Nachmittagsphantast
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- Registriert
- 27. Januar 2006
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Hallo,
ich bin noch nicht ganz durch (derzeit etwa Seite 350), aber die Wandlung, die der Protagonist während des Buchs bzw. des inneren Monologs durchläuft, ist atemberaubend. Am Anfang denkt man, dass der Autor bzw. das lyrische Ich die Stadt Wolfsegg hasst, dann hasst er die Fotografen, die Jäger, die Menschen an sich, er hat einen Hass auf alles, belegt es mit negativen Zuweisungen wie "abscheulich, widerwärtig, eklig, häßlich, ungeheuerlich". Im Laufe des ersten Kapitels (das Buch hat nur zwei und auch nur zwei Absätze) durchläuft das lyrische Ich eine Wandlung, er nimmt sich selbst wahr, er bemerkt in seinem fortschreitenden Dialog mit Gambetti ("habe ich zu Gambetti gesagt"), dass er zu Übertreibungen neigt, dass es sogar peinlich ist, und dass es unanständig ist, über seine toten Eltern so herzuziehen (auch wenn er zu Beginn glaubt, dass die Redensart "Über Tote soll man nicht schlecht reden") keine Berechtigung hat. Als der Szenenwechsel kommt, also das zweite Kapitel, wo er sich direkt in Wolfsegg befindet und der Trauerzeremonie (heimlich) beiwohnt, ohne sich zunächst erkenntlich zu zeigen, ist er immer noch von negativen Gedanken beseelt, aber auf eine subtile Weise, die Bernhard grandios beherrscht, vermittelt er den Schmerz und die Trauer des Protagonisten über den Tod seiner Eltern und seines Bruders. Letzterer kann nicht mehr heiraten, denn "ein Toter kann nicht heiraten". Das lyrische Ich sagt nicht direkt "ich trauere um meine Eltern und meinen Bruder", aber es ist zwischen den Zeilen und aus der Art, wie sich seine Beschreibungen gegenüber dem ersten Kapitel ändern, ersichtlich. Das alles übt auf mich eine ungeheure Faszination aus, und wie er sich selbst auszulöschen versucht, durchlebe ich selbst als Leser das Gefühl einer Auslöschung, man beginnt sich zu hinterfragen, und obgleich das lyrische Ich übertreibt, denn das Buch ist meisterlich in Übertreibungen, und Bernhard beherrscht Übertreibungen meisterlich, entdeckt man immer wieder einen wahren Kern in ihnen. Bisher gab es noch keine Literatur, die mich so eingenommen hat, die mich in einen derartigen Bann gezogen hat.
Gruß,Felix
ich bin noch nicht ganz durch (derzeit etwa Seite 350), aber die Wandlung, die der Protagonist während des Buchs bzw. des inneren Monologs durchläuft, ist atemberaubend. Am Anfang denkt man, dass der Autor bzw. das lyrische Ich die Stadt Wolfsegg hasst, dann hasst er die Fotografen, die Jäger, die Menschen an sich, er hat einen Hass auf alles, belegt es mit negativen Zuweisungen wie "abscheulich, widerwärtig, eklig, häßlich, ungeheuerlich". Im Laufe des ersten Kapitels (das Buch hat nur zwei und auch nur zwei Absätze) durchläuft das lyrische Ich eine Wandlung, er nimmt sich selbst wahr, er bemerkt in seinem fortschreitenden Dialog mit Gambetti ("habe ich zu Gambetti gesagt"), dass er zu Übertreibungen neigt, dass es sogar peinlich ist, und dass es unanständig ist, über seine toten Eltern so herzuziehen (auch wenn er zu Beginn glaubt, dass die Redensart "Über Tote soll man nicht schlecht reden") keine Berechtigung hat. Als der Szenenwechsel kommt, also das zweite Kapitel, wo er sich direkt in Wolfsegg befindet und der Trauerzeremonie (heimlich) beiwohnt, ohne sich zunächst erkenntlich zu zeigen, ist er immer noch von negativen Gedanken beseelt, aber auf eine subtile Weise, die Bernhard grandios beherrscht, vermittelt er den Schmerz und die Trauer des Protagonisten über den Tod seiner Eltern und seines Bruders. Letzterer kann nicht mehr heiraten, denn "ein Toter kann nicht heiraten". Das lyrische Ich sagt nicht direkt "ich trauere um meine Eltern und meinen Bruder", aber es ist zwischen den Zeilen und aus der Art, wie sich seine Beschreibungen gegenüber dem ersten Kapitel ändern, ersichtlich. Das alles übt auf mich eine ungeheure Faszination aus, und wie er sich selbst auszulöschen versucht, durchlebe ich selbst als Leser das Gefühl einer Auslöschung, man beginnt sich zu hinterfragen, und obgleich das lyrische Ich übertreibt, denn das Buch ist meisterlich in Übertreibungen, und Bernhard beherrscht Übertreibungen meisterlich, entdeckt man immer wieder einen wahren Kern in ihnen. Bisher gab es noch keine Literatur, die mich so eingenommen hat, die mich in einen derartigen Bann gezogen hat.
Gruß,Felix