R
Robin
Guest
I left my heart in New Orleans
Als ich 1998 nach New Orleans kam, wusste ich nicht, ob die Außentemperatur höher war als die meines Körpers; denn natürlich hatte ich mir in San Francisco wieder eine Erkältung geholt. Mit glühendem Kopf stieg ich am Flughafen aus, und glühende Hitze umgab uns wie eine immerwährende Sauna.
Wir, das war die riskante und seltene Kombination eines homosexuellen Misanthropen und eines heterosexuellen Melancholikers, also ich.
Nur drei Nächte sollten wir in New Orleans bleiben, doch es waren mit die seltsamsten und fiebrigsten Nächte meines Lebens.
Wir quartierten uns in einem Jugendhotel ein, schliefen in einem 6-Bett-Zimmer mit einem immer sirrenden Ventilator, der aber die nächtlichen Temperaturen von über dreißig Grad nicht zu mildern vermochte. Um uns herum kleine, flache Holzhäuser, nicht von Wohlstand geprägt, aber auch längst noch nicht so schäbig wie in den armen Vierteln, von denen es in New Orleans, das wusste ich von einer Freundin, viele gab.
Die Einwohner dieser Stadt waren nur wenige Tage zuvor einer Katastrophe entgangen. Der Hurrikan George war knapp an der Stadt vorbeigeschrammt. Als wir wenige Tage später mit dem Mietwagen in nord-östliche Richtung nach New York aufbrachen, sahen wir noch zahlreiche Sturmschäden, umgeknickte Motelschilder und Bäume, zusammengeklappte Schuppen, von irgendwoher angewehter Müll, der sich in der flachen, sumpfartigen Landschaft verteilte. Von dieser Bedrohung hatte ich erst kurz vor unserem Flug erfahren, da ich in San Francisco keine Nachrichten verfolgt hatte. Tatsächlich hatten sich auch 1998 etliche Tausend Einwohner in jenen Baseball-Dome geflüchtet, um Schutz vor einer drohenden Verwüstung zu suchen.
An der Hotelrezeption fragte ich am ersten Tag nach einem thrift shop. In San Francisco hatte es coole und uncoole Second-Hand-Läden gegeben – in New Orleans fand ich lediglich einen, in dem sich die Armen versorgten. Eine schäbige, flache Halle, mit meterlangen Kleiderbügeln, Unmengen von alten, muffigen Klamotten mit hohem Synthetikanteil. In einer Ecke gab es kaum noch zu gebrauchenden Hausmüll, Elektrogeräte, Spielsachen, Schallplatten, Comics, Bücher und alte Playboyhefte.
Mit Anfang Dreißig war ich immer noch ein bisschen seltsam; die Hitze hatte ich schon immer gemocht, und so lief ich mit 38° im Innern und noch mehr Fahrenheit außen zu Fuß, zur Mittagszeit zu diesem abgelegenen Laden. Nachdem ich dort – vermutlich – ein oder zwei T-Shirts kaufte (irgendwoher müssen doch die T-Shirts in meiner Kommode stammen, von deren Herkunft ich nichts mehr weiß), lief ich noch weiter bis ins Stadtzentrum, wo ich auf einen alten Bekannten stieß. Eine lebensgroße Statue auf dem Bürgersteig zeigte niemand anderen als Ignaz J. Reilly, wie … ihn sah. Den Namen des Bildhauers habe ich vergessen, aber die fette Kupfergestalt mit der unangemessenen Jagdmütze und den absurden Tweed-Hosen habe ich noch vor Augen.
Ich nehme an, das Wasser hat ihm nicht viel anhaben können. Mit ihm und dem Buch Ignaz oder die Verschwörung der Idioten von John Kennedy Toole überlebt eine Erinnerung an diese Stadt, die nun vielleicht dem Tod geweiht ist. Ignaz J. Reilly, die Ikone aller selbstgerechten Narren dieser Welt und Symbol dafür, dass man als Narr doch irgendwie – glücklicher ist? Wer weiß.
Abends habe ich mich dann in New Orleans verliebt. Sie arbeitete an einer Bar am Ostrand des French Quarter. Mein Freund T. und ich spazierten hinein und wurden natürlich von den beiden Frauen hinter der Bar ausgefragt, wie das nun mal die höchst kommunikative und nette Art in den USA ist. „Where you guys come from?“, oder so ähnlich fragte sie noch bevor sie uns einen alkoholhaltigen Drink auslieferte. Sie war klein, zierlich, sicher fünf Jahre jünger als ich und spielte – angeblich – Schlagzeug in einer Band. Nennen wir sie Sue.
Sie fand es sehr interessant, dass wir aus Berlin kamen. Irgendwie kam ich darauf, dass ich in einer Band spielte. „Oh really? I play the drums in a band.“ Ich sagte, dass ich Gitarre spielte und versprach, ihr eine CD mitzubringen, wenn ich am nächsten Tag oder so wiederkommen würde.
Was war ich doch närrisch in New Orleans! Aber es war eben die Stadt der Narren. Es war die Stadt, um närrisch zu sein! Und es war natürlich auch die Stadt des bitteren Ernstes und der Möglichkeit, schnell erschossen zu werden, wenn man eine Straße in die falsche Richtung überquerte und in eine dangerous area geriet. Und weil es die Stadt der Narren war, sollte ich mich am letzten Abend noch mit einer mir fast unbekannten Frau total streiten, was mir sonst wirklich nicht passiert.
Mit meiner schwulen Freund T. sollte ich mich bei unserem Aufenthalt in New Orleans ebenfalls total zerstreiten. So sehr, dass wir auf der Fahrt nach New York zwei Tage kein Wort wechselten. Später nahm jeder von uns einen Teil der Schuld auf sich. Oder trug die fiebrige Stadt New Orleans mit einen Teil dazu bei?
An dem einem Abend ging ich Titten gucken.
Hätte ich vorher einen entsprechenden Reiseführer gewälzt, wäre ich vielleicht nicht so überrascht von diesem bizarren Brauch gewesen. Es ist wirklich schwer einzuordnen. Verschiedenes trägt sicher dazu bei, die Bratofentemperaturen auch des nachts, die Tatsache, dass man in dieser Stadt – im Gegensatz zu überall in den USA – auf der Straße Alkohol trinken darf, die Partywilligkeit von Touristen und Bevölkerung, vielleicht auch ein gutes Stück voyeuristisches Kalkül; die Sache jedenfalls lief so ab: Auf den Straßen des French Quarter, auf den Balkonen drängten sich Jungs und Mädels, konsumierten harte Drinks aus Plastikbechern und hatte jede Menge Perlenketten dabei. Die warfen sie sich zu, die Frauen hängten sie sich um die Hälse und die Jungs riefen „Show me your tits, show your tits!“ Und dies geschah dann auch in regelmäßigen Abständen, indem eine der Frauen unter dem Gejohle des Volkes schnell ihr T-Shirt lupften und ein bisschen herumwackelten. Dann war der „Zauber“ vorbei. Seltener ließen die Jungs mal ihre Hosen herunter, jener Anblick war weniger beliebt.
Ziemlich allein irrte ich durch die Straßen, denn T. hatte sich, trotz seiner latenten Menschenfeindlichkeit, einen Schwarzen in einem örtlichen Schwulenclub aufgerissen. Doch war es so dicht und gedrängt in diesen Straßen, dass wirkliche Einsamkeit nicht aufkam. Und ich gestehe gern, dass ich diese völlig sinnentleerte Atmosphäre der Ausschweifung, des Rauschs und der billigen sexuellen Versprechen nicht empörend oder unangenehm empfand. Es war halt so, ein Treiben in der Ursuppe der Menschlichkeit, Innen, Außen, Hitze und Schweiß, Luftfeuchtigkeit und Alkohol, alles war eins, an dem Abend, als ich Titten guckte in New Orleans.
An diesem Abend sah ich auch Sue wieder. Sie saß ziemlich melancholisch auf dem Bürgersteig nahe ihrer Bar und rauchte eine. Sie erkannte mich wieder, war aber deutlich reservierter als zuvor. Oh Scharen von Europäern, die die Amerikaner immer wieder in Bedrängung bringen, indem sie deren Offenheit zu viel Bedeutung beimessen! Oder war ich ein einzelner Narr?
Aber über die CD hat sie sich gefreut. Sie hat sie sogar aufgelegt in ihrer Bar. „What does the group name mean?“, fragte sie mich. „It means world pinguin day“, erklärte ich ihr. Aber ich riet ihr davon ab, die Musik in der Bar zu spielen, “the people might leave”. „I don’t care“, sagte sie und legte ein Stück ein. Ich darf also sagen, dass die Band Weltpinguintag in New Orleans nicht ganz unbekannt war…
Am nächsten Tag wollten wir eigentlich zusammen eine Rocksession machen. Aber die Leute im Hotel lachten mich aus, als ich sie fragte, wo die Adresse sei, die sie mir gegeben hatte. Sie machten Andeutungen, ob sie nicht eine Professionelle sei, die mich verarscht hatte…? Ich war sauer, ob dieser Ignoranz.
Es mochte ja sein, dass ich die Sympathie von Sue für mich überschätzt hatte – aber das gleich in diese Kiste zu packen… Tja, hinter der Fassade der Partystadt New Orleans mochte doch ein ums andere Mal der blanke Zynismus lauern.
So musste ich am letzten Abend mit einer Deutschen als Abendbegleiterin vorlieb nehmen.
Sie war sehr groß, sehr intellektuell, sehr sarkastisch. Und nicht unattraktiv, vielleicht nach ein paar Whisky-Lemon nicht die schlechteste Wahl, um mein Schwärmen für Sue zu vergessen.
Es lief auch nicht schlecht. Wir sahen eine Live-Band in einem alternative club. Wir tranken Whisky-Lemon. Wir besuchten eine weitere Bar. Tranken Whisky-Lemon. Sie war sarkastisch, ja, aber witzig. Eine Weile.
Man empfahl uns eine weitere Bar, aber wir sollten auf jeden Fall ein cab nehmen. Die Bar war zwar nur zwei Blocks weiter, der Weg aber führte durch gefährliches Gebiet. Vorher gerieten wir aber noch in eine andere Bar, wo wir uns zerstritten. Diese Bar war nicht besonders voll, aber die Menschen tanzten buchstäblich auf den Tischen. Als wir herein kamen wurden wir kreischend begrüßt und ich hatte sofort ein völlig betrunkenes Mädchen an der Backe, das Anzüglichkeiten von sich gab. Meine deutsche Begleitung aber spitzte in diesem Augenblick ihren Sarkasmus auf einen Höhepunkt zu. Was sie für die enthemmte Szene übrig hatte, war nichts als Verachtung. Europäisch kultivierte hochnäsige Verachtung. Von einem auf den anderen Augenblick ging sie mir grenzenlos auf die Nerven und ich sagte ihr, wenn sie wolle, könne sie jetzt noch alleine zu dem Club fahren, ich ginge jetzt nach hause.
Sie war völlig vor den Kopf geschlagen. Was ich denn plötzlich hätte, es sei doch alles bisher ganz lustig gewesen. Und – vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht noch an den Resten meines Fiebers – ich konnte es ihr nicht erklären. Ich brachte kein Wort hervor. Wütend stapften wir nebeneinander her, versuchten zwar noch ein- zweimal die Situation zu retten. Aber es ging nicht.
Da kamen wir an einem riesigen Cabriolet aus den 60ern vorbei. Ein riesiges Schiff, mit vorne durchgehender Sitzbank aus rotem Leder. Wir schauten uns an und für einen kurzen Moment blitzte wieder so etwas wie Einverständnis auf. „Bist du schon ein Mal in so einem Auto gesessen?“ Schnell kletterten wir über die Türen und nahmen auf dem warmen Leder Platz. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Vielleicht hätten wir uns da küssen sollen. Vielleicht hätten wir aber auch erschossen werden können. Man weiß ja nicht, wie der Besitzer drauf gewesen wäre, wenn er uns entdeckt hätte.
Wir haben uns aber weder geküsst, noch wurden wir erschossen. Vielleicht war ich auch noch zu sehr in Sue verliebt. Vielleicht war es auch einfach zu heiß, außen sowieso, aber auch das Fieber in mir drin.
Aber ich nahm mir vor: Eines Tages kommst du noch mal zurück nach New Orleans. Und machst eine Woche Party, denn wo soll ein Melancholiker sonst Party machen können, wenn nicht in New Orleans?
Liebes New Orleans, liebe Menschen dieser Stadt, dazu wird es nun wohl nicht mehr kommen. Ich trauere um diese Stadt und um das Schicksal ihrer Einwohner.
Es tut mir Leid, dass ich nur eine solch merkwürdige, fiebrige Erinnerung an Euch habe.
Aber ich bin froh, wenigstens diese zu haben.
Als ich 1998 nach New Orleans kam, wusste ich nicht, ob die Außentemperatur höher war als die meines Körpers; denn natürlich hatte ich mir in San Francisco wieder eine Erkältung geholt. Mit glühendem Kopf stieg ich am Flughafen aus, und glühende Hitze umgab uns wie eine immerwährende Sauna.
Wir, das war die riskante und seltene Kombination eines homosexuellen Misanthropen und eines heterosexuellen Melancholikers, also ich.
Nur drei Nächte sollten wir in New Orleans bleiben, doch es waren mit die seltsamsten und fiebrigsten Nächte meines Lebens.
Wir quartierten uns in einem Jugendhotel ein, schliefen in einem 6-Bett-Zimmer mit einem immer sirrenden Ventilator, der aber die nächtlichen Temperaturen von über dreißig Grad nicht zu mildern vermochte. Um uns herum kleine, flache Holzhäuser, nicht von Wohlstand geprägt, aber auch längst noch nicht so schäbig wie in den armen Vierteln, von denen es in New Orleans, das wusste ich von einer Freundin, viele gab.
Die Einwohner dieser Stadt waren nur wenige Tage zuvor einer Katastrophe entgangen. Der Hurrikan George war knapp an der Stadt vorbeigeschrammt. Als wir wenige Tage später mit dem Mietwagen in nord-östliche Richtung nach New York aufbrachen, sahen wir noch zahlreiche Sturmschäden, umgeknickte Motelschilder und Bäume, zusammengeklappte Schuppen, von irgendwoher angewehter Müll, der sich in der flachen, sumpfartigen Landschaft verteilte. Von dieser Bedrohung hatte ich erst kurz vor unserem Flug erfahren, da ich in San Francisco keine Nachrichten verfolgt hatte. Tatsächlich hatten sich auch 1998 etliche Tausend Einwohner in jenen Baseball-Dome geflüchtet, um Schutz vor einer drohenden Verwüstung zu suchen.
An der Hotelrezeption fragte ich am ersten Tag nach einem thrift shop. In San Francisco hatte es coole und uncoole Second-Hand-Läden gegeben – in New Orleans fand ich lediglich einen, in dem sich die Armen versorgten. Eine schäbige, flache Halle, mit meterlangen Kleiderbügeln, Unmengen von alten, muffigen Klamotten mit hohem Synthetikanteil. In einer Ecke gab es kaum noch zu gebrauchenden Hausmüll, Elektrogeräte, Spielsachen, Schallplatten, Comics, Bücher und alte Playboyhefte.
Mit Anfang Dreißig war ich immer noch ein bisschen seltsam; die Hitze hatte ich schon immer gemocht, und so lief ich mit 38° im Innern und noch mehr Fahrenheit außen zu Fuß, zur Mittagszeit zu diesem abgelegenen Laden. Nachdem ich dort – vermutlich – ein oder zwei T-Shirts kaufte (irgendwoher müssen doch die T-Shirts in meiner Kommode stammen, von deren Herkunft ich nichts mehr weiß), lief ich noch weiter bis ins Stadtzentrum, wo ich auf einen alten Bekannten stieß. Eine lebensgroße Statue auf dem Bürgersteig zeigte niemand anderen als Ignaz J. Reilly, wie … ihn sah. Den Namen des Bildhauers habe ich vergessen, aber die fette Kupfergestalt mit der unangemessenen Jagdmütze und den absurden Tweed-Hosen habe ich noch vor Augen.
Ich nehme an, das Wasser hat ihm nicht viel anhaben können. Mit ihm und dem Buch Ignaz oder die Verschwörung der Idioten von John Kennedy Toole überlebt eine Erinnerung an diese Stadt, die nun vielleicht dem Tod geweiht ist. Ignaz J. Reilly, die Ikone aller selbstgerechten Narren dieser Welt und Symbol dafür, dass man als Narr doch irgendwie – glücklicher ist? Wer weiß.
Abends habe ich mich dann in New Orleans verliebt. Sie arbeitete an einer Bar am Ostrand des French Quarter. Mein Freund T. und ich spazierten hinein und wurden natürlich von den beiden Frauen hinter der Bar ausgefragt, wie das nun mal die höchst kommunikative und nette Art in den USA ist. „Where you guys come from?“, oder so ähnlich fragte sie noch bevor sie uns einen alkoholhaltigen Drink auslieferte. Sie war klein, zierlich, sicher fünf Jahre jünger als ich und spielte – angeblich – Schlagzeug in einer Band. Nennen wir sie Sue.
Sie fand es sehr interessant, dass wir aus Berlin kamen. Irgendwie kam ich darauf, dass ich in einer Band spielte. „Oh really? I play the drums in a band.“ Ich sagte, dass ich Gitarre spielte und versprach, ihr eine CD mitzubringen, wenn ich am nächsten Tag oder so wiederkommen würde.
Was war ich doch närrisch in New Orleans! Aber es war eben die Stadt der Narren. Es war die Stadt, um närrisch zu sein! Und es war natürlich auch die Stadt des bitteren Ernstes und der Möglichkeit, schnell erschossen zu werden, wenn man eine Straße in die falsche Richtung überquerte und in eine dangerous area geriet. Und weil es die Stadt der Narren war, sollte ich mich am letzten Abend noch mit einer mir fast unbekannten Frau total streiten, was mir sonst wirklich nicht passiert.
Mit meiner schwulen Freund T. sollte ich mich bei unserem Aufenthalt in New Orleans ebenfalls total zerstreiten. So sehr, dass wir auf der Fahrt nach New York zwei Tage kein Wort wechselten. Später nahm jeder von uns einen Teil der Schuld auf sich. Oder trug die fiebrige Stadt New Orleans mit einen Teil dazu bei?
An dem einem Abend ging ich Titten gucken.
Hätte ich vorher einen entsprechenden Reiseführer gewälzt, wäre ich vielleicht nicht so überrascht von diesem bizarren Brauch gewesen. Es ist wirklich schwer einzuordnen. Verschiedenes trägt sicher dazu bei, die Bratofentemperaturen auch des nachts, die Tatsache, dass man in dieser Stadt – im Gegensatz zu überall in den USA – auf der Straße Alkohol trinken darf, die Partywilligkeit von Touristen und Bevölkerung, vielleicht auch ein gutes Stück voyeuristisches Kalkül; die Sache jedenfalls lief so ab: Auf den Straßen des French Quarter, auf den Balkonen drängten sich Jungs und Mädels, konsumierten harte Drinks aus Plastikbechern und hatte jede Menge Perlenketten dabei. Die warfen sie sich zu, die Frauen hängten sie sich um die Hälse und die Jungs riefen „Show me your tits, show your tits!“ Und dies geschah dann auch in regelmäßigen Abständen, indem eine der Frauen unter dem Gejohle des Volkes schnell ihr T-Shirt lupften und ein bisschen herumwackelten. Dann war der „Zauber“ vorbei. Seltener ließen die Jungs mal ihre Hosen herunter, jener Anblick war weniger beliebt.
Ziemlich allein irrte ich durch die Straßen, denn T. hatte sich, trotz seiner latenten Menschenfeindlichkeit, einen Schwarzen in einem örtlichen Schwulenclub aufgerissen. Doch war es so dicht und gedrängt in diesen Straßen, dass wirkliche Einsamkeit nicht aufkam. Und ich gestehe gern, dass ich diese völlig sinnentleerte Atmosphäre der Ausschweifung, des Rauschs und der billigen sexuellen Versprechen nicht empörend oder unangenehm empfand. Es war halt so, ein Treiben in der Ursuppe der Menschlichkeit, Innen, Außen, Hitze und Schweiß, Luftfeuchtigkeit und Alkohol, alles war eins, an dem Abend, als ich Titten guckte in New Orleans.
An diesem Abend sah ich auch Sue wieder. Sie saß ziemlich melancholisch auf dem Bürgersteig nahe ihrer Bar und rauchte eine. Sie erkannte mich wieder, war aber deutlich reservierter als zuvor. Oh Scharen von Europäern, die die Amerikaner immer wieder in Bedrängung bringen, indem sie deren Offenheit zu viel Bedeutung beimessen! Oder war ich ein einzelner Narr?
Aber über die CD hat sie sich gefreut. Sie hat sie sogar aufgelegt in ihrer Bar. „What does the group name mean?“, fragte sie mich. „It means world pinguin day“, erklärte ich ihr. Aber ich riet ihr davon ab, die Musik in der Bar zu spielen, “the people might leave”. „I don’t care“, sagte sie und legte ein Stück ein. Ich darf also sagen, dass die Band Weltpinguintag in New Orleans nicht ganz unbekannt war…
Am nächsten Tag wollten wir eigentlich zusammen eine Rocksession machen. Aber die Leute im Hotel lachten mich aus, als ich sie fragte, wo die Adresse sei, die sie mir gegeben hatte. Sie machten Andeutungen, ob sie nicht eine Professionelle sei, die mich verarscht hatte…? Ich war sauer, ob dieser Ignoranz.
Es mochte ja sein, dass ich die Sympathie von Sue für mich überschätzt hatte – aber das gleich in diese Kiste zu packen… Tja, hinter der Fassade der Partystadt New Orleans mochte doch ein ums andere Mal der blanke Zynismus lauern.
So musste ich am letzten Abend mit einer Deutschen als Abendbegleiterin vorlieb nehmen.
Sie war sehr groß, sehr intellektuell, sehr sarkastisch. Und nicht unattraktiv, vielleicht nach ein paar Whisky-Lemon nicht die schlechteste Wahl, um mein Schwärmen für Sue zu vergessen.
Es lief auch nicht schlecht. Wir sahen eine Live-Band in einem alternative club. Wir tranken Whisky-Lemon. Wir besuchten eine weitere Bar. Tranken Whisky-Lemon. Sie war sarkastisch, ja, aber witzig. Eine Weile.
Man empfahl uns eine weitere Bar, aber wir sollten auf jeden Fall ein cab nehmen. Die Bar war zwar nur zwei Blocks weiter, der Weg aber führte durch gefährliches Gebiet. Vorher gerieten wir aber noch in eine andere Bar, wo wir uns zerstritten. Diese Bar war nicht besonders voll, aber die Menschen tanzten buchstäblich auf den Tischen. Als wir herein kamen wurden wir kreischend begrüßt und ich hatte sofort ein völlig betrunkenes Mädchen an der Backe, das Anzüglichkeiten von sich gab. Meine deutsche Begleitung aber spitzte in diesem Augenblick ihren Sarkasmus auf einen Höhepunkt zu. Was sie für die enthemmte Szene übrig hatte, war nichts als Verachtung. Europäisch kultivierte hochnäsige Verachtung. Von einem auf den anderen Augenblick ging sie mir grenzenlos auf die Nerven und ich sagte ihr, wenn sie wolle, könne sie jetzt noch alleine zu dem Club fahren, ich ginge jetzt nach hause.
Sie war völlig vor den Kopf geschlagen. Was ich denn plötzlich hätte, es sei doch alles bisher ganz lustig gewesen. Und – vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht noch an den Resten meines Fiebers – ich konnte es ihr nicht erklären. Ich brachte kein Wort hervor. Wütend stapften wir nebeneinander her, versuchten zwar noch ein- zweimal die Situation zu retten. Aber es ging nicht.
Da kamen wir an einem riesigen Cabriolet aus den 60ern vorbei. Ein riesiges Schiff, mit vorne durchgehender Sitzbank aus rotem Leder. Wir schauten uns an und für einen kurzen Moment blitzte wieder so etwas wie Einverständnis auf. „Bist du schon ein Mal in so einem Auto gesessen?“ Schnell kletterten wir über die Türen und nahmen auf dem warmen Leder Platz. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Vielleicht hätten wir uns da küssen sollen. Vielleicht hätten wir aber auch erschossen werden können. Man weiß ja nicht, wie der Besitzer drauf gewesen wäre, wenn er uns entdeckt hätte.
Wir haben uns aber weder geküsst, noch wurden wir erschossen. Vielleicht war ich auch noch zu sehr in Sue verliebt. Vielleicht war es auch einfach zu heiß, außen sowieso, aber auch das Fieber in mir drin.
Aber ich nahm mir vor: Eines Tages kommst du noch mal zurück nach New Orleans. Und machst eine Woche Party, denn wo soll ein Melancholiker sonst Party machen können, wenn nicht in New Orleans?
Liebes New Orleans, liebe Menschen dieser Stadt, dazu wird es nun wohl nicht mehr kommen. Ich trauere um diese Stadt und um das Schicksal ihrer Einwohner.
Es tut mir Leid, dass ich nur eine solch merkwürdige, fiebrige Erinnerung an Euch habe.
Aber ich bin froh, wenigstens diese zu haben.