die zahlreichen Mäuler und Mäulchen an einer Tafel unterzubringen. Der Eßtisch wird ausgezogen, erweist sich als zu klein, da hat Mutti die rettende Idee: „Fritz, hol doch mal den Bügeltisch aus dem Schlafzimmer.“ So was macht Papa ganz alleine! Er schnauft die Treppe hoch ins Schlafzimmer, schmeißt alles, was auf dem Bügeltisch liegt sorgfältig in eine Ecke, und wuchtet den massiven Tisch durchs Treppenhaus hinunter. Nun gut, das ging nicht ohne Schrammen ab, an einigen Stellen hat die Tischkante halt Putz und Tapete aus der Wand herausgerissen, ein paar Blumentöpfe oder was sonst halt im Weg stand ist zerdeppert, aber Garderobe und Spiegel sind heil und schließlich steht der Tisch an seinem vorgesehen Platz. Er wird an den Eßtisch herangeschoben und der kleine Höhenunterschied mit Tischdecke und Dekoration vertuscht. An dieser Stelle werden später alle wie auf ein geheimes Zeichen Gläser oder mit dampfender Suppe gefüllte Teller abstellen und sich wundern, daß die immer umkippen.

Nun aber wird zunächst der Tisch eingedeckt. Das „gute Porzellan“ und das „gute Besteck“ kommen auf den Tisch, die Gläser werden noch einmal zurecht gerückt, dann werden die Leckerbissen aufgetragen. Bei den Schrimps angelangt, wendet sich Gabi - Gabi mag nämlich keine Schrimps - vertrauensvoll an ihren Didi: „Willst Du meine Schrimps haben?“ Das braucht sie ihn nicht zweimal zu fragen. Es ist zwar noch ein weiter Weg bis zum Ende des Festgelages aber voller Zuversicht und Vertrauen auf sein Fassungsvermögen läßt er sich auch dieses Häppchen munden. Dann wird das Hauptgericht aufgefahren, und bis die Teller ratzputz leergegessen worden sind, herrscht eine wohltuende Ruhe. Nun ist es an der Zeit, eine kleine Pause einzulegen. Jetzt kann Jürgen endlich ein Zigarettchen rauchen und dabei die Tischunterhaltung richtig in Schwung bringen. Alle haben sich schon darauf gefreut, seinen charmanten und witzigen Monologen zuzuhören. Sein gnadenloser Wahlspruch lautet: „Rede selber, dann mußt Du auch keinem anderen zuhören.“
Sei’s drum, wir möchten noch den Nachtisch kosten.

Das „frugale Mahl“ - Papa pflegt dies mit einer für ihn eigentlich untypischen Stereotypie stets anzumerken - im Epilog noch zu steigern ist nicht einfach. Aber aus Bananen und Aprikosen, alles in Butter gebraten, dann mit Mandelscheiben bestreut, kommt das süße Tischfeuerwerk auf den Tisch. Woanders heißt der billige Abklatsch dieser beeindruckenden Speisezubereitung „flambieren“, aber wenn Schwager Philippe, unser richtiger, echt-französischer Koch, gekonnt und beherzt die Sache in die Hand nimmt, mit frankophiler Noblesse die heißen Früchte in der Pfanne großzügig mit Hochprozentigem angießt und entflammt, da muß man nicht erst das Licht ausknippsen, um nur mühsam ein paar scheue Flämmchen zu erkennen, die wie dahinsiechende Bonsai-Geister durch die Pfanne huschen. Da macht das „zisch“ und „wusch“ und wer nicht rechtzeitig vom Tisch zurückgerückt ist, trägt den Pony anschließend etwas kürzer. Mit diesem eindrucksvollen Spektakel, finde ich, ist so eine kulinarische Weltreise auch würdig abgeschlossen.

Anschließend erholt man sich bei einem Tässchen Kaffee und gönnt dem wohlig gefüllten Magen einen Obstler. Papa vermerkt noch „Unsere Mutti ist die Beste. Ist ne tolle Köchin.“. Inge und Mutti kniffeln noch ein paar Ründchen, die Herren prosten sich zu, dann ist schon Abendessenszeit. Wenig später kommt das Taxi und wir rufen noch mal zum Abschied: „Tschüss, und Danke für das tolle Essen!“
 
Werbung:
Zurück
Oben