AW: Philosophie ohne Lehrbuch
Hallo Floh,
"Philosophie ohne Lehrbuch", so wie Du das ausdrückst, könnte man meinen, dass Du in der philosophischen Literatur in erster Linie einen Lehrcharakter siehst, also eine höhere Autorität, durch welche das zur Philosophie gehörende Wissen vermittelt und verkörpert wird.
Das ist sicherlich nicht unbedingt falsch und genau so sehen es wohl auch viele Menschen. Aber das ist eine langweilige, konservative und außerdem - wie ich finde - eigentlich sehr unphilosophische Einstellung. Ich würde daher eine Sichtweise bevorzugen, die das Schaffen berühmter Menschen (Philosophen) als Denkmöglichkeiten begreift, durch welche man, sofern man ihnen auf eigene Weise nachdenkt, eine Bereicherung erfahren kann.
Sitzt man tagein tagaus in seinem Stübchen und hängt den eigenen Gedanken nach, dann ist das gewiss nicht falsch: es ist womöglich ein wichtiger Hinweis dafür, dass man das eigene Denken (sowie das Denken überhaupt) wertschätzt und daher mit dem Denken anderer selbstbewusst umzugehen vermag. Aber: man vergibt dabei auch die Möglichkeit, den Reichtum des Denkens anderer Menschen in das eigene Denken einzubeziehen; den eigenen Horizont zwar nicht zu vernebeln, vielmehr weiter auszudehnen.
Das kostet natürlich Überwindung und Kraft, denn es ist oftmals eine echte Herausforderung, den Gedankengängen anderer Menschen über lange Strecken zu folgen und deren Weltsicht und Denkensart in das eigene Denken einbrechen zu lassen; gerade dann, wenn jene Denkensart der eigenen zuwider ist und man alle Kräfte sammeln muss, um sich diesem fremden Denken entgegen zu stellen. Letztgenanntes finde ich am spannendsten, denn - als Beispiel - es ist wahrlich nicht leicht, einen der großen Philosophen fundiert anzugreifen. Hierzu können einem dann aber wiederum andere Denker behilflich sein, die ähnliche Denkwege verfolgen.
Gewiss, wenn Du der fixen Idee verfallen bist, die Welt auf eine nie dagewesene Weise beschreiben zu wollen, dann solltest Du Dich in der Tat in eine abgelegene Kammer sperren, den Schlüssel so oft es geht umdrehen - damit ja keiner in Dein reines Denken schmutzfinkerisch einbricht - und so lange in Einsamkeit brüten, bis Du das Paradox begehst, den Weltentzug aufgibst und die anderen Denker - wer weiß warum - mit Deinem genialen, neuartigen Denksystem bombardierst.
Doch derartige Absichten will ich Dir natürlich nicht unterstellen; also, sei mutig, trau' Dich, das Denken bleibt letztlich einsam und schwer genug. 
Beste Grüße,
Philipp