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AW: Spaziergang...


Endlich versiegen die Tränen des kleinen Mädchens. Es schluchzt nur noch leise vor sich hin.

Ein weiteres Mal fühlt es sich ungerecht behandelt. Was macht es nur immer falsch?

Ich schiebe diese Gedanken mühevoll beiseite. Dafür kommen andere, spätere Erinnerungen. Ich will sie nicht…nicht schon wieder. Und doch kann ich es nicht verhindern. Ich bleibe stehen, schliesse die Augen und halte die Luft an. Ich weiss, dass der Schmerz wieder kommen wird…und ich erwarte ihn. Er gehört inzwischen zu mir, wie ein guter Freund.


Ich erinnere mich an meine Teenagerzeit. War ich wenigstens damals unbeschwert und fröhlich? Nein, ich war aufsässig, vorlaut und hatte als Hobby permanenten Widerspruch gewählt. Einige Jahre kam ich gut damit durch, weil mir niemand zu nahe kam. Bis zu diesem einen verdammten Tag, der alles verändern sollte. Warum habe ich das zugelassen?


Vorsichtig öffne ich die Augen und gehe weiter. Mir bricht der Schweiss aus. Er läuft mir von der Stirn in die Augen. Es brennt. Ich schaue auf meine Hände…sie zittern. Meine Beine fühlen sich an, als wären sie aus Gummi. Und trotzdem zwinge ich mich zum Weiterlaufen. Bloss nicht stehen bleiben. Stehen bleiben bedeutet Gefahr. Um mich zu beruhigen, zünde ich mir eine Zigarette an. Wollte ich nicht schon längst damit aufgehört haben? Es erscheint mir nicht mehr wichtig. Nichts in der Gegenwart ist derzeit wichtig. Mich beherrscht die Vergangenheit.

Direkt vor mir liegt ein Stein auf meinem Weg. ‚Nicht schon wieder’, denke ich. Habe ich nicht schon genug Steine weggeräumt? Auch dieser wird wohl nicht der letzte sein. Es kostet mich unglaublich viel Kraft, ihn zu bewegen, obwohl er nicht besonders gross ist.


Ich kann weiter gehen. Mehr noch…ich MUSS. Getrieben von der Rastlosigkeit, die mich seit einem Jahr begleitet. Und wieder wandern meine Gedanken zurück. Ich fühle mich wie damals…erstarrt vor Angst und Entsetzen. Unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Zitternd…

Ja, ich war auf der Suche. Wonach genau? Ich weiss es nicht mehr. Gefunden habe ich Ignoranz, Oberflächlichkeit und Gewalt. So war es immer…und so wird es auch immer sein.

Damals habe ich mir noch gewünscht, es würde jemand bemerken, ohne dass ich etwas sagen muss. Später nicht mehr. Lieber wird es tief in mir vergraben und darüber geschwiegen. Vielleicht ist das der einzige Weg, es zu vergessen. Ich lag falsch…


Noch immer sind die Strassen menschenleer…oder doch nicht? Ich erschrecke fast zu Tode, als ich aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrnehme. Ich bleibe stehen und versuche, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Der Schatten macht einen Schritt auf mich zu. Ich weiche zurück. Schemenhaft kann ich sehen, dass es sich um eine mir fremde Person handelt, was für mich nicht weniger bedrohlich ist. ‚Nein’, denke ich, ‚du wirst nicht jedes Mal wegrennen.’ Ich stehe wie angewurzelt da, als die Person wieder einen Schritt näher kommt.

Sie ist schon weit über meinen persönlichen Toleranzbereich hinaus. Sie streckt mir ihre Hand entgegen. Ich bin misstrauisch, weiss es nicht zu werten…und zweifle an der Ernsthaftigkeit dieser Geste.


Langsam und zögernd lege ich meine Hand in die der jungen Frau…



Off...

01.08.2007


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