AW: Spaziergang...
Gemeinsam gehen wir jetzt weiter. Manchmal eile ich ein wenig voraus, manchmal bleibe ich ein paar Schritte zurück, aber immer in Sichtweite. Es ist ein neues Gefühl, den Weg nicht mehr allein zu gehen…ungewohnt und irgendwie noch beängstigend. Ich warte förmlich darauf, den Sichtkontakt zu verlieren. Trotzdem fühlt es sich richtig an, in der Nähe meiner Begleitung zu bleiben. Unsicher, was uns noch alles begegnen wird, setzen wir den Weg fort.
In dieser Gegend ist der Himmel klarer. Ich kann zwei oder drei Sterne sehen. Das kleine Mädchen fällt mir wieder ein. Es war immer fasziniert vom Sternenhimmel, auch wenn es nicht oft Gelegenheit hatte, ihn zu sehen. Manchmal stand es mit tränenverschleierten Augen am Fenster, sah hinauf und wünschte sich dorthin…dahin, wo es friedlich schien, wo keine Gewalt existierte, kein Gebrüll und kein Schmerz. Das Mädchen wollte endlich Ruhe und Einsamkeit. Niemand, der ihm je wieder wehtun könnte. Die Sehnsucht danach war oft sehr gross, fast überwältigend.
Während wir weitergehen kehren meine Gedanken in eine andere Vergangenheit zurück. In Gedanken erzähle ich der jungen Frau neben mir von diesen Zeiten. Ich muss nichts sagen…sie versteht. Das kleine Mädchen war inzwischen ein Teenager, berüchtigt für ihre Aggressivität und ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Wie sie es gelernt hatte, setzte sie sich anderen gegenüber mit Gewalt durch, was ihr einen gewissen Respekt verschaffte…und einige Freunde, die keine waren. Einige Jahre ging das gut…bis zu diesem verhängnisvollen Tag, an dem alles anders werden sollte…
Er wollte nicht sehen, wie sehr dieses Mädchen litt…nicht sehen, wie sie vor Schmerz erstarrte. Sie zitterte und leise rollten Tränen über ihr Gesicht…Tränen der Verzweiflung. 'NEIN, ich werde nicht weinen, verdammt...' So wie auch heute noch des Öfteren. Es war ihm egal. Er nahm sich, was er wollte und grinste dabei auch noch. Es kam ihr vor wie Stunden, jegliches Zeitgefühl ging verloren. Sie schloss die Augen und blendete alles aus, was sie nicht ertragen konnte. Er bemerkte es nicht, war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Irgendwann war es vorbei. Sie ging, ohne noch einen Blick zurück zu werfen. Sie wollte nicht mehr daran denken, nie mehr…wollte es vergessen. Es gelang ihr für viele Jahre…
Ich bin unschlüssig, ob ich schon bereit bin, den Weg weiterzugehen. Ich weiss nicht, was mich noch alles erwartet. Vieles davon will ich nicht wissen, muss es mir aber anschauen, wenn ich jemals Frieden finden will.
Ich nehme die Hand meiner Begleiterin fester in meine und gehe weiter…
Off...
22.08.2007