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AW: Plädoyer für ein friedliches Leben




Und es ist kein Wunder, dass der eine den anderen totschlug!


Hier Schillers Darstellung dieses ersten Mordes:


Häusliches Leben.

Die ersten Söhne, welche die Mutter der Menschen gebar, hatten vor ihren Eltern einen sehr wichtigen Vortheil voraus: sie wurden von Menschen erzogen. Alle Fortschritte, welche die letztern durch sich selbst, und also weit langsamer, hatten thun müssen, kamen ihren Kindern zu gut und wurden diesen schon in ihrem zärtesten Alter spielend und mit der Herzlichkeit elterlicher Liebe übergeben. Mit dem ersten Sohn also, der vom Weibe geboren war, fängt das große Werkzeug an, wirksam zu werden – das Werkzeug, durch welches das ganze Menschengeschlecht seine Bildung erhalten hat und fortfahren wird zu erhalten – nämlich die Tradition oder die Ueberlieferung der Begriffe.

Die mosaische Urkunde verläßt uns hier und überspringt einen Zeitraum von fünfzehn und mehrern Jahren, um uns die beiden Brüder als schon erwachsen aufzuführen. Aber diese Zwischenzeit ist für die Menschengeschichte wichtig, und wenn die Urkunde uns verläßt, so muß die Vernunft die Lücke ergänzen.

Die Geburt eines Sohnes, seine Ernährung, Wartung und Erziehung vermehrten die Kenntnisse, Erfahrungen und Pflichten der ersten Menschen mit einem wichtigen Zuwachs, den wir sorgfältig aufzeichnen müssen.

Von den Thieren lernte die erste Mutter ohne Zweifel ihre nothwendigste Mutterpflicht, so wie sie die Hilfsmittel bei der Geburt wahrscheinlich von der Noth gelernt hatte. Die Sorgfalt für Kinder machte sie auf unzählige kleine Bequemlichkeiten aufmerksam, die ihr bis jetzt unbekannt gewesen; die Anzahl der Dinge, von denen sie Gebrauch machen lernte, vermehrte sich, und die Mutterliebe wurde sinnreich im Erfinden.

Bis jetzt hatten Beide nur ein gesellschaftliches Verhältniß, nur eine Gattung von Liebe erkannt, weil jedes in dem andern nur einen Gegenstand vor sich hatte. Jetzt lernten sie mit einem neuen Gegenstand eine neue Gattung von Liebe, ein neues moralisches Verhältniß kennen – elterliche Liebe. Dieses neue Gefühl von Liebe war von reinerer Art, als das erste, es war ganz uneigennützig, da jenes erste bloß auf Vergnügen, auf wechselseitiges Bedürfniß des Umgangs gegründet gewesen war.

Sie betraten also mit dieser neuen Erfahrung schon eine höhere Stufe der Sittlichkeit – sie wurden veredelt.

Aber die elterliche Liebe, in welcher sich Beide für ihr Kind vereinigten, bewirkte nun auch eine nicht geringe Veränderung in dem Verhältniß, worin sie bisher zu einander selbst gestanden hatten. Die Sorge, die Freude, die zärtliche Theilnahme, worin sie sich für den gemeinschaftlichen Gegenstand ihrer Liebe begegneten, knüpfte unter ihnen selbst neue und schönere Bande an. Jedes entdeckte bei dieser Gelegenheit in dem andern neue, sittlich schöne Züge, und eine jede solcher Entdeckungen erhöhte und verfeinerte ihr Verhältniß. Der Mann liebte in dem Weibe die Mutter, die Mutter seines geliebten Sohns. Das Weib ehrte und liebte in dem Mann den Vater, den Ernährer ihres Kindes. Das bloß sinnliche Wohlgefallen an einander erhob sich zur Hochachtung, aus der eigennützigen Geschlechtsliebe erwuchs die schöne Erscheinung der ehlichen Liebe.

Bald wurden diese moralischen Erfahrungen mit neuen bereichert. Die Kinder wuchsen heran, und auch unter ihnen knüpfte sich allmählich ein zärtliches Band an. Das Kind hielt sich am liebsten zum Kinde, weil jedes Geschöpf sich in seines Gleichen nur liebet. An zarten, unmerklichen Fäden erwuchs die Geschwisterliebe – eine neue Erfahrung für die ersten Eltern. Sie sahen nun ein Bild der Geselligkeit, des Wohlwollens zum erstenmal außer ihnen, sie erkannten ihre eigenen Gefühle, nur in einem jugendlichern Spiegel, wieder.

Bis jetzt hatten Beide, so lange sie allein waren, nur in der Gegenwart und in der Vergangenheit gelebt, aber nun fing die ferne Zukunft an, ihnen Freuden zu zeigen. So wie sie ihre Kinder neben sich aufwachsen sahen und jeder Tag eine neue Fähigkeit in diesen entwickelte, thaten sich ihnen lachende Aussichten für die Zukunft auf, wenn diese Kinder nun einmal Männer und ihnen gleich werden würden – in ihren Herzen erwachte ein neues Gefühl, die Hoffnung. Welch ein unendliches Gebiet aber wird dem Menschen durch die Hoffnung geöffnet! Vorher hatten sie jedes Vergnügen nur einmal, nur in der Gegenwart genossen – in der Erwartung wurde jede künftige Freude mit zahlenloser Wiederholung voraus empfunden!

Als die Kinder nun wirklich heranreiften, welche Mannigfaltigkeit kam auf einmal in diese erste Menschengesellschaft! Jeder Begriff, den sie ihnen mitgetheilt hatten, hatte sich in jeder Seele anders gebildet und überraschte sie jetzt durch Neuheit. Jetzt wurde der Umlauf der Gedanken lebendig, das moralische Gefühl in Uebung gesetzt und durch Uebung entwickelt; die Sprache wurde schon reicher und malte schon bestimmter und wagte sich schon an feinere Gefühle; neue Erfahrungen in der Natur um sie her, neue Anwendungen der schon bekannten. Jetzt beschäftigte der Mensch ihre Aufmerksamkeit schon ganz. Jetzt war keine Gefahr mehr vorhanden, daß sie zur Nachahmung der Thiere herabsinken würden!

Verschiedenheit der Lebensweise.

Der Fortschritt der Kultur äußerte sich schon bei der ersten Generation. Adam baute den Acker; einen seiner Söhne sehen wir schon einen neuen Nahrungszweig, die Viehzucht, ergreifen. Das Menschengeschlecht scheidet sich also hier schon in zwei verschiedene Conditionen, in Feldbauer und Hirten.

Bei der Natur ging der erste Mensch in die Schule, und ihr hat er alle nützliche Künste des Lebens abgelernt. Bei einer aufmerksamen Betrachtung konnte ihm die Ordnung nicht lange verborgen bleiben, nach welcher die Pflanzen sich wieder erzeugen. Er sah die Natur selbst säen und begießen, sein Nachahmungstrieb erwachte, und bald spornte ihn die Noth, der Natur seinen Arm zu leihen und ihrer freiwilligen Ergiebigkeit durch Kunst nachzuhelfen.

Man muß aber nicht glauben, daß der erste Anbau gleich Getreidebau gewesen, wozu schon sehr große Zurüstungen nöthig sind, und es ist dem Gang der Natur gemäß, stets von dem Einfachern zu dem Zusammengesetztern fortzuschreiten. Wahrscheinlich war der Reis eines der ersten Gewächse. die der Mensch bauete; die Natur lud ihn dazu ein, denn der Reis wächst in Indien wild, und die ältesten Geschichtschreiber sprechen von dem Reisbau als einer der ältesten Arten des Feldbaues. Der Mensch bemerkte, daß bei einer anhaltenden Dürre die Pflanzen ermatten, nach einem Regen aber sich schnell wieder erholten. Er bemerkte ferner, daß da, wo ein übertretender Strom einen Schlamm zurückgelassen, die Fruchtbarkeit größer war. Er benutzte diese beiden Entdeckungen, er gab seinen Pflanzungen einen künstlichen Regen und brachte Schlamm auf seinen Acker, wenn kein Fluß in der Nähe war, der ihm solchen geben konnte. Er lernte düngen und begießen.

Schwerer scheint der Schritt zu sein, den er zum Gebrauch der Thiere machte; aber auch hier fing er, wie überall, bei dem Natürlichen und Unschuldigen zuerst an; und er begnügte sich vielleicht viele Menschenalter lang mit der Milch des Thiers, ehe er Hand an dessen Leben legte. Ohne Zweifel war es die Muttermilch, die ihn zu dem Versuche einlud, sich der Thiermilch zu bedienen. Nicht sobald aber hatte er diese neue Nahrung kennen lernen, als er sich ihrer auf immer versicherte. Um diese Speise jederzeit bereit und im Vorrath zu haben, durfte es nicht dem Zufall überlassen werden, ob ihm dieser gerade, wenn er hungerte, ein solches Thier entgegen führen wollte. Er verfiel also darauf, eine gewisse Anzahl solcher Thiere immer um sich zu versammeln, er verschaffte sich eine Heerde; diese mußte er aber unter denjenigen Thieren suchen, die gesellig leben, und er mußte sie aus dem Stande wilder Freiheit in den Stand der Dienstbarkeit und friedlichen Ruhe versetzen, d. i. er mußte sie zähmen. Ehe er sich aber an diejenigen wagte, die von wilderer Natur und ihm an natürlichen Waffen und Kräften überlegen waren, versuchte er es zuerst mit denjenigen, denen er selbst an Kraft überlegen war, und welche von Natur weniger Wildheit besaßen. Er hütete also früher Schafe, als er Schweine, Ochsen und Pferde hütete.

Sobald er seinen Thieren ihre Freiheit geraubt hatte, war er in die Notwendigkeit gesetzt, sie selbst zu ernähren und für sie zu sorgen. So wurde er also zum Hirten, und so lange die Gesellschaft noch klein war, konnte die Natur seiner kleinen Heerde Nahrung im Ueberfluß darbieten. Er hatte keine andre Mühe, als die Weide aufzusuchen und sie, wenn sie abgeweidet war, mit einer andern zu vertauschen. Der reichste Ueberfluß lohnte ihm für diese leichte Beschäftigung, und der Ertrag seiner Arbeit war keinem Wechsel weder der Jahrszeit noch der Witterung unterworfen. Ein gleichförmiger Genuß war das Loos des Hirtenstandes, Freiheit und ein fröhlicher Müßiggang sein Charakter.

Ganz anders verhielt es sich mit dem Feldbauer. Sklavisch war dieser an den Boden. den er bepflanzt hatte, gebunden, und mit der Lebensart, die er ergriff, hatte er jede Freiheit seines Aufenthalts aufgegeben. Sorgfältig mußte er sich nach der zärtlichen Natur des Gewächses richten, das er zog, und dem Wachsthum desselben durch Kunst und Arbeit zu Hilfe kommen, wenn der andre seine Heerde selbst für sich sorgen ließ. Mangel an Werkzeugen machte ihm anfänglich jede Arbeit schwerer, und doch war er ihr mit zwei Händen kaum gewachsen. Wie mühsam mußte seine Lebensart sein, ehe die Pflugschar sie ihm erleichterte, ehe er den gebändigten Stier zwang, die Arbeit mit ihm zu theilen!

Das Aufreißen des Erdreichs, Aussaat und Wässerung, die Ernte selbst, wie viele Arbeiten erforderte dieses alles! und welche Arbeit erst nach der Ernte, bis die Frucht seines Fleißes so weit gebracht war, von ihm genossen zu werden! Wie oft mußte er sich gegen wilde Thiere, die sie anfielen, für seine Pflanzungen wehren, sie hüten oder verzäunen, oft vielleicht gar mit Gefahr seines Lebens dafür kämpfen! Und wie unsicher war ihm dabei noch immer die Frucht seines Fleißes, in die Gewalt der Witterung und der Jahrszeit gegeben! Ein übertretender Strom, ein fallender Hagel war genug, sie ihm am Ziel noch zu rauben und ihn dem härtesten Mangel auszusetzen. Hart also, ungleich und zweifelhaft war das Loos des Ackermanns gegen das gemächliche ruhige Loos des Hirten, und seine Seele mußte in einem durch so viele Arbeit gehärteten Körper verwildern.

Fiel es ihm nun ein, dieses harte Schicksal mit dem glücklichen Leben des Hirten zu vergleichen, so mußte ihm diese Ungleichheit auffallen, er mußte – nach seiner sinnlichen Vorstellungsart – jenen für einen vorgezogenen Günstling des Himmels halten.

Der Neid erwachte in seinem Busen; diese unglückliche Leidenschaft mußte bei der ersten Ungleichheit unter Menschen erwachen. Mit Schelsucht blickte er jetzt den Segen des Hirten an, der ihm ruhig gegenüber im Schatten weidete, wenn ihn selbst die Sonnenhitze stach und die Arbeit ihm den Schweiß aus der Stirne preßte. Die sorglose Fröhlichkeit des Hirten that ihm wehe. Er haßte ihn wegen seines Glücks und verachtete ihn seines Müßiggangs wegen. So bewahrte er einen stillen Unwillen gegen ihn in seinem Herzen, der bei dem nächsten Anlaß in Gewalttätigkeit ausbrechen mußte. Dieser Anlaß aber konnte nicht lange ausbleiben. Die Gerechtsame eines Jeden hatte zu dieser Zeit noch keine bestimmten Grenzen, und keine Gesetze waren noch vorhanden, die das Mein und Dein auseinander gesetzt hätten. Jeder glaubte, noch einen gleichen Anspruch auf die ganze Erde zu haben, denn die Vertheilung in Eigenthum sollte erst durch eintretende Collisionen herbeigeführt werden. Gesetzt nun, der Hirte hatte alle Gegenden umher mit seiner Heerde abgeweidet und fühlte doch auch keine Lust dazu, sich weit von der Familie in fernen Gegenden zu verlieren – was that er also? worauf mußte er natürlicher Weise verfallen? Er trieb seine Heerde in die Pflanzungen des Ackermanns oder ließ es wenigstens geschehen, daß sie selbst diesen Weg nahm. Hier war reicher Vorrath für seine Schafe, und kein Gesetz war noch da, es ihm zu wehren. Alles, wornach er greifen konnte, war sein – so raisonnierte die kindische Menschheit.

Jetzt also zum erstenmal kam der Mensch in Collision mit dem Menschen; an die Stelle der wilden Thiere, mit denen es der Ackermann bis jetzt zu thun gehabt hatte, trat nun der Mensch. Dieser erschien jetzt gegen ihn als ein feindseliges Raubthier, das seine Pflanzungen verwüsten wollte. Kein Wunder, daß er ihn auf eben die Art empfing, wie er das Raubthier empfangen hatte, dem der Mensch jetzt nachahmte. Der Haß, den er schon lange Jahre in seiner Brust herumgetragen hatte, wirkte mit, ihn zu erbittern; und ein mörderischer Schlag mit der Keule rächte ihn auf einmal an dem langen Glück seines beneideten Nachbars.

So traurig endigte die erste Collision der Menschen.


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