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AW: Türkische Schulen und Universitäten in Deutschland




Dann wäre Erdogans Aufmerkung für Deutschland gegenstandslos. Vielleicht war sie mehr "nach innen" - also als "patriotisches" Signal gerichtet, als an uns adressiert. Wenn die Türkei in D schließlich eine türkische Universität gründen wollte, was stünde dem im Wege?


Bürokratische Hürden, natürlich. Erst recht wird der Errichtung einer islamischen Universität (oder "islamischer Gymnasien", falls das kein Widerspruch in sich ist, hierzu wäre wohl eine Fatwa nötig) in D schwierig, da das deutsche Gesetz zwar die Möglichkeit kirchlicher Schulen vorsieht, den Islam aufgrund seiner nicht-hierarchischen Organisationsform jedoch nicht als den Kirchen gleichstellbaren Rechtsvertreter anerkennt. Sprich: der Rechtsstaat bleibt skeptisch gegenüber einer Gruppe, so groß sie auch sei, die keinen Anführer ernannt hat, den man im Zweifelsfalle zur Rechenschaft ziehen kann.


Das Problem liegt auf einer anderen Ebene. Wenn Erdogan gegenüber der EU auf Religionsfreiheit plädiert, meint er vor allem Freiheit für die Ausübung des orthodoxen Islam. Was in der EU prinzipiell nicht erwünscht, aber möglich ist, soll auch in der Türkei möglich sein: anstelle der fremdsprachlich-naturwissenschaftlichen Ausbildung vorwiegender Koranunterricht für Kinder und Jugendliche, obligatorische Verschleierung der Frauen im öffentlichen Raum, zunächst als Wahlmöglichkeit für Frauen an Universitäten und Schulen.

Indem Erdogan letzteres an türkischen Universitäten legalisieren ließ, ist er doch einen großen Schritt auf die europäische Idee der Freiheit der Religionsausübung zugegangen.


Es bleibt die hohe Zahl derer, die in Deutschland die Hauptschule ohne Abschluß verlassen. Soll Politik hier ethnisch differenzieren: Deutschstämmige, Türkischstämmige, Deutschtürken, Wolgadeutsche, echte Russen, Ukrainer mit deutschen Vorfahren etc.? Als Bildungspolitiker wäre ich ratlos. Na klar: die gute alte "Volksschule" wäre das geeignete Institut. Gute Grundbildung für alle, nur daß "Volk" eben alle die meint, die hier leben und sich nicht von irgendeiner rassischen oder Blutsabkunft her bestimmt.


Aber: ist nicht in D seit über vierzig Jahren alles versucht worden, die hier Lebenden als "Ein Volk" in die Schule zu nehmen? Muß man nicht die gegenwärtigen Versuche vor allem Jugendlicher, die sich gegen die deutsche Angebotsgesellschaft wenden, in der in der Tat jeder seinen Platz finden kann, eher als Signal dafür werten, daß es eben nicht jeder schaffen will, mitzukommen? Warum auch. Und müßten sich nicht allein wegen genau dieses Signals Staat und Gesellschaft grundlegend wandeln? Allein, zur Revolution scheint dies Signal, das auch die Völker hören könnten, doch noch nicht stark genug.


Beziehungsweise andersrum: warum plädiert Erdogan so stark für die Binsenweisheit, daß man Deutsch können müsse, wenn man in Deutschland lebt? Hatte er etwa die zigtausende von Deutschen vor Augen, die in ihrer Muttersprache nurmehr stammeln wie sie's von Muttern gelernt haben, und möchte seine Türken davor bewahren? Er kommt spät und bietet uns sicher noch über den Tag hinaus polizeiliche und juristische Hilfe an. Bei soviel Nachsicht des Nachbarn kann auch ich nur noch sagen: Willkommen in der EU!


In zehn Jahren sehen wir, was von soviel Optimismus übrigblieb. Alles andere regelt ein Gesetz.


Grüße, Thorsten


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