AW: Über das Scheitern
Hallo zusammen,
eben bin ich wiedermal daran gescheitert einige wirklich tiefgründige und intelligente Gedanken zu diesem schönen Thema so zu formulieren, dass sie
a) verständlich sind und
b) ihr nicht dabei einschlaft, wenn ihr sie lest.
Stattdessen will ich euch eine Geschichte erzählen, die sich vor ca. drei Wochen zugetragen hat.
Ich musste mein Bahnabonnement verlängern lassen und benötigte dafür ein neues Passfoto.
Ich ging also zu einem dieser Fotoautomaten (diese netten, die einem mit sympathischer Stimme erklären, was man tun soll um zu einem wirklich befriedigenden Fotoergebnis zu kommen) und stellte fest, dass vier Passfotos acht Franken kosten, ich aber bloss sechs Franken Kleingeld dabei hatte und der Automat zwar grosszügig offerierte, auch Zehnernoten zu schlucken, dabei aber darauf hinwies, kein Wechselgeld zu geben.
In der Nähe befand sich ein Kiosk und ich fragte die überaus freundliche Kioskverkäuferin, ob sie mir vielleicht eine Zehnernote wechseln könne, worauf sie meinte, sie sei keine Wechselstube.
Ich hätte nun ja etwas Kleines kaufen können, damit ich Kleingeld herausbekomme, aber das wollte ich nicht - nicht bei IHR!
Also ging ich zurück zum netten sprechenden Automaten und wollte ihm meine Zehnernote geben - zwei Franken Trinkgeld inbegriffen.
Aber leider erwies sich der Automat plötzlich als ebenso störrisch, wie die Kioskverkäuferin und ich scheiterte am Versuch, ihm meine Zehnernote erst sanft, dann immer wütender in den dafür vorgesehenen Schlitz zu würgen.
Also ging ich zurück zum Kiosk, kaufte zähneknirschend einen Schokoriegel (soll ja gut sein bei Frust) und schaffte es tatsächlich den Automaten dazu zu bewegen, ein Bild von meinem geröteten Gesicht anzufertigen.
Er zeigte mir das Bild auf einem Monitor und bemerkte, es entspreche nicht den offiziellen Bestimmungen der Passbehörde und ob ich einen neuen Versuch machen wolle. Was daran nicht den Bestimmungen entsprach, verriet er allerdings nicht.
So machte ich einen neuen Versuch - mit dem gleichen Ergebnis.
Der Automat wies mich freundlich darauf hin, dass ich noch einen Versuch machen dürfe, das sei aber dann der Letzte.
Ich wagte - und verlor. Das Bild entspricht nicht den... blabla - kennen wir schon.
Aber egal, es geht ja bloss um ein Bahnabonnement, nicht um einen Pass!
Also machte ich mich auf den Weg zum Schalter und stellte mich in eine von zwei seeehr langen Schlangen.
Bald merkte ich, dass sich die andere Schlange wesentlich schneller vorwärts bewegte. Das ist immer so.
Schliesslich kam ich dann doch noch dran und die nette Dame hinter dem Schalter erklärte mir, dass mein Passbild leider nicht... aber das habt ihr sicher schon selbst erraten.
Ich fragte sie weshalb und sie meinte, mein Kopf sei oben ein wenig abgeschnitten. Es müsse dort mindestens zwei Milimeter Abstand geben.
Ich erzählte ihr, dass der Automat das einfach so gemacht habe und ich habe wahrscheinlich einfach einen zu grossen Kopf.
Sie gab mir dann den Tip, ich dürfe mich nicht so weit nach vorne beugen beim Fotographieren. Aha! Das war es also.
Erneuter Gang zum Automaten, Feststellung, dass ich genau sieben Franken und fünfzig Rappen Kleingeld besass, noch ein Schokoriegel und dann endlich ein Passbild, welches den Bestimmungen entsprach. Den Gesichtsausdruck, den ich darauf zeige beschreibe ich euch lieber nicht - aber offenbar entsprach auch er den Bestimmungen.
Auf dem Weg zum Schalter, quatschte mich ein Obdachloser an: "Häsch mer er chli Münz?" (Hast du mir ein wenig Kleingeld?)
Nun bin ich normalerweise freundlich zu Obdachlosen oder anderen sogenannten "gescheiterten Existenzen" aber in diesem Moment, da ich schon seit gut einer Stunde an solch einem banalen Ziel wie der Erneuerung eines Bahnabonnements zu scheitern drohte, fehlte mir mit einem Mal jegliches Verständnis für ihn, der sich in seinem Scheitern so unverkrampft eingerichtet hatte und ich raunzte ihn an: "Weshalb bettelt ihr eigentlich immer MICH an?"
Er zuckte die Schultern und meinte, er werde eben vom Staat nicht unterstützt.
Ich erwiderte: "Ja ich doch auch nicht! Und sehe ich eigentlich so aus, als hätte ich Geld?"
Er musterte mich mit Kennerblick und lächelte: "Nein, eigentlich nicht, aber du siehst so aus, als würdest du mir Geld geben."
Das war irgendwie entwaffnend und brachte mich schlagartig wieder in ruhigere emotionale Gewässer zurück. Und zufällig hatte ich ja tatsächlich noch ein wenig Kleingeld und ausserdem zwei Schokoriegel, die ich eigentlich gar nicht mochte.
Für ihn war es ein kleiner Erfolg - und für mich schlussendlich dann auch noch.
Ach ja, das neue Abonnement habe ich dann per Post bekommen.
Das Foto darauf erinnert mich an jenen Tag.
Es wurde bei der Verarbeitung oben am Kopf übrigens leicht abgeschnitten...