Hallo Zeilinger.
Ich vermute, Zeili, die aufmüpfigen Heranwachsenden, wie du sie meinst, sind ein zeitlich versetztes Ausbrechen von Lebendigkeit, was vorher nur beim Kleinkind (unmerklich!) bekämpft wurde, hier aber, aufgrund der körperlichen Fähigkeit zum „Widerstand“ erstmals ernst genommen werden muss.
Das Kleinkind lässt sich leicht konditionieren, der Jugendliche wehrt sich und erstmals wird der Täter (z.B. Eltern) auch von einem außenstehenden Umfeld als solcher wahrgenommen (Ohrfeigen, Hausarrest, Verbote...) . Man hat vorher einfach die Tür zugemacht und das Kleine in seinem Schreinen und in seinen Schmerzen baden lassen, es ausweinen lassen, der Jugendliche wehrt sich gegen das zeitlich versetzte, jedoch gleichartig bevormundende Verhalten der Älteren. Beim Kleinkind kann der Erwachsene noch jegliche Lebensfreude gewaltsam unterdrücken und es mit dem Schleier fürsorglicher Eltern bedecken, in unserem Alter nehmen wir es nicht mehr war, wir glauben dem Unsinn, uns ständig verbessern zu müssen und „dazulernen“ zu müssen. (Bitte mal mit etwas Abstand und ohne mich als Krokodil wahrzunehmen, darüber nachdenken.) „Kai-Zen“ (stetige Verbesserung), wie es die von uns in den Achzigen so bewunderten hoch produktiven Japaner nannten, ist in den Firmen einer der Schlüssel moderner Sklaverei. Wir glauben fast alle, dass wir im leben besser werden müssen und aus unseren Fehlern lernen, dass wir lernen (im Sinne von „sosein“) müssen, das ist möglicherweise etwas, wo du mich als radikal bezeichnen wirst.
Ich vermute, dass das, was du hier bei den Heranwachsenden als radikal empfindest, keinerlei Motiv außer dem „Dagegensein“ hat. Auch wenn das Dagegensein fast noch mehr an die Regeln bindet, als die angepassten Erwachsenen ihr „erwachsen sein““, so finde ich doch diesen kleinen Ausbruch von Lebendigkeit nicht schlimm. Ich vermute, dass man als Jugendlicher auch durch die Entdeckung des anderen Geschlechts, als Möglichkeit zur Abfuhr der sexuellen Erregung, angespornt wird, Gefühle auszudrücken, wenn auch die Art des Ausdückens bei den meisten bereits so beeinlusst wurde, dass wir es als unnormal und gewalttätig empfinden, gar das Böse sehen. Wobei ich mir hier bei Ursache und Wirkung nicht so recht im Klaren bin.
Das was ich beschrieb, hat mit radikal sein, m.E. nichts zutun, die Lebensfreude der Jugendlichen stößt in diesem Alter wohl wehemment auf den Schwachsinn der Gesellschaft ihrer Eltern und Großeltern. Es wird für viele die letzte Erfahrung von Lebendigkeit in ihrem Leben sein.
Schön finde ich hier die Textpassage der "Toten Hosen" (Musikkapelle die in den Achzigern/Neunzigern noch nicht so zam war wie heute):
"...wir suchten unsre Grenzen, habt dank für die Geduld..."
An dieser Stelle fällt mir mein Thread mit dem Grenzsetzen und den Bewußtseinsgrenzen ein, in dem ich mit meiner These völlig untergegangen bin. Grundsätzlich möchte ich dir aber zustimmen, Zeili, wo die Liebe fehlt, wird Zorn entstehen, wo die Lebendigkeit auf sinnlose Grenzen stößt...und wenn der Zorn nicht als völlig normale Regung in einem Menschen erkannt und sinnvoll zugelassen und zugestanden wird, werden wir die Jugendlichen nie verstehn.
Viele Grüße
Bernd